Das dreyzehende Capitel.

Es wird berkräftiget mit einer seltsamen Geschicht, wie ein grosse Nutzbarkeit sey ein guten Beichtvatter haben.

[968] In der Franciscaner-Chronick wird erzählet, daß in Franckreich zwey vermögliche geistliche Herren, unter einander, sehr gute Freund gewesen: einer ein Abbt, der andere ein Ertz-Diacon in einer Dom-Kirch jenes Königreichs. Ihr reiches Einkommen gienge diesen beyden auf in unterschiedlichen Geschanck-Gaben, in lustigen Freuden-Festen und Kurtzweilen, in köstlichen Getranck, und Speisen, wie auch in andern [968] Ergötzlichkeiten, und emsiger Zärtlung ihres Leibs. Entgegen wenig oder nichts wendeten sie an ihr Seel und Seligkeit zu versorgen: sie lebeten gleich denen Schwalben, welche ein warmes Land suchen, den Winter hindurch, und ein kühles den Sommer hindurch zu verbleiben.

Einsmahls geschahe es, daß diese zwey in grüner Sommers-Zeit auf ein gewises Ort ausgereiset, da sie aber von finsterer Nacht überfallen, auf einem ofnen Feld, allwo nicht weit vom Weeg ein Kirch ware, sie die Reiß nicht fortsetzen konnten, verfügten sich dahm, die Nacht hindurch zu verbleiben und zu ruhen. Der Ertz-Diacon, wiewohlen er eines üblen Wandels gewesen, hatte doch etwas Gutes an sich, und verlanget zugleich den breiten und den schmahlen Weeg zu gehen, auf der Welt die zeitliche Freuden, im Himmel aber nach diesem Leben die ewige, in der Seligkeit zu geniessen. Er beichtet oftermahlen, sein Beicht-Vatter war aus dem Franciscaner-Orden, ein gelehrter, sittsamer, und auferbäulicher Mann, welcher nicht ein geringe Sorg truge seines Beicht-Sohns, ihne recht zu der Seligkeit zu beleithen: sein Rath war heilsam, seine Vermahnungen, die er ihme geben, waren aufrichtig gut, er verweiset ihm die Gefahr seines zärtlichen Wohllebens, und stäts befahl er ihn GOtt dem HErrn. Diese seynd die Eigenschaften eines guten Beichtvatters, an denen jetzt gedachter Beicht-Vatter nichts wolte ermanglen lassen. Wohl ein guter Beichtvatter, welcher ein bewegliche Ursach gewesen ist, der Verbesserung seines Lebens, und auch ein Antrieb, und Ursach seiner Seligkeit: wie solches aus nachfolgenden nächtlichen Gesicht zu erkennen.

Der Ertz-Diacon begabe sich, und pfleget in diesem alten Kirchlein der guten Ruhe, eben auch diese war die Zeit, in welcher der Beichtvatter wachet, und bittet für diesen seinen Beicht-Sohn. Es entschlaffet der Ertz-Diacon, aber in seinem Traum siehet er in jenem Ort, wo er sich befande, in göttlicher Majestät Christum den gerechten Richter in das Gesicht kommen, von himmlischer Hofstatt begleitet; theils deren, welche gericht solten werden, wurden zu der rechten, theils zu der lincken Seiten verfüget.


Da höret er, wie der Abbt, und alle seine Bediente, die mit ihm waren, heftig von den Teuflen in allen ihren Sünden angeklagt wurden: die Verschwendung der geistlichen Rendten, wurde ihm sträflich vorgehalten, daß er vermessentlich diese in Geschanck-Gaben, in Freuden-Festen, und Wohlleben, nach Lust und Belieben zerstreuet, indem er doch solche zur Hülf und Steur der nothleidenden Armen, zur Zier und Verbesserung der Kirchen, und zu Beförderung seiner Seligkeit, wäre schuldig geweßt anzuwenden. Demnach der Richter alle Klag sattsam verhöret, und alle Ubelthaten vernommen, fället er das Urtheil über diesen Abbten, und über seine Bediente, mit dem gerechten Ausspruch der Verdammnuß. [969] Alsobald darauf verfügten sich die höllische Geister diese in die höllische Verdammnuß zu stürtzen. Dieses alles sahe der Ertz-Diacon gar deutlich, voll mit Forcht und Zittern, er schwitzet vor Angst, und als er vermercket, daß die höllische Geister, welche den Abbt und seine Dienst-Leut gestürtzet haben, zuruck kommen, wurde sein Forcht verdopplet, viel grösser: dann sie naheten zu ihme, und wolten ihn samt seinen Bedienten, gleichfalls dahin führen, und in das äusserste Verderben stürtzen. Indeme sie nun ihn Handfest angriffen, und in ihre gewaltige Klauen faßten, gantz rasend fortzuziehen, beduncket ihn, als wann sein Beichtvatter auf jener Seiten ihn behielte, und er selbsten bemühet sich heftig dieser teuflischen Gewaltthätigkeit auszureissen. Das ware ein schmertzlich, und tödtlich hartes Gefecht, entsetzlich, weilen die böse Geister, und der fromme Beichtvatter, um einer menschlichen Seelen wegen, jene zu Verderbung, dieser zu Erhaltung gegen einander gestritten.


