Vierzehente Begebenheit.

Ein liederlicher Jüngling, der alles das Seinige verschwendet, kommt durch Beyhilf der Heiligen Mutter Annä wiederum auf ein grünes Zweig.

[648] Zur Zeit Gregorii des 5ten Römischen Pabsts, und Stephani, Königs in Ungaren truge sich zu nachfolgende Begebenheit. Zu Noceria einer Volck-reichen Stadt in dem Neapolitanischen Gebiet begunte Emericus des Burgermeisters Sohn, den verlohrnen Sohn zu spielen, und das reichliche Vermögen, so er von seinen durch die Pest hingeraften Elteren ererbet, in dem 20ten Jahr seines Alters im Luderleben zu verschwenden. Die Befreundte schämten sich ihres Vetters. So gabe ihm auch GOtt bald zu verstehen, wie schwartz er in des Himmels-Register eingeschrieben wäre. Ein Sturmwind risse ihm das Haus darnieder; der Donner schluge in die Scheuren, und verbrennete das Getraid; ein Wasser-Guß versäufte ihm das Vieh; und der Jammer blitzte ihm allenthalben unter die Augen. Die Glaubiger, denen er schuldig war, kamen daher, und trugen ihm allen Haus-Rath hinweg; also daß dem armen Emerico nichts mehr überig bliebe, als ein Rantzen voller Sünden, und der Bettel-Stab. In dieser äussersten Noth der Schand zu entgehen, entschlosse er sich, an ein weit entlegenes Ort zu fliehen, und eine Reis nach Compostell in Spanien anzustellen; machte sich auch in Pilgrams-Kleidung heimlich aus der Stadt, und auf den Weeg. Wie er aber gleich den ersten Tag nichts in seiner Taschen fande, gienge ihm sein elender Stand dermassen zu Hertzen, daß er auf freyem Feld auf die Knie niederfiele, Händ und nasse Augen gen Himmel erhebte, GOTT innbrünstig um Verzeihung batte, und zugleich um Erleuchtung anhielte, was er doch für einen Heiligen um Hilf anruffen solte, etc. Und siehe! der Heil. Apostel Jacobus, den er jederzeit sonderbarlich verehrte, erschiene ihm in Gestalt eines Pilgrams, tröstete, und unterrichtete ihn, daß er sein Vertrauen nehmen solte zu der H. Mutter Anna. Diese verehre (sprach der Heil. Apostel) als einen solchen Rebstock, von deme ist hergeflossen der Wein der Frölichkeit des Lebens, nemlich Maria, die gebohren hat JEsum Christum, durch welchen die gantze Welt ist erfreut und erlößt worden. Auf solche Weis sprach der Heil. Apostel seinem Pfleg-Kind zu. Emericus, theils vor Freud, theils vor Verwunderung wußte nicht, was er sagen, oder gedencken solte; da unterdessen sein Gutthäter, und bester Weegweiser aus den Augen verschwunden. Er liesse ihm die gute Ermahnung gesagt seyn; suchte in seinem grösten Leid [649] ein Erquickung bey angedeutetem geistlichen Rebstöck, nemlich der H. Mutter Anna, und dessen Trauben (will sagen) bey Maria, durch innbrünstiges Gebett; reisete seinen Weeg fort, und kame durch der Heil. Annä Beyhilf nach viel ausgestandener Gefahr zu Wasser und Land wiederum auf ein grünes Zweig, und zu solchen Mittlen, daß er nach seiner Wiederkunft in sein Vatterland nicht allein alle seine Schulden abzahlen können; sondern ihm noch ein Ehrliches übergeblieben, und er zu hohen Ehren erhebt worden. Henr. Engelgrave S.J.P. 2. Cœli Empyr. in festo S. Annæ, paulo post Exord.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 648-650.
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