Achtzehendes Exempel.

Ein Knab lebt, und stirbt gottseelig.

[25] Um das Jahr Christi 1606. lebte zu Lech-Haußen, einem Dorf in Bayer-Land ein Knab, mit Namen Andreas, ohngefähr 14. Jahr alt. Von den ersten Jahren seines Verstands an, war ihme nichts über die Kinder-Lehr. Da gabe er mit solcher Aufmercksamkeit acht auf das jenige, was der Kinder-Lehrer sagte, daß er von einem Sonntag auf den anderen alles richtig aufsagen konte, was er in der letzten Kinder-Lehr gehört hatte: also, daß andere Kinder sich darüber verwunderen, und den Knaben deswegen loben mußten. Neben disem Lust, den er zur Kinder-Lehr hatte, flohe er sorgfältig alles dasjenige, was nur einen Schein einer Sünd haben möchte. Gegen den Elteren war er so [25] ehrerbiethig und gehorsam, daß er sie im geringsten nicht beleydigte. Wann er bettete, geschahe es mit solcher Andacht, daß die Zuseher sich höchstens daran erbaueten. Kurtz: man sahe an disem Knaben nichts, als ein lautere Unschuld und Gottseeligkeit. Dessentwegen gefiele es GOtt, ihne, da er noch in der ersten Unschuld, aus dieser Welt abzuforderen, und zu sich in den Himmel zu nehmen. Zu welchem End er ihne mit einer tödlichen Kranckheit heimgesucht. Wie der Knab gemerckt, daß das End seines Lebens herzu nahe, batte er, man möchte einen Geistlichen kommen lassen, dem er beichten könte. Nun das geschahe. Wie der Geistliche ankommen, grüßte er den Knaben: und nachdem er sich des Zustands der Kranckheit erkundiget, thate er an ihn folgende Fragen: Mein Kind! wo bist du auch mit deinen Gedancken? in dem Himmel, antwortete der Knab. Wärest du aber bereit zu sterben (fragte der Geistliche weiters) damit du möchtest im Himmel seyn? freylich ja, war die Antwort des Knabens. Was machen aber die fromme Kinder im Himmel? fuhre der Geistliche weiters fort. Da gabe der Knab zur Antwort: sie lieben GOtt ohne Unterlaß: und das mit ihrer grösten Freud. Der Geistliche konte sich über den Verstand, und Gottseeligkeit des Knabens nicht genug verwunderen. Als er drauf seine Beicht angehört, fande er in dem Knaben eine solche Unschuld, daß er keiner Absolution vonnöthen hatte. Also dann wurde ihm die Heil. Communion, als die letzte Weeg-Zehrung gereicht; welche der Knab mit ungemeiner Innbrunst, und Andacht des Hertzens empfangen. Nach wenig Tagen, als die Leibs-Kräften bey ihm zimlich abgenommen, und die Elteren um sein Bethlein herum stunden, sagte er zu der Mutter: meine liebe Mutter! es ist nun an dem, daß ich sterben muß. Behüte dich GOtt; und lebe wohl. Behüre dich GOtt mein lie ber Vatter! Behüte euch GOtt meine liebe Brüder! und du Johannes (also hiesse der ältiste Bruder) seye ins künftig der Mutter gehorsamer, und nicht so widerspenstig. Und du Matthias (das war der jüngste Bruder) schnelle die Eltern nicht so an; sondern seye gegen ihnen bescheidentlich. Allein, ich hätte schier etwas vergessen; nemlich meinen Rosenkrantz, den ich einstens von dem Kinder-Lehrer geschenckt bekommen. Disen vermache ich dir meine liebe Mutter! behüte euch GOtt alle insgesamt noch einmahl; und lebet wohl. Auf dieses hin verfiele ihm die Sprach; er aber unterliesse nicht, äusserliche Zeichen von sich zugeben der Hofnung, die er hatte, bald im Himmel zu seyn: und das um so vil destomehr: weilen er kurtz vorhero dem Geistlichen bekennet, wie daß ihm währender Kranckheit, unser liebe Frau samt vilen Heiligen erschinen, die ihn freundlich gegrüßt, [26] und ein Gespräch von denen himmlischen Freuden geführt hätten: zu welchen sie ihn eingeladen, und die Hofnung gemacht, er werde mit nächstem bey ihnen seyn; weßwegen er dann so begierig zu sterben geweßt seye. Weilen er nun nicht mehr reden konnte, streckte er bald die Händ gen Himmel auf; bald schrenckte er sie Creutzweiß übereinander; bald bezeichnete er sich mit dem heiligen Creutz: und wann man ihm die heylwerthiste Namen JEsus und Maria vorsprache, neigte er mit grosser Andacht das Haupt. Als er aber in die letzte Zügen griffe, fienge er an wie ein Rosen zu brinnen, (welche Farb er auch nach dem Tod behalten) und über ein kurtzes darauf gabe er seine unschuldige Seel in die Händ des Schöpfers auf, nachdem er seine Kranckheit eine geraume Zeit mit einer wunderbarlichen Gedult übertragen hatte. Raderus in Bavaria Pia.


O ihr Kinder! was habt ihr an diesem Knaben für ein schönes Exempel! folget ihm nach in fleißiger Anhörung der Kinderlehr, so werdet ihr daraus solche Sachen lernen, die in euch legen werden einen rechten Grund zur Gottseeligkeit: mithin erwecken ein Abscheuen von Sünden, und einen Lust zur Tugend; eine Verachtung irdischer, und hingegen eine Begierd himmlischer Dingen. Wo dieses geschiehet, O was Freud machet ihr den Elteren! was Lob euch selbsten! und was endlich für einen Verdienst in dem Himmel!

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 25-27.
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