Er erwachet vom Schlaf, die Haar stunden ihm gen Berg, das Hertz überschwemmet mit Forcht, klopfet, und tobet, der gantze Leib ware von kaltem Schweis waschnaß, alle Glieder erzittereten, und die Kräften erlahmten, gleich einem, der mit einem erschröcklichen Kriegs-Heer gestritten. Allen diesen gedencket er nach, ob es ein oder kein Traum seye gewesen, was ihme zu thun oder zu lassen seye, doch schlaget er ihm selbsten die Schwermüthigkeit aus, achtet es als ein leeren Traum, welchen die Abmattung des Leibs verursachet: Schicket sich auf ein neues zu ruhen, und einzuschlaffen, wolte auch niemand aus seinen Gefehrten aufwecken: Befiehlt sich in den Schutz-GOttes, und bald gehet ihm ein Schlaf zu, aber zugleich begegnet ihm das vorige Gesicht des strengen Gerichts, darinn er die Verdammnuß des Abbts seines guten Freundes und dessen Diener gesehen. Gähling fahret er in sich selbsten, wird wiederum munter, mit förchtlichem Zittern abgemattet, weil ihm jetzt ein viel grösserer Schröcken als zuvor ankommen. Er schreyet überlaut aus Zaghaftigkeit auf, ruffet seine Diener zu sich: diese erwachten gähling, und bekleidet obenhin, flugs verfügten sie sich zu ihrem Herrn, welcher befiehlt die Reiß fortzusetzen! sie gehen alsobald den Abbten, und seine Diener aufzuwecken, befanden aber alle sammentlich tods verblichen. Der Ertz-Diacon, wie er dessen berichtet wird, erkennet, daß sein Traum kein Traum, sondern ein wahrhaftes Gesicht gewesen seye, und daß er in Kraft des heiligen Gebetts seines Beichtvatters, samt allen seinen Bedienten, vor der Verdammnuß erhalten worden, Darauf wirft er sich nieder auf die Erden, dancket GOtt, und bettet an sein grundlose Barmhertzigkeit, welche also gütiglich ihme das Leben gefristet, und Zeit gegeben hat, die begangene Sünd zu beweinen, und darüber rechtschaffene Buß zu thun: Er macht von jener Stund an ein [970] kräftigen Vorsatz der Besserung seines Lebens, begehrt auch inniglich die Anzeigung, was für einen Stand ihme anzunehmen. Verweilet ein Zeit lang, bis die Anstaltung gemacht worden, die Verstorbene zu begraben, und verfüget sich in die Stadt: Erzählet ausführlich seinen Dieneren alles, was er wunderlich im Traum gesehen, die grosse Gefahr der Verdammnuß zur Höllen, in der sie gewesen: ermahnet sie beynebens zu einem bußfertigen Leben, und zu seiner Nachfolgung in der Strengheit der Buß. Allen gab er den verdienten Lid-Lohn, die Schulden, welche er gehabt, zahlet er nach Billichkeit ab; den Uberrest seines Vermögens theilet er unter die armen Bedürftigen, endlich wird er mit dem geistlichen Ordens-Kleyd des Heil. Francisci eingekleydet, und verharret in Strengheit des Closter-Lebens bis in Tod.


Vielen gab dieser ein heylsamen Rath, voraus denen, welche er zur lincken Seiten des gerechtisten Richters, in der gehabten Offenbarung gesehen, dann unter selben seynd auch zwey aus seinen Dienern gewesen. Aber der Muthwill dieser Leut verblibe bey dem vorigen Ubel-Leben: weder einer, weder der andere fassete diese Ermahnung zu Hertzen, und dahero wurden sie ein Trauer-Spiel der Unglückseeligkeit mit einem üblen Ausgang ihres Lebens. Ihme aber gelunge die Veränderung des eytel boßhaften mit einem bußfertigen frommen Leben zum besten, indem er endlich mit vielen Verdiensten, von der Sterblichkeit abgeforderet, in die Unsterblichkeit gnadenreich gereiset.


Hieraus erkennet man, wie ein unvergleichlich gut, und köstliche Sach seye, einen guten Freund ihme finden, das ist, einen guten Beicht-Vatter, welcher wohl verständig, und behutsam allweg uns beystehe, und helffe. Wehe diesem Ertz-Diacon, wann ihme kein guter Beicht-Vatter hätte Schutz gehalten: glückseelig aber nun, weilen der Beicht-Vatter seines ewigen Heyls ein beförderliche Ursach gewesen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 968-971.
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