6. Auff eine Frühlings-Hochzeit

[118] 1.

Haben sich die süssen Stunden

Nach dem Winter eingefunden,

Jetzt, da alles lebt und lacht,

Solt ihr nun vergnüget werden,

Da die Zier der gantzen Erden,

Allenthalben Hochzeit macht.


2.

Sucht einander liebzukosen,

Weil die süssen Frühlings-Rosen

An dem jungen Stocke stehn,

Weil ihr mit verliebten Füssen

Könnt auff Lilgen und Narcissen

Zu der Lust spatzieren gehn.


3.

Last die Klee-besäeten Decken

Euch zur Freundligkeit erwecken:[118]

Denn ihr seyd die kleine Welt,

Welche gleiche Lust und Freude,

Mit dem grossen Welt-Gebäude,

Gleichsam umb die Wette hält.


4.

Last die Freuden-Sonne scheinen,

Und verstecket Schmertz und Weinen

In die Liebe die euch bind,

Und gedenckt, wie dieses Wetter

Alle Gräßgen, alle Blätter,

Günstig in einander windt.


5.

Also nähret eure Flammen,

Also saget auch zusammen,

Ich bin dein, und du bist mein:

Dieses kan in eurem Stande,

Zu dem neuen Liebes-Bande,

Doch die beste Losung seyn.


6.

Nun wir wollen uns gedulden,

Biß ihr eure späte Schulden

Nach Weynachten richtig macht:

Vnterdessen wünsch ich beyden,

Zu den angefangenen Freuden,

Eine wunder-süsse Nacht.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 118-119.
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