Eilfte Begebenheit.

[448] In Engelland war ein Jüngling, mit Namen Wilhelm Vidius. Dieser liesse dem freyen Leben, und unordentlichen Begierden den Zaum ziemlich schiessen, doch hatte er im Brauch, die Mutter GOttes täglich mit wenigen Andachten zu verehren. Wie gehts? als er auf eine Zeit bey nächtlicher Weil eingeschlaffen, erwachte er gähling; fienge aber an am gantzen Leib zu zitteren, und zu schwitzen; ja in ein lautes Geschrey auszubrechen. Einer von seinen guten Cameraden, so nächst ihm einem anderen Beth lage, erwachte ab dem Schreyen, und fragte den Wilhelm, was ihm fehle, und warum er also aufgeschryen? allein dieser war vom Schröcken dergestalt eingenommen, daß er ihm nicht konte antworten. Nachdem er sich nach und nach aus dem Schröcken erholet, sagte er: wisse, daß ich allererst für den Richterstuhl GOttes bin citiert worden. Da hab ich sollen genaue Rechenschaft ablegen von meinem gantzen Leben. Allein ich wußte nicht, was ich auf so vieles Anklagen der höllischen Geistern, welche alle meine begangene Sünden auf einem Papier verzeichnet für Gericht gebracht, solte antworten. Es hatte also das Ansehen als wolte der Richter das Urtheil der ewigen Verdammnuß wider mich aussprechen. Als ich nun sahe, daß ich solte nach der Hölle geschleppt werden, rufte ich die Mutter GOttes, sie möchte mir doch in dieser äussersten Gefahr zu Hilf kommen. Welches sie dann auch gethan, und mich durch ihre mächtige Fürbitt erlediget hat. Daß dieses kein lerer Traum gewesen, zeigte augenscheinlich das von den höllischen Geistern hinterlassene Papier in der Hand des Wilhelms. Er konte also kaum erwarten, bis es Tag wurde. Als dieser angebrochen, laufte er samt dem Papier eilends einem Beicht-Vatter zu, und legte bey ihm alle seine Sünden mit grosser Reu und Leid ab. Und nachdem er davon absolvirt worden, verrichtete er nicht allein die ihm auferlegte Buß; sondern führte auch forthin ein so strenges Leben daß sich Jedermann darüber verwunderen müssen. Also nutzlich ist es, wann man die Mutter GOttes täglich (ich sage täglich) mit einer gewissen Andacht, so kurtz sie auch seyn mag, verehret. Dann es laßt ihr diese gütige Jungfrau nichts umsonst thun. Auriemma supra cit.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 448-449.
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