Zwey und dreyßigstes Exempel.

Ein Verstorbener ladet einen guten Freund, der noch bey Leben war, zu einer Mahlzeit im Himmel ein.

[228] Es waren zwey adeliche Herren, von grosser Tugend und Frommkeit. Und weilen sie nicht weit von einander wohnten, geschahe es, daß sie als gute Freund nicht allein öfters zusammen kamen; sondern einander bisweilen auch zu Gast luden: nicht so sehr Essens und Trinckens halber, als daß sie von himmlischen Dingen ein Gespräch mit einander führen möchten. Nun geschahe es auf eine Zeit, daß einer aus ihnen auf einen gewissen Tag eine kostbare Mahlzeit anstellte, und dazu nicht allein gedachten seinen guten Freund; sondern auch andere gute Bekannte einlude. Allein ehe der bestimmte Tag der Mahlzeit ankommen, starbe unterdessen der eingeladene adeliche Herr, der zur Mahlzeit zu kommen schon zugesagt hatte. Dieses ware freylich demjenigen, so den nunmehr verstorbenen zu Gast geladen, ein sehr betrübter und empfindlicher Streich: Nicht daß er die Kösten auf die Mahlzeit schon angewendet; sondern weil er einen so lieben und werthen Freund verlohren hatte. Nichts destoweniger, nachdem der Verstorbene zur Erden bestattet worden, und der zur Mahlzeit bestimmte Tag endlich ankommen, wolte der, so zu Gast geladen, wenigst die andere gute Bekannte bey sich haben, um mit ihnen eine freundliche Ansprach zu halten, und das Leid in etwas zu vergessen. Nun so kamen dann die eingeladene Gäst zusammen. Man setzt sich ohne vieles Gepräng zu Tisch, und der Gastgeb spricht denen Gästen zu, sie wolten ihnen Speis und Tranck belieben lassen, und thun, als wann sie in ihrem eigenen Haus wären. Aber siehe! indem sie gantz fröhlich seynd, und unter anderen ein Gespräch von künftiger Seligkeit führen, da klopft man an der Stuben-Thür an. Und als der Gastgeb gesagt: Herein, was gute Freund seynd: O unverhofter Gast! da trittet in die Stuben hinein der neulich verstorbene adeliche Herr; siehet aber gantz fröhlich drein, und grüßt nicht allein den Gastgeb, sondern auch die Gäst: mit vermelden, wie daß er nicht komme, ihre Freud zu zerstöhren; sonderen vielmehr mitzuhalten, und das angefangene Gespräch von der ewigen Seligkeit fortzusetzen: und hiemit die Zusag, die er dem Gastgeb bey Leb-Zeiten gethan, zu erfüllen. Dieses geredt, setzt er sich mit Erlaubnuß des Gastgebs an den Tisch, ißt und trinckt, wie die andere; und erzählt ihnen Wunderding von der ewigen Glückseligkeit. Nachdem [228] man aber vom Tisch aufgestanden, bedanckte er sich zu vorderst gegen dem Gastgeb; nahme ihn aber auf ein Seiten, und sagte ihm heimlich, wie daß er ihn anjetzo auch zu einem Gastmahl einlade: wobey er ihm zugleich den Tag bestimmte, und die Weis anzeigte, auf welche er ihn wolte abholen lassen. Nemlich auf den bestimmten Tag werde ein Schnee-weisses Pferd mit Gold und Silber geziert, vor sein Haus kommen: dieses solle er besteigen; ihm den Zaum frey lassen, und unerschrocken fort reuten: dann es werde ihn sicher an dasjenige Ort bringen, wo die Mahlzeit werde gehalten werden. Solle sich also auf die Reis rüsten. Dieses geredt, veschwande er aus denen Augen des Gastgebs. Aus dieser Einladung nahme der eingeladene Gastbeb leichtlich ab, daß diese Mahlzeit nirgends anderst als in der anderen Welt wurde gehalten werden. Machte also dazu die erforderte Bereitung durch andächtige Empfahung der heiligen Sacramenten. Wie nun der heilige Oster-Tag angebrochen (dieser war nemlich die zur Mahlzeit von dem Verstorbenen bestimmte Zeit) siehe! da war das Schnee-weisse Pferd in aller Frühe vor der Haus-Thür des Gastgebs. Es hatte auf dem Kopf einen rothen Feder-Busch. Der Sattel und Deck-Zeug war mit Gold und Silber ausgearbeitet, der Zaum aber, und Steig-Bügel von purem Gold. Mit einem Wort: wann ein Kayser hätte darauf reuten sollen, hätte es nicht köstlicher können ausstaffirt seyn. Da nahme dann der Eingeladene von seinen Hausgenossenen den Abschied; welche ihn auch mit weinenden Augen bis zur Haus-Thür hinunter begleitet, und ihm auf die unbekannte Reis Glück gewunschen. Wie nun dieser HErr das Pferd bestiegen, eilte es mit ihm schnell davon, und führte ihn durch allerhand unbekannte Weeg und Landschaften: bis es endlich mit ihm in ein grünes und annehmliches Thal kommen, in welchem ein herrlicher Pallast, von lauter Edelgestein aufgebaut zu sehen war. Da stunde dann das Pferd vor dem Pallast stockstill: woraus der Herr abgenommen, eben dieses müsse das Ort seyn, wohin er zu einer Mahlzeit eingeladen worden. Und war ihm auch nicht anderst. Dann siehe! nachdem er vom Pferd abgestiegen, da kam ihm aus dem Pallast herunter entgegen der Verstorbene, so ihn eingeladen hatte. Er grüßte den angekommenen Gast auf das freundlichste; nahme ihn bey der Hand, und