Ein und sechzigstes Exempel.

Ein untreuer, undanckbarer Gesell fallt eben in die Gruben, die er seinem grösten Gutthäter gegraben.

[319] Zur Zeit des Türckischen Kaysers (insgemein Sultan genennt) und grausamen Verfolgers der Christenheit, Selims, waren die Meer-Rauber mit ihrem Streiffen, und starcken Auslauffen auf dem Mittelländischen Meer denen Christen um die Insul Corfu, (so dermahlen denen Venetianern zugehörig) sehr beschwehrlich. Unter anderem köstlichen Raub, so sie erschnappt, befande sich auch ein Christlicher Jüngling, Lamprinus mit Namen. Dieser war von gedachter Insul gebürtig, so Edel von Geschlecht, als schön von Gestalt. Ein Bild, deme die Tugend und heroische Tapferkeit aus den Augen heraus schiene. Eine Blum, so mit Rosen und Lilien stritte. Mit dieser ihrer Beut fuhren die Raub-Vögel Constantinopel, der Haupt- und Residentz-Stadt des Türckischen Kayserthums zu, und verehrten sie dem Türckischen Kayser Selim; in Hofnung, kein schlechtes Trinckgeld darvon zu tragen; wie sie dann auch in ihrer Hofnung nicht betrogen worden. Als nun Lamprinus in den Händen dieses Christen-Feinds war, stunde es an dem, daß er dem gemeinen Brauch nach, samt anderen seinen Lands- Leuten auf die Fleisch-Banck sollte gelieffert werden, weilen den Augen des Blut-Hunds kein lustigeres Schau-Spiel konnte angerichtet werden, als wann er die arme Christen Heerd-weiß, wie die unschuldige Lämmer nidermetzgen sahe. Aber die ausbündig schöne Gestalt (welche, weiß nicht was für ein heimliche Kraft hat die Gemüther einzunehmen, und dazumahl bey Lamprino in ihrer ersten Blühe stunde) hat auch dieses grimmige Panther-Thier besänftiget, und zahm gemacht; also zwar, daß ihme Selim das Leben zu schencken sich anerbotten, wann er den Christlichen Glauben verlaugnen wollte. Das ware nun ein schwehre, wichtige Sach, welche aber Lamprinus dazumahl ein junges Herrlein v. 15. Jahren eben so genau nicht überlegte, sondern aus natürlicher Forcht des Tods angelobte, dem Befehl des Kaysers in allem zu gehorsamen. Gedachte doch beynebens, sich nur äusserlich also zu stellen, inwendig aber und im Hertzen allein den wahren GOtt anzubetten. Hierauf wurde er beschnitten, und aus Befehl des Kaysers an dem Türckischen Hof unter den Edel, Knaben erzogen; welche er, gleichwie an der Gestalt, also auch an Tapferkeit und Erlernung allerhand Ritter-Spielen so weit übertroffen, daß er gar bald vor allen anderen das Hertz des Kaysers an sich gezogen, durch dessen Gunst er von einem Ehren-Staffel [320] zu dem anderen erhoben, in gar kurtzer Zeit die Stell eines Cammer Herrns erlangt hat. Aber seine Erhöhung deuteten andere zu ihrer Beschimpfung aus, und konnten es nicht wohl verkochen, daß ein Ausländer, und zwar ein Christ, von dem man nicht wußte, aus was für einer Eich er herfür geschloffen, ihnen um den Kayserlichen Hof so wohl verdienten, und getreuen Dienern solte vorgezogen werden. Doch mußten sie die gewöhnliche Hof-Suppen, so der Neid und Ehrgeitz anzurichten pflegt, wieder ihren Willen hinein fressen, und durften sich mit keinem Wörtlein wider Lamprinum auch nur von weitem verlauten lassen; wolten sie anderst ihren Herrn, den Kayser, nicht aus der Wiegen werfen.


