Ein und zwantzigstes Exempel.

Der Geist eines verstorbenen Dieners erscheint nach dem Tod seinem Herren, ihne bittend, er, und seine Gemahlin wollen seiner nicht vergessen.

[198] Um das Jahr Christi tausend, ein hundert, und was darüber seyn mag, lebte in Spanien Petrus von Engebert, aus dem Orden des Heil. Vatters Benedicti. Er war vorhin, da er noch in der Welt gewesen, ein vornehmer reicher Herr. Der sich aber, nachdem er aus sonderbahrer Gnad GOttes die Eytelkeit dieser Welt erkannt, in gedachten heiligen Orden, wiewohlen er schon ein ziemliches Alter auf sich hatte, begeben: um darinnen die übrige Zeit seines Lebens besser, als die vergangene zuzubringen. Dieser thate oft unter denen Mitbrüderen Meldung von einer Erscheinung, so ihme zu seiner Bekehrung ein grosser Antrieb gewesen. Den gantzen Verlauf erzählte er auf folgende Weis, und mit diesen Worten:

»Als auf ein Zeit Alphonsus, der jüngere, König in Spanien, wegen eines grossen Aufstands seiner Unterthanen in Castilien, einen Befehl ausgehen lassen, daß eine jede Haushaltung in seinem Reich einen Soldaten stellen, und der Königlichen Armee, um die entstandene Unruhe zu stillen, zuschicken sollte; hab ich diesem Befehl gehorsamlich nachzukommen, einen aus meinen Dienern, Sancius genannt, mit behöriger Zurüstung ausstaffirt, und dem Haupt-Lager zugeschickt. Nachdem der Aufstand gestillet, der Frieden getroffen, und die Soldaten abgedanckt worden, kame Sancius wiederum in mein Haus zuruck, und versahe seinen vorigen Dienst. Ueber wenig Jahr erkranckte er tödtlich, und bezahlte die Schuld der Natur. [198] Ich liesse ihn ehrlich begraben, und was die Christliche Liebe erfordert, für seine Seel fleißig verrichten. Vier Monath lang war alles still im Haus, Niemand aus meinen Hausgenossenen beklagte sich, daß er was gehört, oder gesehen. Als ich aber zu Winters-Zeit nächtlicher Weil in dem Beth wachte, hörte und sahe ich einen Menschen, so bey dem Camin auf der Herd-Blatten die Aschen von der Glut scharrete, also, daß ich die glüende Kohlen wohl sehen konnte. Und obwohlen ich ab diesem Gesicht sehr erschrocken war, hatte mir doch GOtt der HErr so viel Hertz gegeben, daß ich fragen durfte, wer er wäre? und warum er die Glut entdecke? da vernahme ich ein tieffe klägliche Stimm: mein Herr! förchtet euch nicht. Ich bin Sancius, euer armer Diener. Ich gehe samt meinen Gesellen nach Castilien; damit ich meine Sünden abbüsse, die ich allda begangen. Hierauf sagte ich, wann dich der göttliche Befehl dorthin zu gehen verordnet, was machst du dann allhier? mein Herr, antwortete er: verzeyhet mirs. Dieses geschiehet nicht ohne göttliche Erlaubnuß: dann ich mich nicht gar in einem üblen Stand befinde; in welchem ihr mir, wann ihr nur wollet, könnet zu Hülf kommen. Darauf fragte ich ihn: was dann sein Anliegen, und Begehren von mir seye? da sagte er, ihr wisset mein Herr, daß ihr mich kurtz vor meinem Tod an ein Ort geschickt, wo man nicht pflegt heilig, sondern gottlos zu leben. Die Jugend, die Freyheit, das böse Exempel, und die Vermessenheit können einen armen Soldaten, der sich selbst nicht zu regieren weißt, leichtlich in das Verderben stürtzen. Ich hab mich in dem jüngst verwichenen Krieg mit Rauben und Stehlen versündiget; auch so gar den Kirchen-Gütern nicht verschont, darum ich anjetzo schwehrlich gepeiniget werde. Dahero, ach mein lieber Herr, wann ihr mich lieb habt, vergesset doch meiner nicht. Ich begehre von euch nicht grosse Reichthum, sondern allein euer Gebett, und ein kleines Allmosen, welches alles mir in meiner Peyn verhülflich seyn wird. Euer Gemahlin ist mir noch von der letzten Rechnung her 3. Gulden und 20. Kreutzer schuldig, diese verlange ich, daß sie zu Trost meiner Seel angewendet werden.«


