Das siebenzehende Capitel.

Die Nothwendigkeit der General-Beicht, welche etlichen zustehet.

[983] Aus dem, was bißhero gesagt worden, kan man schliessen, daß vielleicht unsere gemachte Beichten nicht ungleich diesen vorgesagten seynd gewesen, dahero ist es eine Nothwendigkeit eine vollkommene Lebens-Beicht, das ist: eine General-Beicht zu machen. Gewiß ein witziger Rath thut dieses, wiewohlen es scheinet, als wann allezeit ein kräftiger Vorsatz das Leben zu besseren, in allen verrichten Beichten wäre gemacht worden.

[983] Ein frommer geistlicher Scribent erzählet, daß er viele General-Beichten als Beichtvatter angehört habe, in diesen sagten die Beichtkinder anfänglich, sie verrichteten diese Beicht aus Andacht, nicht aus Nothwendigkeit, dann sie sprachen daß sie allezeit in den vorhergemachten Beichten steif ihnen vorgenommen nimmer zu sündigen; und eben diese zum Schluß ihrer General-Beicht bekenneten, sie wolten nicht nehmen die gantze Welt, daß sie nicht gethan hätten diese ihre General-Beicht, und sagten: nun sihe ich, daß meine Seeligkeit in Gefahr wäre gestanden in meinem Tod, daß ich nicht recht gesehen den Vorsatz, den ich allezeit gemacht hab, mein Leben zu bessern; mich bedunckte zwar, mein Vorsatz sey kräftig gewesen, aber er war zu schwach und ohne Kraft; ich sagte dem Beichtvatter, ich nehme mir vor, fromm ohne Sünd zu leben, doch war mein Eyfer matt, und mein Vorsatz ohne Nachdruck.


Die Bürgerliche Rechten verordnen, daß wann ein Krancker hundert Reichsthaler einem Leib-Artzten verspricht, mit dieser Bedingnuß, daß er ihm von seinem Schaden, oder Kranckheit aufhilft: gesetzt es geschieht dieses, aber bald darnach bricht der Schaden wiederum auf, und die Kranckheit stoßt ihm wiederum an, alsdann ist der Leib-Artzt verpflicht, aus Ursach der ersten Bestellung ihne zu heylen, und zu helffen; dann der Patient nicht allerding recht zu seiner Gesundheit kommen ist, sondern so bald wiederum von dem vorigen Zustand überfallen worden. Solches geschieht denen, die leichtlich wiederum in vorher begangene Sünden nach verrichter Beicht fallen. Da kan man witzig muthmassen, daß dergleichen Sünder fast nie recht von ihrem Schaden oder Kranckheit der Seelen seynd geheilet worden: wo ist ihr kräftiger Vorsatz nicht mehr zu sündigen? indeme sie gleich wie zuvor sündigen, und in der Anfechtung gleich einem Schnee, oder Wachs im Angesicht des Feuers zerschmeltzen.


Die vollkommene Lebens- oder General-Beicht ist etlichen schädlich, etlichen aber nutzlich: jenen bringt es ein irrige Unruhe diesen ein nothwendige Sicherheit. Schädlich ist die General-Beicht denen, welche mehrmahlen generaliter gebeichtet, und dannoch täglich wollen diese wiederholen, dardurch sie nichts anders thun, als ihnen und den Beicht-Vättern ein grosse Beschwärnuß auflegen. Diesen ist es nicht rathsam öfter generaliter zu beichten, sondern sie sollen zu frieden seyn, daß sie einen gelehrt und gewissenhaften Beicht-Vatter angetroffen, welcher ihnen treulich rathet, sie sollen die General-Beicht hinführo unterlassen. Nutzlich ist die General-Beicht denen, welche von GOtt zu dem geistlichen Stand oder zu einer gewissen Veränderung ihres Lebens beruffen werden.


Vielen aber ist es nothwendig, ja höchst-bedürftig zur Seeligkeit eine [984] General-Beicht zu verrichten: thun sie es nicht, so werden sie ewig verdammet. Du verlangest zu wissen, wer diese seynd? Erstlichen dieselbigen, die aus Schamhaftigkeit ein Tod-Sünd in der Beicht verschwiegen haben, oder ein läßliche Sünd, die sie doch ein Tod-Sünd zu seyn vermeynet, und wiewolen sie ihnen unter der Beicht eingefallen, dannoch solche nicht gebeichtet, wissend, daß ein also verschwiegene Sünd ein neue und grössere Tod-Sünd seye, und nichts destoweniger dieses gethan haben. Diese kommen gewißlich in das höllische Verderben, wann sie nicht ein General-Beicht, von der Zeit der verschiegenen Sünd verrichten, und wiederholen alle entzwischen begangene Sünden: wie solches gleich soll erkläret, und bewiesen werden.

