Sechzigstes Exempel.

Albertus, zugenamset der grosse, aus dem Prediger Orden, erlangt durch Unser Liebe Frau grosse Wissenschaft in natürlichen Dingen; verliehrt sie aber eine Zeit vor dem Tod wiederum.

[317] Als dieser im Orden noch ein junger Frater war, und der Wiessenschaft näturlicher Dingen obliegen sollte, wollte ihm selbige gar nicht eingehen. Dann er hatte einen schwachen Verstand, und Gedächtnus. Das betrübte ihn dann über die massen; indem er sehen mußte, was gestalten seine Schul-Gesellen alles so leicht fasseten; er aber für einen dummen, und ungeschickten Menschen gehalten wurde. Damit er aber andern nicht länger müßte zum Gespött dienen, nimmet er ihme vor, das Closter zu verlassen, und heimlich durchzugehen, welches auch geschehen wäre, wann nicht unser liebe Frau (zu dero er eine sonderbahre Lieb und Andacht truge) sich seiner erbarmet hätte. Dann in selbiger Nacht, da er die Flucht aus dem Kloster nehmen wollte, überfiele ihn ein tieffer Schlaf, in welchem er folgendes Gesicht hatte.


Es kame ihm vor, als hätte er wircklich eine Leiter an die Kloster-Maur gesetzt, und stiege die Staffel hinauf. Als er nun in der Mitte war, da ersahe er zu oberst der Maur vier himmlische Jungfrauen, von ausbündiger Schönheit, welche warteten, ob er sich erkühnen wurde weiter hinauf zu steigen. Und als er dannoch fortfuhre, stiessen ihn zwey aus ihnen mit Gewalt zuruck, hoffend, er wurde von seinem unbesonnenen Vorhaben abstehen. Allein, er liesse sich nicht abschröcken, ob er schon das andertemahl zuruck gestossen worden. Also dann bemühete er sich, die Leiter das drittemahl zu besteigen. Aber da redete ihn die dritte aus denen Jungfrauen [317] an, und fragte ihn mit diesen Worten: Was hast du im Sinn, du unbesonnener Jüngling, was wilst du anfangen, wilst du das Kloster verlassen, wo gedenckest doch hin; siehest du nicht, daß du deinem Verderben zulauffest? Albertus antwortete: soll es ein Wunder seyn, wann ich das Kloster verlasse, was nutze ich darinn, das Studieren geht mir doch nicht ein; und muß ich meinen Schul-Gesellen nur zum Gespött dienen. Ist ja für mich besser, ich seye in der Welt draussen, und lebe ruhig darinn? Auf diese Antwort sagte die Jungfrau: das ist noch kein genugsame Ursach, das Kloster zu verlassen. Vielmehr demüthige dich wegen deiner Ungeschicklichkeit, so machest du dir einen Verdienst im Himmel. Wann du aber je ein so grosse Begierd hast etwas zu lernen, warum suchest du nicht anderstwo Hülf; Ja antwortete Albertus: wer wird mir helffen, auf Erden finde ich Niemand, zu dem ich ein Zuflucht könnte nehmen. Als die Jungfrau das gehört, deutete sie mit dem Finger auf die vierte Jungfrau, und sagte: Siehe! diese Jungfrau kan und wird dir helffen, wann du sie nur anruffest. Albertus diß hörend, erhube seine Augen zu der ihm gezeigten Jungfrau, und nahme wahr, daß selbige an Schönheit die andere weit übertraffe. Konnte also leicht erachten es müsse Unser liebe Frau seyn. Darum er auch mit dem Steigen ingehalten, und die Jungfrau mit grosser Hertzens-Freud betrachtet hat. Diese aber fragte ihn mit folgenden Worten: Was verlangest du von mir, wilt du etwann vortreflich werden in der Wissenschaft göttlicher oder natürlicher Dingen; du darffest es nur sagen, so solle deinem Verlangen ein Genügen geschehen. Auf dieses freygebigste Anerbieten sagte Alberturs: O unvergleichliche Jungfrau, weilen du dich so freygebig anerbietest, so nehme ich es mit höchster Erkanntlichkeit an. Bitte demnach, du wollest meinen Verstand also schärffen, damit er die Wissenschaft natürlicher Dingen leichtlich ergreiffen, und behalten möge. So seye es dann sagte Unser Liebe Frau: dir geschehe nach deinem Verlangen. Allein, weilen du die Wissenschaft natürlicher Dingen denen Göttli chen vorgezogen, sollest du selbige zur Straf deiner Unbesonnenheit vor deinem Tod auf einmahl verliehren, und wiederum ein Unwissender werden, wie du vorhin warest. Dieses geredt, verschwande sie samt denen anderen Jungfrauen, und hatte damit das Gesicht ein End.


