Drey und achtzigstes Exempel.

Ein unsinniglich verliebter Edelmann wird auf einmahl dergestalten verändert, daß er forthin an nichts anders gedencken, noch von etwas anders reden konnte, als allein von der Liebe, welche man GOtt in Ansehung seiner unendlichen Güte und Schönheit, die alles übertrift, schuldig ist.

[379] Dieser ware Raymundus Lullius aus der Insul Majorica, so in dem Mittelländischen Meer ligt, und zu dem Königreich Spanien gehört. Er ward an dem Hof seines Königs erzogen, und mit der Zeit einer aus den fürnehmsten Hof-Herren. Niemahlen hat man einen Menschen gesehen, der mehr zur sinnlichen Liebe geneigt war, als er. Seine gantze Jugend hatte er in dieser Eitelkeit zugebracht; seine Beschäftigung ware kein andere, als verliebte Reimen dichten, in welchen er seine Liebs Anmuthungen ausdruckte. Endlich fiele er in eine heftige Anmuthung gegen einer gewissen Dame, die er nicht konnte aus dem Sinn schlagen. Was geschieht? als er einstens zu Pferd gesessen, und selbige von weitem auf der Gassen erblickt, da sie eben der Kirchen zugienge, allda ihrer Andacht abzuwarten, sprengte er ihr mit dem Pferd nach, und rennte mit selbigem so gar (O Vermessenheit) bis in die Kirchen hinein ohne eintziges Ansehen des geweyhten Orts, dann er hatte keine Augen etwas anders, als diese Creatur zu sehen, welche sein Hertz gantz eingenommen hatte. Es entstunde aber über diesen ärgerlichen Frevel unter dem anwesenden Volck [379] ein grosses Getümmel, welches den verliebten Narren unter vielen Schmachworten zur Kirchen hinaus jagte, und ihme mit der verdienten Straf drohete. Die gute Dame empfande hierüber ein solches Mißfallen, daß sie sich entschlossen, diese unsinnige Lieb durch einen List zu curieren; weil sie doch durch das Fliehen nichts konnte ausrichten. Demnach berufte sie den verblendeten Liebhaber (mit Vorwissen und Bewilligung ihres Ehe-Herrns) zu sich in ihr Haus. Dieser stellte sich dann bey ihr mit Freuden ein; weilen er es für die gröste Gnad hielte mit dieser seiner Creatur sprechen zu können. Als er aber ihr unter das Gesicht kommen, redete sie ihn mit diesen Worten an: Mein Herr Raymund, was hat er doch heut für ein ärgerliches Narren-Stuck, ja höchst sträflichen Frevel begangen? weißt er auch, was er so unsinniglich an mir liebt? ich will es ihm zeigen. Hiemit eröfnete sie ihre Brust, welche von dem abscheulichen Krebs halb durchfressen war, und aus welcher das stinckende Eiter heraus flosse. Siehet er (sagte sie) was er bishero an mir geliebt hat? da, da büsse er seinen Lust in Ansehung dieses abscheulichen Ge schwärs, ich glaube, er habe allbereit mehr als genug. Raymundus entsetzte sich über diesen unverhoften Anblick, und wendete seine Augen mit Grausen davon ab. Die Dame aber setzte noch hinzu: Sehe er doch Raymunde, wie sehr er betrogen worden, ist ja zu bedauren, daß er so viel edle Stunden mit fälschlich eingebildeter Schönheit einer Creatur zugebracht, die er doch nicht gefunden; mithin aber sich der göttlichen Liebe beraubet hat, über welche ihm doch nichts hätte seyn sollen? ich bedaure selbst an seiner statt sein Unglück, und wünsche ihm hinfuhro bessere Gedancken, und einen gesunden Verstand. Auf diesen zwar ernstlichen, mithin aber wohlgemeynten Verweiß der Dame, befande sich Raymundus auf einmahl gantz verändert. Er bedaurte selbsten inniglich seine Blind und Thorheit, in