Vielleicht seynd entzwischen vier, zehen, oder zwantzig Jahr verflossen, und aus Schamhaftigkeit hast du allzeit ein, oder mehr schwäre Sünden verschwiegen, so oft als du hast gebeichtet, wiewohlen es dir bewußt gewesen, daß ein grosse Schuldigkeit seye, alles in der Beicht zu bekennen: ist dieses geschehen? so bist du verbunden von vier, zehen, oder zwantzig Jahren ein General-Beicht zuverrichten.


Ich hab gesagt, so oft als du hast gebeichtet, dann wann du unter dieser langen Zeit etlich mahlen aufrichtig gebeichtet, und aus lauterer Vergessenheit, jene aus Schamhaftigkeit verschwiegene Sünd auch das Sacrilegium der ungiltigen Beicht ausgelassen, aber alle andere Sünd rechtschaffen bereuet, das Gewissen fleißig erforschet, und ohne alle Boßheit nicht gedacht hast, auf jene ein und andere Sünd: so es sicherlich wahr, daß du nicht schuldig bist, die aufrichtig also verrichtete Beichten zu wiederholen: dann alle diese seynd giltig gewesen, und kein Boßheit ist mit eingeschlichen, sondern ein unsträfliche Vergessenheit. Laut jenes Aphorismi Emmanuelis Sa, in verbo: confessio. n. 9. Qui tenetur iterare confessionem, si ejus rei oblitus confitetur postea aliquoties peccata, quæ facit, validæ sunt illæ confessiones. Der da schuldig ist sein Beicht zu wiederholen, wann er es vergessen, darnach seine Sünd, welche er begehet, beichtet, dessen seine Beichten seynd giltig.

Damit wir aber zu vorgesagtem Vorhaben kommen. Möchte einer sagen, ist dem also, so bin ich schuldig ein General-Beicht von kindlichen Tagen zu machen, nun aber bin ich in fünftzig, oder sechtzigisten Jahr meines Alters: da frag ich, warum solt ichs thun: dann als ich in kindlichen Jahren gewesen, hab ich in der Beicht oft ausgelassen gewisse Sünd; ich gedachte zwar allezeit darauf, doch wolte ich sie nicht beichten. Wie alt aber beyläufig seyd ihr dazumahl gewesen, als ihr diese Sünd habt verschwiegen? ich werde entweder sieben oder acht Jahr, oder etwas mehr, oder weniger gehabt haben: warum habt ihr aber diese nicht gebeicht? mich geduncket [985] es, daß ich noch ein unwissendes unfähiges Kind gewesen, welches die Sünd nicht verstanden. Doch bekennet es aufrichtig, wann ihr diese Sünd begangen, habt ihr euch nicht verborgen? deme ist also, mein Pater, ich gedencke es gar wohl, daß ich Achtung hab geben, damit mein Herr Vatter, mein Zucht- und Lehrmeister mein Verbrechen, oder Missethat nicht solte sehen, oder erfahren. Deswegen sag ich es euch rund heraus, ihr habt dazumahl gesündiget: dann ich frag euch, als ihr seyd zu der Beicht gangen, warum habt ihr nicht den Beicht-Vatter gefragt, ob jenes euer Thun, ein oder kein Sünd wäre? mein Pater, ich schämte mich solches zu fragen. Eben das ist es, was ich euch sage, ihr seyd schuldig in eurem Gewissen ein General-Beicht von gantzen eurem Leben zu verrichten.


Was noch mehr ist, neben dem ist zu wissen, daß ein jede Person, welche wissentlich gebeicht ohne kräftigen Vorsatz das Leben zu besseren, kein giltige Beicht gethan habe, dahero sie auch schuldig seye, von jener Zeit an ein General-Beicht zu thun, ihr Seel und Seeligkeit zu versorgen. Da möchte etwann ein hierinn begriffener Sünder sprechen: ach weh! gehet es dann also her mit dem Beichten? so seynd alle meine in der Jugend gethane Beichten nichtig, und umsonst, dann wann ich gebeicht, hab ich mein Absehen gehabt, wiederum mich in die Gefahr, und sündliche Gewohnheit zu begeben, mein Vorsatz von Sünden abzustehen, war nicht recht geschaffen in allen meinen Beichten, welche ich in meiner Jugend verrichtet. Dannenhero ist es ein vernünftiges, und höchst-nothwendiges Thun, ein vollkommene General-Beicht von kindlichen Jahren aufrichtig zu verrichten.


Mir kommet es vor, ich höre allhier einen also sprechen: mein Pater, die Zeit meines Lebens, so oft als ich gebeicht, so oft hab ich mein Sünd rund heraus bekennet, hab nichts verschwiegen, oder vertuschet: allzeit hab ich gleichfalls einen guten Vorsatz gemacht mein Leben zu besseren: nie hab ich von gantzen Leben ein General-Beicht verrichtet, was gebet ihr mir für ein guten Rath? mein liebes Kind, antworte ich, mein reiffer Rath ist, wer nie kein General-Beicht verricht, der verrichte sie doch einmahl, dann genugsame Antrieb und Ursachen dies zu thun werdet ihr also vernehmen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 983-986.
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