Viertes Exempel.

Ein von Todten auferstandener erzählet, was ihme nach seinem tödtlichen Hintritt aus diesem Leben widerfahren.

[151] Zu Zeiten des heiligen Bonifacii, Bischoffens zu Mayntz (den man sonst der Teutschen Apostel nennet; weilen er Teutschland zum Christlichen Glauben bekehrt; und auch deswegen im Jahr Christi, 755. gemartert worden) ist ein Mensch von Todten auferstanden. Diesen hat ermelter heiliger Bonifacius selbst auf das fleißigst ausgefragt: wie er gestorben? was er in der anderen Welt gesehen? und wie er wieder in diese Welt kommen seye? dem solle der Erstandene weinend geantwortet haben mit folgen den Worten: »Ach! was für ein Unterschied ist zwischen der Erkanntnuß dieses, und des andern Lebens! allhier sehen wir mit unseren leiblichen Augen nur die äusserliche Gestalten der Geschöpfen; dort aber siehet unser Seel auch die innerste Substantz und Wesenheit. In diesem Leben seynd wir gleich einem Stockblinden, der sein Lebtag niemahl gesehen; deme man viel sagt von der Beschaffenheit dieser Welt: wann er sie aber dort einmahl ins Gesicht bekommt, siehet er viel andere Sachen, und gantz anderst, als er ihm zuvor eingebildet. Also ist auch mir widerfahren, da mein Seel um Mitternacht von dem Leib abgeschieden. Dann ich sahe in einem Augenblick die gantze Welt, und das Meer vor mir. Der gantze Erdboden war mit einer solchen Flammen umgeben, daß ich darfür hielte, sie wurde alle Elementen verzehren; wann nicht ihr Gewalt durch die göttliche Hand wäre verhindert worden. Eben diesen Augenblick sahe ich Christum unseren HErrn, mit unaussprechlicher Klarheit, in Gestalt eines Richters; umgeben mit einer unzahlbaren Schaar der Englen. So ersahe ich zugleich eine fast unendliche Menge der Teuflen, deren grausame Gestalt ich nicht genugsam beschreiben kan. Bald darauf kame von allen Orten der Welt eine solche Anzahl der abgeleibten Seelen vor den Richter-Stuhl GOttes, daß ich mir niemahl eingebildet hätte, daß so viel Menschen auf der Welt wären. Da wurde nun eine scharfe und strenge Untersuchung über alle Verbrechen angestellt. Sehr wenig sahe ich, die in dieser Welt heilig gelebt, und ohne Mackel ihr zeitliches Leben beschlossen; diese flogen alsobald mit ihren Sieg-Kräntzlein und Palm-Zweigen der ewigen Seeligkeit zu. Andere, so einer Reinigung bedürftig, wurden in das Fegfeur geschickt, allwo sie gleich wie das Gold durch die Flammen solten geläutert, und endlich der ewigen Freuden theilhaftig werden. Diejenige aber, so in einer [152] Tod-Sünd, und ausserhalb der Gnad GOttes von dieser Welt geschieden, waren erbärmlich anzusehen; indem sie alsobald denen Teuflen übergeben wurden: die dann selbige mit ihren feurigen Hacken, Zangen und Klauen in höchster Grimmigkeit ergriffen, und in den feurigen Teich, so von Schwefel und Pech angezündet war, stürtzten. Ich sahe die unglückselige Seelen in Gestalt der Nacht-Raaben ob dem höllischen Rachen eine Zeitlang schweben, und ihren elenden Stand so bitterlich beklagen, und beweinen, daß es ein steinernes Hertz hätte sollen zum Mitleiden bewegen. Alsdann wurden sie von dem höllischen Rachen sammentlich verschluckt; und nahmen also einen ewigen Abschied von dieser Welt: von denen falschen Ergötzlichkeiten; von Sonn und Mond: an derer statt ihnen hinfür an die Flammen des höllischen Feuers in alle Ewigkeit leuchten solten. Nun, lasse ich einen erwegen, mit was Schröcken und Zittern ich mein Urtheil erwartet habe. Die böse Geister fiengen an, mir alle meine Verbrechen, auch die geringste herfür zu bringen: sie hatten alle meine Wort und Werck, auch die Gedancken auf das fleißigst aufgezeichnet. Von diesen allen mußte ich strenge Rechnung geben. Nichts war mir dazumahl so beschwerlich, als mein eigenes Gewissen: dann diejenige Sünden, so ich vor diesem für gering geachtet, die kamen mir jetzt unaussprechlich groß für. Sie warfen mir vor meine Undanckbarkeiten wider meinen GOtt und HErrn: siehe! sagten sie, ich bin der Wollust, dem du gefolget: ich bin der Ehr-Geitz, dessen du ein Leibeigner warest: ich bin das Silber und Gold, welches du für deinen GOtt gehabt. Wir alle seynd deine Kinder: uns hast du GOtt deinem Erlöser, vorgezogen. Solche starcke Anklagen hatten mir das Hertz dermassen benommen, daß ich nichts anders, als den erschröcklichen Ausspruch meiner Verdammnuß erwartete. Allein zu allem Glück tratte herfür mein Schutz-Engel, und erzählte etliche wenige gute Werck, so ich in Lebs-Zeiten verricht hatte. Niemand kan ihm einbilden, was ich damahlen für einen Trost darob empfangen. Glückselig seynd diejenige Händ, so in diesem Leben reichlich das Allmosen unter die Armen aussäen, damit sie dessen Früchten in dem anderen einsammlen mögen. Endlich ergienge das Urtheil; daß ich, anderen zur Unterricht, wieder in diese Welt kehren solte. Jch muß bekennen, daß ich damahlen unter allen meinen schweren Aengsten, und Beträngnussen, nach dem Schröcken in Anschauung der leidigen Teuflen, und Erwartung der Höllen, keinen grösseren Schröcken eingenommen, als ab meinem eigenen Leichnam, den man zur Erden bestatten wolte. Ist das der Maden-Sack (sprach ich zu mir selbsten) um dessentwegen ich [153] meinen GOtt und HErrn so oft auf die Seiten gesetzt? ist das die stinckende Gefängnuß, die ich der Freyheit, so mir Christus durch sein bitteres Leiden und Sterben erworben, so oft vorgezogen? dannenhero ich auch eine grosse Beschwernuß empfunden, wieder in meinen Leib, der mir wie eine kleine Höll vorkame, zu kehren. Nachdem ich mich aber mit ihm wieder vereiniget, verbliebe ich sieben gantze Täg stumm, und sinnlos: beweinte meine Sünden mit blutigen Zähern; alldieweilen mich das Wasser, solche abzuwaschen, nicht genugsam zu seyn gedunckte. Also befinde ich mich durch sonderbare Gnad GOttes wieder in diesem Leben; damit ich jedermänniglichen den Spruch des weisen Manns mit meinem Exempel erweise, der also lautet«: gedenck, O Mensch, deiner letzten Dingen, so wirst du ewiglich nicht sündigen. Caussinus in Aula Sancta P. 3. l. 3. c. 8.


Wem soll dise Erzählung nicht einen heilsamen Schröcken einjagen? und wie ist es möglich, daß man daran gedencke, und doch sündige? gütiger GOtt! verhüte es durch deine mächtige Gnad.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 151-154.
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