Als nun Albertus hierauf erwacht, und folgenden Tag wiederum in die Schul kame, zeigte es sich gleich, daß er keinen leeren Traum gehabt. Dann als er seinem Lehrmeister zuhörte, konnte er gleich alles fassen. Ja er fienge an von der Beschaffenheit natürlicher Dingen so geschickt zu reden, [318] daß sich der Lehrmeister samt seinen Lehr Jüngeren nicht genug darüber verwunderen konnte. Dann der vorhin ein Unwissender geweßt, ware nunmehr ein Meister; und zwar in so vollkommenem Staffel, daß der nicht allein auf hohen Schulen mit grossem Ruhm, und Zulauf der Lehr-Jünger seine Lehr vortruge, sondern auch seines gleichens in der Wissenschaft natürlicher Dingen selbiger Zeit nicht hatte. Nun wie gienge es mit der Zeit, höre, nachdem er viel Jahr die Schulen mit seiner Wissenschaft angefüllet, geschahe es auf eine Zeit (und das drey Jahr vor seinem Tod) daß er die Wissenschaft natürlicher Dingen seinen Lehr-Jüngern mit Erstaunung vortruge. Allein da er mitten in der Rede war, verliesse ihn gähling die Gedächtnus samt aller vorgehabter Wissenschaft; also, daß er nichts mehr davon zu sagen gewußt, und wiederum so unwissend worden, als er vor diesem war. Ueber welches dann seine Lehr-Jünger anfänglich zwar heftig erstaunet, weilen sie aber vorher öfters von ihm gehört, daß ihm auf die letzte also gehen werde, veränderte sich die Erstaunung in ein hertzliches Mitleiden, welches sie auch mit Vergiessung der Zäher, wegen Verlust eines so vortreflichen Lehr-Meisters bezeugt haben. Worauf sich Albertus von ihnen berlaubet, und sich in sein Clösterliche Zill verschlossen, worinn er drey Jahr lang ein einsames Leben geführt, und durch Ubung allerhand Tugenden sich zum Tod bereitet hat. Ist auch nach Verfliessung solcher Zeit mit solchem Ruhm der Gottseeligkeit gestorben, daß er von der Catholischen Kirchen in die Zahl der Seeligen im Himmel eingeschrieben worden. Ex Annalibus Dominicanis apud Hieron. Platum. l. 2. de statu Religioso. c. 33.


O Maria! was Sorg tragest du für diejenige, welche dir mit Liebe und Andacht zugethan seynd, so bald du siehest, daß sie Noth leyden, kommest du ihnen zu Hülf. Du lassest nicht zu, daß sie dir umsonst sollen gedient haben. Wohl ein liebliche Mutter! wer sollte dir nicht gern dienen? O Christliche Jugend! komme, komme, erwähle Mariam für deine Mutter. Liebe sie, verehre sie, begibe dich unter ihren Schutz. O wie wohl wirst du versorget seyn, liegst du dem Studieren ob, und findest da und dort eine Beschwernus, O! so ruffe sie an, als den Sitz der Weisheit, und sie wird dir gewiß zu Hülf kommen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 317-319.
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