Unter andern Mißgönnern des Lamprini befande sich der geheime Secretari des Kaysers, Zelim mit Namen; eines verschmitzten Hirns; aber wunder-seltsamer Kopf. Dahero er einstens auf einmahl bey seinem Herrn, dem Kayser, die Brühe verschüttet, und in höchste Ungnad gerathen; also daß er seines Diensts entsetzt, ftündlich, ja augenblicklich anders nichts, als den Strick von dem Tyrannen zugewarten hatte. In dieser seiner äussersten Noth wußte er kein andere Zuflucht, als bey Lamprino zu suchen. Allein das Bitten Kame ihn hart an; mußte doch gleichwohl den Mantel nach dem Wind kehren, und an dieser Gnaden-Pforten anklopfen. Er wartete ihm demnach an einem gelegenen Ort auf; und als er ihn, seinem Anbringen Gehör zu geben, geneigt sahe, brachte er in einer zierlichen Red (welche aber mit vielen Schmeichlereyen unterfüttert war) sein Anliegen vor. Sie lautete also: Lamprine! weilen mir bewußt, daß du alles bey dem Kayser giltest, und sein Aug-Apfel bist, der dir nichts abschlagen kan; als bitte ich dich durch diese sonderbare Gunst, dir wollest mir, als deinem unwürdigsten Sclaven (also nennte sich nach Schmeichler Art diese Hof-Katz) noch dieses letzte Freund-Stuck erweisen, und durch dein mächtige Vorbitt mich bey dem Sultan wiederum aussöhnen, mit der Versicherung, daß ich solche Gutthat tief in mein Hertz eingraben, und selbiger nimmermehr vergessen werde. Lamprinus hatte ein Hertz, so weich, als ein Wachs; und gleichwie er durch eigene Erfahrung erlernet, was es seye, in Unglück gerathen, also wußte er mit dergleichen elenden Personen auch Mitleiden zu haben: liesse sich also erbitten, und versprache sein Bestes zu thun. Nahme darauf bald die Gelegenheit, und brachte mit solchem Ernst und Nachdruck des Secretari Angelegenheit vor, als wann es sein selbst eigene Sach wäre. Der Sultan gabe ihm einen Verweis, und sagte: »Was gedenckst du, daß du für einen solchen Mann, der den Strick schon zehen mahl verdient hat, eine Vorbitt einlegest? O! wann du ihn zu Genügen kenntest, wurdest du es wohl bleiben [321] lassen. Ja es ist zu besorgen, daß, wann ich ihn begnadige, solches meiner Cron zum Nachtheil; dir aber, als seinem Vorsprecher, zum eigenen Verderben, und Untergang gereiche.« Weilen aber dessen ungeacht Lamprinus mit unterthänigster Bitt um Gnad anhielte, liesse sich der Kayser endlich bereden, und wurde der Secretari gleich darauf in sein voriges Amt und Würde wiederum eingesetzt. Allein dieser Secretari ware beschaffen, wie ein Glas, das einen Spalt hat. Schütte man hinein den besten Wein, oder Saft, so wird doch in kurtzer Zeit alles wiederum ausrinnen. Aeusserlich stellte er sich zwar gantz freundlich, und danckbar gegen dem Lamprino: inwendig aber glostete der alte Grollen, und verdrosse ihn heimlich in der Haut, daß er diesem Ausländer auch nur einmahl hätte müssen aufwarten. Beschlosse also, nachdem er sich in seinem Dienst wiederum vest gesetzt, den Lamprinum bey nächster Gelegenheit aus dem Sattel zu heben.


Unter denen Kebs-Weiberen des Sultans befande sich eine, Tamulia mit Namen; welche vor diesem auch aus der Christen-Land entführt, dem äusserlichen Schein nach eine Türckin; innerlich aber eine Christin, und des Lamprini (wie hernach wird zu hören seyn) nächste Landsmännin ware. Diese hatte schon vor allem anderen Frauen-Zimmer ihrer Schönheit halber den Vorzug. Dannenhero der Sultan sich auch mehr gegen ihr, als andern, geneigt erzeigte. Und damit ihr nur nichts Leids widerfuhre, überliesse er sie, als er einstens wichtiger Geschäft halber verreisen müssen, der Obsicht und Verwahrung seines getreuestens Dieners, nemlich des Lamprini über; mit Befehl, auf sie nicht weniger, als auf den grösten Schatz des Kaysers, Acht zu haben. Welchem Befehl Lamprinus um desto lieber nachkame; weilen er schon anderwärts in Erfahrung gebracht, daß Tamulia mit ihm einerley Glaubens, einerley Lands, einerley Geblüts, ja seine leibliche Schwester wäre; obwohlen solches weder dem Kayser, noch jemand anderen offen, und bekannt ware.


