1. Der unerkannte Liebhaber

[40] 1.

Mein Liebgen wil es nicht verstehn,

Daß ich in sie verliebet bin,

Sie kan vor mir vorüber gehen,

Als hätte mein getreuer Sinn,

Der ihre Lieb und Gunst begehrt,

Sich nach der Gnüge nicht erklärt.


2.

Ich kan die allerschönsten Blicke

Geniessen als ein guter Freund;

Doch hab ich nicht das hohe Glücke,

Daß sie es in dem Hertzen meint,

Daß sie auff mich viel Kundschafft legt

Und ein Verlangen nach mir trägt.[40]


3.

Wil ich bey ihr die Zeit vertreiben

So lässt sie mich mit Willen ein;

Jedennoch will ich aussen bleiben,

So kan sie auch zufrieden seyn,

Sie henckt deßwegen vor das Hauß

Gar keinen schwartzen Flor hinauß.


4.

Und was mich treflich kan verdriessen,

So ist das lose Tausend-Kind

Vor allen andern drauff beflissen,

Wie sie mir Reden abgewinnt,

Und meine Brunst hindangesetzt

Mich nur mit fremden Mädgen hetzt.


5.

Ich darff dieselben nicht verachten,

Dann sonsten hieß es alsobald,

Daß wir es nirgend anders machten,

Und wären weder warm noch kalt:

Und gleichwohl wann ich freundlich thu

So heists ich spreche ja darzu.


6.

Ich darff ihr zwar die Hände drücken

Die meinen aber drückt sie nicht,

Ich spiele mit verkehrten Blicken,

Und sie behält ihr Angesicht,

Mein Fuß der stösst sie ungefehr,

Jedoch sie stösst nicht wieder her.


7.

Den süssen Purpur-Mund zu küssen

Geht mir zu schwer und sauer ein,

Dieweil ich mich befürchten müssen

Es möcht ihr nicht belieblich seyn,

Wiewohl was hilfft ein kalter Kuß,

In dem man sonsten warten muß.


8.

Ich schwatze viel von Liebes Sachen

Wie es die Leutgen in der Welt

An dem und jenem Orte machen,

Vnd alles was mir wohl gefällt,

Das macht mein höchst-verliebter Mund

Ihr durch verblümte Reden kunt.


9.

Ich kan sie aber nicht erwischen,

Sie schlägt die Reden in den Wind,

Vnd lässt mich in dem Wasser fischen[41]

Da keine Fische drinnen sind,

So eilt die junge Zeit dahin,

Daß ich stets auß mir selber bin.


10.

Vnd also seh ich meine Freude

Nur zwischen Furcht und Hoffnung stehn,

Vnd kan in meinem Hertzen-Leide

Der Wollust nicht entgegen gehn,

Der Himmel hat es so gefügt,

Ich liebe wol, doch unvergnügt.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 40-42.
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