»Ich weiß nicht, wie mir unter diesem Gespräch das Hertz gewachsen, daß ich mich unterfangen auch andere Sachen zu fragen. So frage ich dann, Mein! weist du nicht, wie es mit jenem meinem Lands-Mann Petrus Dejaca, so ohnlängst mit Tod abgangen, stehe? Hierauf sagte er: Herr! laßt euch diesen nicht angelegen seyn, dann er allbereit die ewige Seeligkeit erlangt hat; weilen er in nächst geweßter Hungers-Noth viel Almosen geben, und dardurch den Himmel erworben. Der Fürwitz stache mich noch mehr, daß ich ihn [199] fragte, wie es um einen Richter, der mir wohl bekannt, auch ohnlängst mit Tod abgangen, stehe? Mein Herr! antwortete er: sagt mir nichts von diesem armseeligen Menschen, dann er wegen seinen verübten Ungerechtigkeiten ewig verdammt worden. Ich wollte mit diesem noch nicht zufrieden seyn, sondern fragte weiters, in was für einem Stand sich die Seel des Königs Alphonsi befinde? Hierauf hörte ich eine andere Stimm von einem Fenster, das hinter mir war: die sprache: Auf diese Frag kan Sancius nicht antworten: weilen ihm von dieses Königs Stand nichts bewußt. Ich aber, der ich vor 5. Jahren gestorben, kan hierinn einen Bericht geben. Diese unverhofte Antwort brachte mir wiederum einen Schrecken; jedoch kehrte ich mich um, und sahe vermittelst des Mondscheins einen Menschen an dem Fenster lehnen, den ich bate, er wolle mir die Beschaffenheit gedachten Königs anzeigen. Hierauf antwortete er: Ich weiß zwar wohl, daß er nach seinem Ableiben grosse Peyn erlitten; welche doch durch das Gebett der Geistlichen Ordens Leuten bald gelindert worden. Wie es ihm aber weiters ergangen, kan ich nicht wissen. Indem er dies sagte, wendete er sich gegen dem Sancio, so beyder Glut sasse, und sprache: Fort, fort, es ist Zeit. Sancius antwortete ihm nichts dargegen, sondern stunde alsbald auf, und sprach im hinweg Scheiden zu mir mit kläglicher Stimm: Ach mein Herr! ich bitte euch für das letztemahl: seyd meiner ingedenck, und laßt euer Gemahlin für mich verrichten, was ich begehrt hab.«


»Folgenden Morgen hab ich den gantzen Verlauf meiner Frauen erzählt: worauf wir beyde uns beflissen auf das bäldigst u. fleißigst dieser armen Seel zu Hülf zu kommen. Und dieses ist die Erscheinung, so ich gehabt, und bey meinem Gewissen bezeuge, daß ich sie erzählet, wie sie sich in der Wahrheit zugetragen hat.« Petrus Cluniacensis in operibus suis: Ut habet Caussinus in Aula Sancta Part. 3. l. 3. c. 6.


Was können wir nun anderst zu dieser Sach sagen, als daß wir sie mit den Worten des Heil. Augustini, von der Sorg über die Abgeleibte, am 15. Cap. beschliessen. Die heilige Schrift bezeugt uns, daß unterweilen die Verstorbene zu denen Lebendigen gesandt werden. Dann wir insgemein nicht wissen, was sich mit denen Verstorbenen zutragt. So wissen auch die Verstorbene nicht alles, was in der Welt geschiehet; sondern vernehmen solches von denjenigen, die von dieser Welt zu ihnen scheiden; oder aber von denen Englen, von welchen sie unterweilen besucht werden, die ihnen aber mehrer Bericht nicht können geben, als der höchste Richter zulaßt.