In Abwesenheit des Sultans bekamen diese beyde Hertzen, Lamprinus, und Tamulia Luft, grössere Verträulichkeit zu pflegen, und ihrem Wunsch nach, eines dem anderen seine Gemüths-Regungen in der stillen Einsamkeit eines Zimmers zu entdecken. Bald bedaureten sie mit einander ihr Unglück, welches sie von ihrem lieben Vatterland entführt hätte bald danckten sie dem Himmel, der sich gleichwohl auch in dem Elend gegen ihnen mehr, als günstig, erzeigte. Ein andersmahl unterredeten sie sich mit einander in Glaubens-Sachen; und vollbrachten etwann unter einem Fenster, mit dem gefangenen Daniel, ihr Gebett, den höchsten GOtt demüthigst bittende, er wolle ihnen doch durch sein allmögende Kraft und Würckung aus ihrer Gefangenschaft, und [322] Machometischen Greuel hinweg auf ein grünes Zweig, und in die vorige Freyheit helfen; damit sie seinem heiligsten Namen gebührende Ehr erzeigen, und unter seinen Glaubigen mit Mund und Hertz ihn loben, und preisen möchten. Solches ihr ernstliches Verlangen bestättigten sie mehrmahlen mit einem so häufigen Regen der Zähern, daß sich die herumstehende marmelsteinene Saulen des Kayserlichen Pallasts hätten darüber erbarmen mögen. Das gantze Gespräch wurde gemeiniglich mit einem liebreichen Hand-Kuß beschlossen. Sie konten aber ihre Sach so heimlich nicht anstellen, daß nicht auch der Secreteri etwas davon innen wurde; der in Abwesenheit seines Herrns, des Sultans, mehr dann sonst ein offenes Aug auf Lamprinum hatte, und etwann ein und das andere mahl durch das Schlüssel-Loch zusahe, da er eben mit der Tamulia gedachter massen guter Verträulichkeit pflegte. Solche Gelegenheit nahme der treulose Verräther wohl in Acht; weil sie ihm treflich diente, den Lamprinum bey dem Sultan anzuschwärtzen, und in Verdacht zu bringen, als wann er die Tamulia nur gar zu viel gehütet hätte; wohl wissend, daß der eifersüchtige Geist des Sultans solches zu seiner höchsten Beschimpfung wurde aufnehmen. So bald derohalben der Sultan von seiner Reise wieder zuruck kommen, und sich mit ihme, als geheimen Secretari, eines gewissen Geschäfts halber in einem Zimmer allein unterredete, wendete er mit Gelegenheit die Rede anderstwo hin; und beklagte Anfangs nur insgemein; »daß bisweilen die Monarchen und König mit schlechtem Danck, und nicht geringer Gefahr sich, und die ihrige denen Ausländern anvertrauten; als welche ihre Treu nur ums Geld thäten bieten, und so lang sich eingezogen hielten, so lang sie ihren Herren unter den Augen wären.« Sultan der arge Fuchs, merckte gar bald, es müßte in seiner Abwesenheit etwas fürüber gangen seyn: bedrohete derohalben den Secretari, ihme nichts im geringsten zu verhelen. Worauf der Secretari die Achsel zoge, gantz bestürtzt, und gleichsam darzu gedrungen, was er mit Augen von Lämprino und der Tamulia gesehen, umständlich (doch mit einem mercklichen Zusatz) erzählte; der Innhalt bestunde kürtzlich in dem: Lamprinus hatte wider alle Gebühr und Aufsehen auf dero hohe Person, der Tamulia nur gar zu viel aufgewartet. Ob aber die That selbst erfolget seye, das wußte er für keine Gewißheit auszugeben; obwohlen er daran keinen Zweifel truge. Solches, was es immer seyn möchte, habe er in seinem Gewissen eine Schuldigkeit befunden, Ihro Majestät unterthänigst zu hinterbringen.