welcher er sich dergestalten verlohren hatte. O wie schad ist es (sagte er) um die verlohrne Zeit! O hätte ich selbige GOtt zu lieben angewendet, was hätte ich jetzt für ein Freud, was für einen Trost, was für einen Gewinn! Ey, so will ich dann das Verlohrne, mit GOttes Gnad wiederum einbringen. Dieses geredt, nahme er von der Dame höflichen Abschied, und bate, sie wolle ihm seine begangene Thorheit verzeyhen, er habe es eben nicht besser verstanden. Auf dieses hin gienge er nach Haus, suchte zusammen, was er in seinem Vermögen hatte, und theilte alles unter die Arme aus. Flohe alsdann in ein kleine Einsidlerey, allwo er durch stätes Gebett, Fasten, und Betrachten von GOtt also erleuchtet worden, daß, obwohlen er vorher nichts gestudirt hatte, unter die Gelehrtiste konnte gezählet werden. Mithin ware er von der Liebe [380] JEsu also eingenommen, daß er auf offener Gassen sein Lob sunge, und da etliche, so ihne gekennt hatten, als er noch in grossem Ansehen bey Hof gestanden, ihne gefragt, ob er den Verstand verlohren? gabe er ihnen zur Antwort: Ist es nur dieses, das ihr zu wissen verlangt, so wisset dann, daß mein Geliebter mir meinen Willen genommen, und ich hab ihme meinen Verstand geschenckt, also daß mir nichts mehr übrig geblieben, als die Gedächtnus, damit ich mich seiner erinneren möge. Und mit diesem bin ich zufrieden; verlange auch weiters nichts, als daß ich allein an ihn gedencke, dann er ist der eintzige Gegenwurf meiner Liebe. Dannenhero, wann man ihne fragte: wem gehörst du zu? da ware die Antwort, der Liebe, woher kommst du? von der Liebe, wohin gehest du, zu der Liebe; wer hat dich gebohren, die Liebe; wo wohnest du, in der Liebe; von was lebest du, von der Liebe. Darum schätzte er diejenige des Lebens unwürdig, welche anderst als vor Liebe gegen GOtt sturben. Das machte dann, daß er alle Gelegenheit suchte, wie er möchte gemartert werden, um hierdurch gegen GOtt seine innbrünstige Lieb zu bezeugen. Welches dann auch endlich geschehen, nachdem er 40. gantzer Jahr sich in nichts anders, als in der Liebe GOttes geübet hatte. Als er nunmehr das 80ste Jahr seines Lebens erreicht, und unzahlbare viele Trangsalen und Verfolgungen mit beständiger Gedult ausgestanden, thate er eine Reiß in Africam, und suchte die Mahometaner zum Christlichen Glauben zu bekehren. Er hatte aber kaum den Anfang mit seiner Lehr gemacht, da laufte das Volck zusammen, und warf so lang auf ihn mit Steinen zu, bis er darunter begraben worden. Er lage auch unter diesem Steinhauffen aller Welt unbekannt, begraben; bis es dem lieben GOtt gefallen hat, daß etliche Kaufleut, die aus seiner Heimat waren, zu Schif in selbige Landschaft kommen. Allwo sie dann nächtlicher Weil ober dem Steinhauffen eine feurige Saul in der Luft gesehen. Aus Fürwitz nun angetrieben, und zu erfahren, was diese Saul bedeute, warffen sie die Stein auseinander, und siehe! da finden sie den Leichnam des Ehrwürdigen Alten, welcher ihm ein so triumphierliches Grab durch die Marter zubereitet hatte; den sie dann mit Freuden in ihr Schif genommen, und mit sich in die obermeldte Insul Majorica zuruck geführt haben, allwo er von den Einwohnern des Orts von langer Zeit her andächtig verehrt wird. Causinns Tom. 2. seiner Heil. Haushaltung.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 379-381.
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