[200] Unterdessen, wie ist es möglich, daß man gedencke an die unaussprechliche Peyn der Seelen im Fegfeur; und sich ihrer doch nicht erbarme? für sie nicht bitte? ihnen nicht zu Hülf komme? absonderlich, wann sie nahe Anverwandte auf Erden geweßt seynd? Laßt uns einbilden, wir hören ein arme Seel folgende Klag führen, wie sie im Klag-Lied der armen Seelen ausgedruckt ist:


1.

Ihr meine liebe Freund,

Zu helffen mir erscheint;

Noch heut, und nicht erst Morgen.

Um eure Hülf ich bitt,

Ihr habt ein gut Credit,

Ihr könnt mich wohl ausborgen.


2.

Ihr könnt mir helffen bald,

Es steht in euerm Gewalt;

Ach thut mein Noth betrachten.

Erbarmt euch über mich,

Ich bitt euch hertziglich;

Mein Bitt thut nicht verachten.


3.

Helft mir aus dieser Flamm,

Ich bitt euch allesam;

Thut fleißig für mich betten.

GOtt höret euer Bitt,

Ihr könnt mich bald darmit

Aus meiner Peyn erretten.


4.

Helft mir aus dieser Glut,

Die schmertzlich brennen thut;

Helft mir durch euer Fasten.

Ach thut nur bald darzu,

Ich hab hie gantz kein Ruh;

Kan Tag und Nacht nicht rasten.


5.

Helft mir aus diesem Feur,

Den Armen gebt ein Steur;

Thut Allmos für mich reichen.

Ach helft mir doch behend,

Das Feur sehr heftig brennt.

Ach laßt euch doch erweichen.


6.

Durch euere gute Werck,

Verlang ich Hülf und Stärck;

Und sonderlich durch Messen.

Gedenckt, wie ich so hart,

Darauf mit Schmertzen wart;

Thut meiner nicht vergessen.


7.

Wann ihr die Meß anhört,

Für mich auch Hülf begehrt;

Damit werdt ihr mich stärcken.

Laßt euch befohlen seyn,

Mein Schmertz, und schwehre Peyn;

In allen guten Wercken.


8.

Auch die Communion,

Und was ihr habt darvon;

Den Ablaß thut mir schencken.

Wann ich komm in die Freud,

So will ich allezeit;

Gar fleißig an euch dencken.


9.

Ach bettet all für mich,

Daß GOtt erbarme sich;

Daß er mir Gnad woll geben.

Ach helft mir all darzu,

Daß ich komm in die Ruh;

Und in das ewige Leben.


Wessen Hertz ist so hart, so unempfindlich, das durch solche Klagen nicht erweicht, nicht zum Mitleyden soll bewegt werden? O! der du dieses [201] liesest, und ein solches Hertz hast, seye versichert, daß wann auch du einstens in solche Peyn und Qual kommen sollest, Niemand sich deiner erbarmen werde. Du wirst ruffen, du wirst schreyen, du wirst klagen, du wirst bitten, aber Niemand wird sich dran kehren. Und billich, dann es heißt: Mit was Maaß ihr messet, mit der wird euch wiederum gemessen werden. Matth. 7. Cap. Darum wirst du wohl thun, wann du oben angeführte Klagen öfters liesest, und tief zu Hertzen führest. Dann auf solche Weiß wirst du ehender zum Mitleyden gegen den armen Seelen im Fegfeur bewegt werden, und bey dir selbst also dencken: was ich gern hätte, das mir andere thäten (wann ich in solchem Stand wär) das muß ich ihnen auch thun. Wohl geschlossen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 198-202.
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