Das ware nun der schöne Danck, welchen dieser undanckbare Gesell seinem Erhalter, und grösten Gutthäter auf Erden, dem Lamprino gabe. Daß er, was sich zugetragen, und er gewiß wußte, dem Sultan zu Ohren [323] gebracht, wird nicht getadlet: ware ein wichtige Sach, und er seinem Herrn anzudeuten schuldig Daß er aber aus Neid und Haß mehr daraus gemacht, als es ware, und zwey unschuldige Seelen einer Sach beschuldiget, daran sie nie gedacht hatten, hat er sich schwerlich wider die Gerechtigkeit, und Liebe des Nächsten vegriffen, und ist dem hierdurch beleidigten GOtt auf ein neues in die Straf gefallen; da er kaum ein kleines zuvor dem Strick entgangen.


Der Sultan erschracke heftig ab dieser unerwarteten Zeitung. Konnte nicht wohl glauben, daß Lamprinus, von dem er nie das geringste von einer Untreu verspührt, jetzt auf einmahl seiner Schuldigkeit vergessen, und wider seinen Kayser also schändlich sich vergriffen haben solte. Anderwärts kame ihm nicht glaublich vor, daß der Secretari also verwegen seyn, und ohne Grund ihme wider den Lamprinum, deme er sonderlich verpflichtet war, in einer so wichtigen Sach eine Unwahrheit vortragen därfte. Seye ihm, wie ihm wolle, es müsse etwas darhinter stecken. Nachdem er sich eine Weil bedacht, und die Farb im Angesicht vielfältig verändert, sagte er letztlich dieses wenige: Hörest du, Zelim! du weißt, was du mir, was du dem Lamprino schuldig bist. Werd ich darhinter kommen, daß du einen Verleumder abgebest, so schwöre ich dir bey dem Mahomet, und bey meinem Scepter, daß kein Marter und Pein solle gefunden werden, die ich dir nicht wolle lassen anthun. Deinen Leib will ich denen Hunden vorwerfen; und dein Seel durch den grausamsten Tod in die Höll hinunter schicken. Finde ich aber dich hierinn treu, und den Lamprinum schuldig, so solle auch dir dein Lohn, und ihme die verdiente Straf nicht ausbleiben. Halte alles in Geheim: ich selbst will hinfüran mehr, dann zwey Augen, auf Lamprinum und Tamuliam haben. Der Secretari neigte das Haupt zur Erden, zum Zeichen der Unterthänigkeit: und ware ihm genug für diesmahl, daß er den Zundel so wohl zugericht hätte, welcher mit allernächstem solte Feur geben.


Von dieser Zeit an machte ihm der argwöhnische Sultan allerley Calender, und kochte in seinen Gedancken nichts Gutes für den Lamprinum: worbey dann die Eifersucht am meisten Holtz zutruge. Wann er etwann allein in seinem Zimmer sich befande, oder in einem Lust-Haus spatzieren gienge, stellte ihm bisweilen die Einbildung vielerley Phantaseyen vor. Was? sagte er bey sich selbst: »Lamprinus? Tamulia? wer hätts gemeint? Lamprinus? den ich meiner Gunst gewürdiget, und so hoch aus dem Staub der Erden erhoben, sollte sich erkühnen, das Kayserliche Beth zu entunehren? Pfui der Schand! aber nein. Lamprinus ist so keck nicht: er liebt, und förchtet mich: hab noch nie kein Untreu von ihm erfahren. Der Secretari [324] wird aber ja nicht lügen? die Jugend ist frech: die Gelegenheit macht den Dieb; und hat auch diesen jungen Menschen zu einem Rauber meiner Ehren gemacht: er ist schuldig. Vielleicht ist ers aber nicht? was verziehe ich dann lang? Warum werfe ich ihn nicht alsobald an die Folter? Hab ich dann keine Geissel und Peitschen; keine glüende Zangen und Hacken mehr, die Wahrheit durch die peinliche Frag heraus zu pressen? ist aber besser, still mit, der Sach umgehen. Ich will mein Haupt ehender nicht sanft legen, bis ich auf den Grund kommen. Eintweders Lamprinus, oder der Secretari soll ein Schlacht-Opfer meines« Zorns seyn: Also tobte der Sultan bey sich selbst: und ware sein Gemüth gleich einer Wasser-Wellen, so von zwey widrigen Winden hin und her getrieben wird. Es stunde nicht lang an, da brache das Feuer aus: eintweders weil der Sultan selbst gähling einen freundlicheren Augen-Winck erblicket; oder sie sonst etwann in einem verträulichen Gespräch beysammen erdappet: da ware es geschehen. Er liesse unverzüglich den Secretari für sich ruffen; bey dessen erstem Eintritt in den Saal er gleich in diese Wort heraus brache: Nunmehr stelle ich deinen Worten Glauben zu, nachdem ich durch eigenen Augenschein, leider! nur gar zu wahr befunden, was du mir neulich des Lamprini und Tamulia halber vorgetragen. Aber der treulose Sclav wird solche Frechheit hart genug müssen bezahlen, und innerhalb wenig Stunden ein Speis der Löwen seyn. Nicht ist auszusprechen, was diese Vertröstung für ein kühles Thau dem Secretari abgeben. Er konte sich vor Freuden nicht fassen, als er sahe, daß sein Anschlag auf den Lamprinum einen so glücklichen Ausschlag gewunnen: wünschte dem Kayser lange Regierung, und daß alle seine Feind also möchten zu Schanden werden; und striche davon.


