Neun und viertzigstes Exempel.

Ein frommer Priester erkennt durch ein Gesicht den innerlichen Stand dreyer Mägdlein, da sie seiner Meß beygewohnt.

[290] Es war ein frommer Priester, der lase täglich Meß: jedoch etwas längers als andere: indem er seiner besonderen Andacht pfloge. Als nun auf eine Zeit drey Mägdlein seiner Meß beywohnten, sahe er unter währendem Meßlesen erstlich von dem Himmel herunter steigen einen Engel, haltend in der rechten Hand einen Crantz, aus rothen Rosen zusammen geflochten, welchen er einem aus diesen Mägdlein auf den Kopf gesetzt. Bald darauf einen anderen, mit sich bringend einen Crantz von gelben Rosen, den setzte er gleichfalls einem andern Mägdlein auf den Kopf. Letztlich aber hatte er wegen des dritten Mägdleins ein gantz anderes Gesicht. Dann er sahe, was gestalten die böse Geister gegen ihr ein Compliment machten, gleich wären sie tantzende Jüngling, welche mit unverschamten Gebärden selbiges zu aller Geilheit anreitzten. Sobald die Meß aus ware, rufte der Priester die drey Mägdlein zu sich, und fragte ein jedes, mit was Gedancken es doch unter der Heil. Meß seye umgangen? dann er hätte ihnen was wunderliches zu sagen. Da bekennte ihm das erste, und sagte: es habe unter der Heil. Meß betrachtet, was gestalten die Juden Christo dem HErrn eine dörnere Cron so tief in sein Allerheiligstes Haupt hinein gedruckt hätten, daß ihm das Blut häufig über die Stirn und Wangen herunter geloffen. Da habe es dann aus Mitleiden bey sich selbst gesagt: Ach mein JEsu! wie viel hast du für mich gelitten! und wie wenig leide ich dir zu Lieb! O mich Undanckbare! da sagte der Priester: das ist die Ursach, daß dir unter der Heil. Meß ein Engel vom Himmel einen Krantz von rothen Rosen aufgesetzt hat. Dann durch [290] die rothe Farb der Rosen wurde bedeutet die rothe Farb des Bluts Christi. Fahre fort, mein Tochter! in solcher Betrachtung; habe Mitleyden mit dem leydenden JEsu, so wird er dich auch seiner Freuden im Himmel theilhaftig machen.


Hernach fragte er das anderte Mägdlein, was es unter der Heil. Meß für Gedancken gehabt hätte? und es bekennte, daß es ihme Christum den HErrn eingebildet, wie er noch als ein Kind in der Krippen gelegen. Da habe es dann seine zarte Händlein mit tieffester Ehrerbietung gekußt, habe ihm schön gethan, selbiges auf seine Armb genommen, an das Hertz gedruckt, und mit Freuden-Zähern benetzt. Recht, sagte der Priester: darum hat dir ein Engel vom Himmel unter dieser freudigen Betrachtung einen Krantz von gelben Blumen aufgesetzt: dann diese ist ein Freuden Farb.


Was hast aber du, fragte der Priester das dritte Mägdlein, unter der Heil. Meß für Gedancken gehabt, das Mägdlein bekennte rund heraus, und sagte: ich hab bey mir selbsten gedenckt: O was ist doch dieser Geistliche für ein Kertzen-Brenner! wie lang blättert er in dem Meß-Buch herum! es sollte einer glauben, er buchstabire ein Wort nach dem anderen. Ach! wann er doch einmahl fertig wär, so könnte ich auf den Tantz-Platz gehen, das wäre mir über essen und trincken. So so! sagte der Priester: jetzt nimmt es mich nicht wunder, daß dir die böse Geister unter der H. Meß ein Compliment gemacht haben. Du bist halt ein Welt Kind, und gedenckst an nichts anders, als an Springen und Tantzen, und dergleichen üppige Freuden, wordurch die böse Geister schon viel in ihr Netz gebracht haben. Hüte dich also, und folge vielmehr denen anderen zweyen Mägdlein nach: damit auch du mit ihnen in dem Himmel gleicher Freuden mögest theilhaftig werden. Und mit dieser Auslegung und Warnung entliesse der Priester die Mägdlein von sich. Godschalcus Holenius Serm. 100. Parte æstiva.


O wann man oft sehen könnte die Gedancken, welche von denen, so der H. Meß beywohnen, im Hertzen geführt werden, was für ungereimte Sachen würden heraus kommen? wie viel gedencken an nichts wenigers, als an die Gegenwart Christi auf dem Altar, wie viel tausend der Englen ihm aufwarten, wie sie auf ihre Angesichter aus tieffester Ehrerbietung fallen, und ihn anbetten; ist aber das die Ehr, die man GOtt schuldig ist, ist das die Andacht, die man bey diesem göttlichen Opfer haben solle? O Schand! O Verantwortung! O Gericht, das auf solche warthet.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 290-291.
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