Ein und Fünftzigstes Exempel.

Ein Oesterreichischer Printz wird wunderbahrlicher Weiß aus äusserster Lebens-Gefahr errettet.

[293] Maximilian, der Erste dieses Namens, Römischer Kayser, aus dem glorwürdigsten Haus Oesterreich entsprossen, als er noch ein junger Printz, hatte kein grössere Freud, als im Gembs-Jagen. Es seynd aber die Gembse wilde Geissen, die sich auf hohen Bergen, und schroffigen Felsen aufhalten, und im Springen von einem Felsen zum andern so geschwind seynd, als flogen sie im Luft. Nun geschahe es, daß, als dieser junge Printz sich im Tyrol (welches sehr gebürgig ist) aufhielte, und samt seinen Hof-Herren mit einer solchen Gembs-Jagd sich erlustigte, er auf einem überaus hohen Felsen sich dergestalten verstiege, daß er weder hinter noch für sich mehr konnte. Dann, sahe er über sich, so ware vor ihm der Gipfel des Felsens, der sich nicht besteigen liesse; sahe er unter sich, so schwindelte ihm vor der entsetzlichen Tieffe, in welche er stürtzen, und in Stuck zerfallen mußte, wann er den Felsen wiederum absteigen wollte. Das machte ihn nun nicht allein erstaunend, sondern füllte ihn auch mit einem ungemeinen Schauber an; indem er nicht sahe, wie man ihm [293] könnte zu Hülf kommen. Dann das Ort, wo er stunde, viel zu hoch war, als daß man selbiges mit Leitern besteigen, oder dem armen Printzen einige Seiler hätt zuwerffen können. Da verwarffe er dann seine Keckheit, welche ihn in solche Gefahr gesetzt hatte. Dann er sahe nichts anders vor, als die Nothwendigkeit, auf diesem schrofigen Felsen vor Hunger und Durst zu crepiren, und elendiglich dahin zu sterben. Wie nun die Hof-Herren ihren Printzen unten am Felsen in solcher Gefahr gesehen, da ist nicht auszusprechen, wie sie sein Unglück bedauret, und beweint haben; vornehmlich, weil hier weder zu rathen, noch zu helffen war. Als demnach der arme Printz in diesem elenden Stand nunmehr zwey gantze Tag und Nacht ohne Speiß und Tranck verharret, gabe er sich in den göttlichen Willen, schluge das gegenwärtige Leben in die Schanz, und war allein für das Ewige besorget. Zu diesem End schrye er zu seinen Hof-Herren von dem Felsen herunter, weilen es je um sein Leben geschehen seye, so wollen sie aus dem nächsten Dorf einen Priester mit dem Hochwürdigen Gut lassen herbey kommen, der ihm solches von weiten zeigen sollte; damit, weil er selbiges doch nicht empfangen könne, wenigst seine Seel in dessen Anschauung erquickt, und getröst werde; welche er auch in die Händ seines, in dem heiligen Sacrament gegenwärtigen Heylands, auf das kräftigste, als ihm möglich, befehlen wollte. Nun das ist geschehen, und hiemit die gottseelige Begierd des armen Printzen erfüllet worden. So bald in der Nachbarschaft das Geschrey erschollen, in was Gefahr der arme Printz sich befinde; da entstunde bey allen treuen Unterthanen ein solches Klagen, Jammern, Weynen, daß nicht davon zu sagen. Jedermann lieffe denen Kirchen zu, in welchen das Hochwürdige Gut ausgesetzt, und dabey das allgemeine Gebett von vielen Seufftzen und Weynen verrichtet wurde: damit doch der barmhertzige GOtt den armen Printzen aus der Gefahr erretten wollte. Ist auch solches Gebett nicht fruchtloß abgeloffen. Dann siehe! indem der arme Printz mit den Gedancken des künftigen Lebens beschäftiget ist, hört er hinter ihm ein starckes Geräusch. Er verwundert sich, was es bedeute solle. Schauet also zuruck, und sihet an der Wand des Felsens zu ihm hinauf kletteren einen wohlgestalten Jüngliing in Baurs-Kleydern. Dieser risse mit grossem Gewalt ungeheure Schroffen aus dem Felsen heraus, um hierdurch den Zugang zu dem Printzen zu bahnen. Wie er endlich zum Printzen hinauf kommen, reichte er ihm die Hand, und sagte: Printz! seyd getröst, und förchtet euch nicht, dann ich bin kommen euch aus der Gefahr, in der ihr seyd, zu erretten. Folget mir nach, ich will euch auf die Ebene, wo euere Hof Herren seynd, hinunter bringen. Der Printz folgte, ob ihm schon der Jüngling nicht bekannt war. Und siehe! er wird durch so wunderliche Weeg geführt, daß er selbst nicht gewußt, wie ihm geschiehet, [294] bis er endlich sich auf der Ebene befunden. Da sollte man gesehen haben, mit was Freuden ihm die Hof-Herren zugeloffen, wie sie ihm Glück gewunschen, was für Freuden-Zäher sie vergossen, mithin aber inständig bittend, er wolle ihnen doch erzählen, auf was Weis er von der erstaunlichen Höhe des Felsens herunter kommen wäre. Das thate der Printz. Indem er aber auf den Jüngling, der ihn errettet, deuten wollte, war er nicht mehr vorhanden. Ueber welches sich der Printz nicht wenig verwundert; dann er ihn reichlich zu beschencken gesinnet war. Weil er nun glaubte, der Jüngling habe sich etwann unter dem von allen Orthen herzu lauffenden Bauren Volck verlohren; werde sich aber schon wiederum sehen lassen, setzte er sich zu Pferd, und ritte unter dem Geschrey des frohlockenden Volcks seiner Residentz zu. Den Tag darauf liesse der Printz aller Orten ausruffen, daß man demjenigen Jüngling, der ihn errettet hatte, sollte nachfragen; dann er sollte reichlich beschenckt werden. Allein alles Nachfragen war umsonst, wiewohl der Printz die Gestalt, und Kleydung des Jünglings gantz genau beschrieben hatte. Woraus dann jedermänniglich mit bestem Grund geschlossen, es müsse ein Engel geweßt seyn, von GOtt geschickt, diesen noch allein übrigen Printzen zu Fortpflantzung des glorwürdigsten Hauses Oesterreich beym Leben zu erhalten. Bayerling in Theatro vitæ humanæ, sub verbo: Eucharistia.


Wer will zweiflen, daß GOtt durch diese wunderhahrliche Errettung habe wollen belohnen die hertzliche Andacht, so gedachter Printz nach dem Exempel seiner Anherren zu dem Hochwürdigen Gut getragen? dann wie löblich war es an diesem Printzen daß er anderst nicht sterben wollen, er hätte dann vorher seinen in dem heiligen Sacrament des Altars gegenwärtigen Heyland angebettet, und seine Seel in dessen Hände befohlen? O Gottseeligkeit, welche dem Glorwürdigsten Haus Oesterreich angebohren! weßwegen auch GOtt selbiges schon etliche Hundert Jahr bey dem Scepter des Römischen Reichs erhalten. Und, O daß ers noch ferner erhalte! das ist der Wunsch aller deren, so von der Oesterreichischen Gottseeligkeit, Milde, Gerechtigkeit, und Liebe gegen denen Unterthanen, wo nicht die Erfahrnus eingenommen, wenigst davon gelesen, oder gehört haben.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 293-295.
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