Unter anderen Fürstlichen Raritäten und Lustbarkeiten ware ausser der Stadt Constantinopel ein Thier-Garten von Löwen, Bären, Tigern, und anderen Thieren; welche zu des Kaysers Lust bisweilen an einander gehetzt wurden. Kaum ware der Secretari zu dem Saal hinaus, da liesse der Sultan den Thiermeister beruffen, und ertheilte ihm in Geheim Befehl, daß er des Tritts ohne Ansehen der Person, und weitere Umfrag, denjenigen sollte den Löwen fürwerfen, der heut am ersten zu ihm kommen, und fragen wurde: Ob er des Kaysers Befehl vollzogen hätte; oder nicht? der Thiermeister verspricht, dem gemessenen Befehl nachzukommen. Worauf alsobald auch Lamprinus geholet wurde. Diesen, nachdem er eins und das andere gefragt, so zur Sach nicht gehörig, schickte der Kayser in den Thier-Garten, mit Befehl, den Thiermeister zu fragen, ob er, was gebotten, schon vollzogen hätte; oder nicht? er verlange, noch heut[325] eine Antwort zu wissen. Lamprinus gienge zwar hin: aber doch kame ihm des Kaysers Befehl etwas seltsames vor; als von deme er bishero niemahls zu einem so schlechten Botten-Dienst wäre gebraucht worden, so ein jeder Laquey besser, dann er verrichten konte. Vielleicht hatte er auch aus den Augen, und verstellter Red des Tyrannen einiges Zeichen des wider sich gefaßten Grimmens gemerckt. Aufs wenigist weissagte ihm sein Hertz nicht viel Gutes, und sein Schutz-Engel mahnte ihn heimlich, in Vollziehung des auferlegten Befehls nicht zu fast zu eilen. Tratte demnach unter Weegs ein wenig beyseits in ein kleines lustiges Wäldlein; und nachdem er seinen Gedancken Luft gemacht, auch den Rock obenher etwas eröfnet, fienge er sein Gebett mit hertzlichem Seufzen folgender Gestalt gegen dem Himmel auszuschütten:


Christe JEsu! sagte er: du Erforscher meines Hertzens: du weißt, wie aufrecht ich es mit dir meine. Und ob ich schon dem äusserlichen Schein nach mich anderst stellen muß; daß es doch nicht von Hertzen gehe; sondern ich in der That selbst keinen andern GOTT weder erkenne, noch anbette, ausser dir, meinem Erlöser und Seligmacher. Siehe nicht an meine Missethaten, so ja freylich den Tod tausend mahl verdient haben; sondern vielmehr deine unendliche Barmhertzigkeit, mit welcher du die Sünder aufnimmest; deren ich der grösten einer bin. Ich bitte dich aus tiefesten Hertzens Grund wann je etwann (wie ich beförchte) ein Unglück auf mich wartet, du wollest selbiges gnädig abwenden, und nicht zulassen, daß diese Türckische Hund also ungescheuet in dem Blut deiner Glaubigen, für welche du gestorben bist, umwulen; sondern eröfne mir vielmehr die Porten dieser so harten Dienstbarkeit, und heimlichen Nachstellungen meiner Mißgönnern zu entrinnen; damit ich wiederum zur Freyheit der wahren Kindern GOttes gelangen, und dich samt allen Auserwählten in Ewigkeit loben und preisen möge, Amen. Also erzählte der betrübte Lamprinus den schattächtigen Bäumen des Walds sein Anligen, und empfienge gleichwohl in etwas einen Trost, als er vermerckte, daß die herumstehende hohle Bühelein ein Mitleiden mit ihm erzeigten, und das letzte Wort Amen (es soll geschehen) durch einen Wiederhall zuruck gaben. Bewafnete darauf sein Stirn, Mund, und Brust mit dem Zeichen des Heil. Creutzes, und nahme seinen Weeg dem Thier-Garten zu. Entzwischen ware dem verrätherischen Secretari Zeit und Weil lang, bis man ihm die Bottschaft brächte, Lamprinus wäre von den grimmigen Thieren zerrissen, und aufgefressen worden. Stunde immerdar in Sorgen, es möchte der ergangene Befehl widerruffen werden und den Sultan eine gählinge Reu ankommen; [326] weil er nur gar zu wohl wußte, wie sehr Lamprinus ihm an das Hertz gewachsen wäre. Aber, wie er hörte, daß man ihn für den Sultan beruffen, und denselben bald hernach dem Thier-Garten zugehen sahe, wurde ihm aller Zweifel benommen. Als er derohalben bey einem gleichen meinte, jetzt möchte er ohngefähr den Rest bekommen haben, eilte er Fürwitz halber, und nur aus dem Wunder zu kommen, gantz allein dem Thier-Garten zu. Und als er den Thier-Meister vor der Garten-Thür müßig antraffe, fragte er, ob des Sultans Befehl schon wäre vollzogen worden? der Thiermeister gedachte nicht anders, als eben das wäre der rechte Brocken für seine Löwen: gabe demnach zur Antwort, er sollte sich nur ein wenig hinein bemühen, und selbst den Augenschein einnehmen. Der Secretari anderst nicht vermeinend, als er wollte seinen Augen ein angenehme Weyd finden, wann er die halb-verzehrte blutige Beiner des Lamprini konte anschauen, tratte hinein; wurde aber alsobald von dem Löwen-Meister, und seinen Knechten angegriffen, und ungeachtet seines Protestierens, denen Löwen vorgeworfen, and von ihnen in Stucken zerrissen. Da hat es wohl redlich geheissen, was David sagt am 7. Psalm. Er ist selbst in die Gruben gefallen, die er einem anderen zubereitet hat. Untreu trift gemeiniglich seinen eigenen Herrn. Und der gerechte GOtt laßt es vielmahl geschehen, daß undanckbare, heimtückische, betrügliche Leut mit ihren eigenen bösen Anschlägen erschlagen, und zu Grund gerichtet werden.


Ein, und die andere Stund hernach kommt auch Lamprinus, und fragt, ob des Sultans Befehl vollzogen wäre? deme der Thiermeister gantz höflich mit Ja geantwortet, und die noch übrige Kleider von dem Secretari gewisen; und zugleich erzählet, was er in dem Befehl gehabt, und wie sich der Secretari vergebens widerspenstig erzeigt hätte; vorgebend, wie daß dieses Spiel nicht ihme, sondern einem andern von dem Sultan vermeint wäre. Lamprinus gedenckte ihm seinen Theil; nahme bald von dem Thiermeister Abschied, und sagte GOtt aus dem innersten seiner Seelen Danck, daß er ihn aus dieser augenscheinlichen Lebens-Gefahr, und gelegten Fall-Stricken erlediget hätte; und batte noch um ferneren Beystand. Gienge darauf in den Hof-Stall, und liesse ihm eines aus den besten Pferden sattlen; unter dem Vorwand eines wichtigen, und ihm allein von dem Sultan anvertrauten Geschäfts: setzte sich darauf; gienge durch, und kame in kurtzer Zeit an den Christlichen Gräntzen in Sclavonien an: allwo er sich vor allen Dingen mit der Christlichen Kirchen durch die Heil. Beicht wiederum versöhnt; hernach dem Sultan einen Brief zugeschrieben, worinnen er die Ursach seiner Flucht angezeigt, und sich höchstens beklagt über die Treulosigkeit [327] des Secrtari, welchen GOtt seiner Undanckbarkeit, und falscher Verleumdung halber so denckwürdig gestraft hätte. Wie sehr ihm aber von diesem Böswicht Unrecht geschehen, könten Ihro Majestät ohnschwer aus diesem abnehmen: »Daß die Tamulia (um derent willen er zweifels ohne von dem Secretari in solches Spiel wäre gebracht worden: sonsten er sich durch aus nichts schuldig wußte) seine leibliche Schwester; und also sie gepflegter grösserer Freundschaft halber ja nicht zu verdencken seye. Und damit seine Majestät sehen, wie des Lamprini Treu, und schuldigster Respect gegen dero hohe Person noch immerdar aufrecht, und unverfälscht grüne, schicke er samt diesem Schreiben das Pferd dessen er sein Leben zu ertretten vonnöthen gehabt, wiederum zuruck, und bedancke sich noch einmahl, ja zu tausend mahl um die vielfältig und mit recht Kayserlicher Mildigkeit ihme erwisene Gutthaten; demüthigst bittend, die Tamulia seinetwegen nichts entgelten zu lassen.«


Entzwischen kommt die Flucht des Lamprini: und der Tod des geheimen Secretari aus: worüber der Sultan theils zörnte; theils wohl auch die wunderliche Schickung des Himmels erkennte; welcher allem Ansehen nach der Unschuld die Hand reichen, und den undanckbaren, ungerechten Verfolger in diejenige Fall-Strick hätte leiten wollen, welche er einem anderen heimlich gelegt hatte. Bald hernach empfangt er des Lamprini Brief; ruft die Tamulia für sich, und fragte sie, ob sie dem Lamprino verwandt wäre? sie beantwortete die Frag mit ja, und bekennte, frey rund, wie daß sie sein Schwester wäre; obwohlen sie solches zu offenbaren bishero ihr nicht getraut hätte. Hierüber schossen dem Sultan die Zäher in die Augen, und bedaurte sehr hoch, daß er dem treulosen Ohren-Blaser Secretari zu viel geglaubt, und seinen liebsten Lamprinum in solche Betrübnuß und Lebens-Gefahr gestossen hätte. Befahle hiernächst der Tamulia, ihme zu schreiben, und (wo möglich) zu bereden, wieder umzukehren. Ja er selbst verfertigte ein eigenes Hand-Brieflein an ihn ab, und erbotte ihm alle Kayserliche Gnad, wann er wieder wollte zuruck kommen. Aber umsonst. Lamprinus wolte nicht mehr trauen. So gienge auch der Kayser bald hernach mit Tod ab, und vermachte in dem Testament der Tamulia grosse Reichthum und Schätz. Und weil sie wiederum nach ihrem Vatterland Verlangen truge, machte sie solches ihrem Bruder zu wissen; der dann von Solyman, des verstorbenen Sultans Nachfolger im Reich, sicheres Geleit erlangt; auf Constantinopel verreißt; und seine Schwester nach Corfu in ihr Vatterland übergeführt: deme sie hernach ihre Reichthum überlassen, in ein Closter gangen; ein bußfertiges Leben geführt, und endlich samt ihrem Bruder (der in der Welt geblieben; ihr aber, und ihren geistlichen Schwesteren reichliche [328] Unterhaltung verschaft) Christlich in dem HErrn entschlaffen ist. Stengelius de pœna Talionis c. 12. §. 6. ex Novellis Joan. Baptistæ Giraldi, impressis Venetiis Anno 1584.


Eine fast gleiche Begebenheit ist auch oben unter den frommen Kindern erzählt worden. Allein Curiosität halber ware es der Mühe wohl werth, auch diese der Christlichen Jugend bekannt zu machen; auf daß sie ab aller Undanckbarkeit bey Zeiten ein Abscheuen fasse. Lasse sie ihr gesagt seyn den Spruch Kaysers Antonii Aurelii, den man einem Undanckbaren könnte auf das Grab setzen. Undanckbar sterben ist der allerehrloseste Tod. Einen solchen Tod hat genommen der undanckbare Secretarius. Liebe Jugend! liebst du die Ehr, so stosse dich an solche schmähliche Grabschrift! und gibe acht, daß du allezeit danckbar lebest, und nicht undanckbar stirbest.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 319-329.
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