führte ihn mit sich in den Pallast hinauf, dessen Boden mit purem Gold besetzt war. Und nachdem er ihn ein und andere Stiegen, deren Treppen von lauter Edelgestein waren, hinauf geführt, führte er ihn weiters in einen grossen Saal, in dessen Mitte eine Tafel war, mit köstlichen Speisen, Tranck und Confect übersetzt. Die Schüßlen und Teller, wie auch die Trinck-Geschirr, waren alle von purem Gold, und mit Edelgestein versetzt: an der Tafel aber sassen viel Personen von unvergleichlicher Schönheit, welche sich nicht allein mit Essen und[229] Trincken; sondern auch mit freundlicher Ansprach erquickten. An diese Tafel wurde nun der neu angekommene Gast auf das freundlichste eingeladen: welcher sich auch ungesaumt hinzu setzte, und was von Speis und Tranck noch überig, begierig verkostete. Da fande er dann einen solchen Geschmack, eine solche Süßigkeit, dergleichen er sein Lebtag niemahl verkostet; noch sich hätte einbilden können. Zu dem hatten seine Augen in Anschauung der unvergleichlichen Schönheit so wohl deren, die an der Tafel sassen, als des Orts; wie auch die Ohren in Anhörung der lieblichsten Music eine unaussprechliche Freud: also daß er nunmehr alle Schönheit und Ergötzlichkeit so auf der Welt kan erfunden werden, für ein lauteres nichts; und also für nicht werth hielte, daß man einmahl davon reden solte. Indem er nun aller Freuden voll war, und ihn gedunckte, er hätte kaum angefangen, an der Tafel zu sitzen, da kame der Verstorbene, so ihn zur Tafel eingeladen, zu ihm; stunde hinter seinen Sessel, und sagte ihm in das Ohr: Freund! es ist Zeit; daß du deinen Weeg zuruck nehmest an das Ort, wo du herkommen. Dann dieses Ort, wo du jetzt bist, gestattet denen sterblichen Menschen nicht, länger hier zu bleiben. Saume dich also nicht: dann das Pferd, auf welchem du herkommen, wartet deiner, um dich wiederum in dein Heimat zu führen. Allein der Gast beschwerte sich über diese unverhofte Ausbietung aus einem so glückseligen Ort, und sagte klagend: Wie? wilt du dann, daß ich schon wiederum weggehe; da ich mich doch kaum an die Tafel gesetzt? was ist das für eine Höflichkeit? Was für ein Freundstuck? wann ich allbereit eine oder andere Stund hier wär, wolte ich mich endlich so fast nicht beklagen. Aber da ich kaum ein oder anders Vatter unser lang hier bin, mich schon heissen wiederum weggehen; was für ein fremde Modi ist dieses? darum bitte ich dich, du wollest mich länger hier lassen. Es sagte ihm aber, der ihn eingeladen: Du hast es schon gehört: dieses ist ein Ort, allwo denen sterblichen Menschen nicht gestattet wird, länger zu bleiben. Behüte dich also GOtt; und nimme deinen Weeg zuruck. Wie der Gast gesehen, daß er nichts erhalten könnte, nahme er endlich Abschied, und bestiege das Schnee-weisse Pferd, so vor der Porten des Pallasts auf ihn wartete: welches ihn dann wiederum schnell durch allerhand unbekannte Weeg und Landschaften in sein Heimat zuruck geführt; und so bald der Gast davon abgestiegen, aus den Augen verschwunden ist. Es fande aber dieser Herr in seiner Heimat alles verändert. Dann an dem Ort, wo vorhin sein Haus stunde, war anjetzo ein ansehnliches Closter auferbauet. So kennete er auch keinen einigen Menschen aus denen, so ihm begegneten. Und im Gegentheil wolte ihn auch niemand von denen, so ihm begegnet kennen; noch von seinem Geschlecht, oder Namen im geringsten [230] was wissen. Das erweckte nun in ihm eine solche Verwunderung, daß er nicht wußte, was er gedencken, oder sagen sollte. Endlich geht er zur Obrigkeit des Orts, und bittet, man möchte doch in denen Jahr-Schriften nachsuchen, ob nicht dieses Geschlecht (so er auch nennte) vor Zeiten an diesem Ort berühmt geweßt? und ob nicht einer davon (da gabe er seinen Namen an) aus seiner Heimath in fremde Länder abgereißt wäre? man willfahrt ihm, suchet nach, und findet endlich, daß dieser Herr 200. Jahr von seiner Heimath weg gewesen. Idem Bidermann. loco citato.


Ewiger GOtt, wann 200. Jahr, so dieser Herr an der himmlischen Tafel zugebracht, ihme nicht länger seynd vorkommen, als wann es nur ein oder ander Vatter unser lang gewährt hätte; wie unaussprechlich muß dann die Freud im Himmel seyn? wie süß? wie erquickend? wie vollkommen? der Zucker aber dieser Freud ist, daß sie ewig währet; und kein Gefahr ist, selbige jemahlen zu verliehren: über welches der H. Augustinus also aufschreyt: O Reich der ewigen Seeligkeit! da wird seyn ein unendliche Freud, da wird seyn alles Gutes, und nichts Böses; dieweilen man da besitzt das höchste Gut. Gückseelig diejenige, welche zu so grosser Freud aus diesem Leben allbereit gelangt seynd. Soliloq. c. 35.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 228-231.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon