Ein und zwantzigste Fabel.

Die Fortuna (das Glück) erhaltet wider den Tod der Präcedentz halben den Sieg.

[765] Zwischen der huldreichen Fortuna, das ist: dem Glück und dem abscheulichen Tod erhebte sich einsmahls ein Streit, der Präcedentz halben. Der Tod tratte mit langen gravitätischen Schritten auf den erschlagenen Leibern und gecrönten Häupteren herein, rühmte sich seiner Macht über alles; und deßwegen gebühre ihm, und keinem anderen der Vorzug, das Glück schalte ihn einen Tyrannen, deme man nur aus Noth Zwang gehorsamete, nicht aus Liebe; da hingegen aller Menschen Hertzen sich dem Glück gern und willig unterwurffen.


Nach langem Wort-Wechsel wurde die Sach endlich von dem erdichteten Jupiter dahin verglichen, daß beyde Partheyen sich den folgenden Tag auf offenem Schau-Platz der Welt stellen sollten; und welcher Parthey der meiste Hauffen der Menschen wurde nachlauffen, die sollte forthin die Präcedentz haben.


So bald nur die Sonne auf bestimmten Tag mit ihren hellen Strahlen die Erden zu beleuchten angefangen, hörte man die Trompeten in der Luft erschallen, worauf alle Innwohner des Erdkreyses zusammen geloffer, etwas Neues zu vernehmen. Jupiter der Richter samt anderen erdichteten falschen Göttern und Göttinnen, als Beysitzern, liesse sich auf einem ober den Wolcken stehenden goldenen Thron nieder; die streitende Partheyen fanden sich gleichfalls ein. Das Glück kame daher in einem kostbahren Königlichen Geschmuck in Begleitschaft der 4. Jahrs Zeiten, und 12. Stunden des Tags mit lieblichem Angesicht, lebhaften Augen, lachendem Mund und annehmlichen Gebärden, als die gleichsam des Siegs schon vorhinein vergewißt wäre. Es erschiene aber auch der langfüßige Tod, und stellte sich gegen über. An statt des Talars hatte er ein von den Schulteren bis auf die Knoden über den Rucken herab fliessendes Leilach; auf dem Haupt an statt der Cron, ein geflügelte Sand-Uhr; an statt des Scepters in der rechten Hand eine Sensen; an dem Hals vor der [765] Brust über zwerch hienge ein Bogen; an der lincken Seiten ein Köcher voller Pfeil; an der rechten an einem ledernen aus einer Menschen-Haut geschnittenen Riemen hienge ein Sichel. An statt der Augen steckten 2. Krotten tief in dem Kopf. Die Schlangen und Natteren krochen zu den dürren Rippen (die allenthalben herfür strotzten) aus und ein ware auch im übrigen an ihm nichts zu sehen, als ein lauteres Bein-Haus, ohne Haut und Fleisch. Mit einem Wort: ein grosses, ungestaltetes, wüstes, abscheuliches Abentheur. Und in solcher Gestalt, mit grimmigen Angesicht, und trutzigen Gebärden tratte der Tod auf den Schau-Platz. Mithin liesse der Jupiter durch einen Herolden denen Anwesenden anzeigen, wozu diese Zusammenkunft angesehen, und ernstlich gebieten, ohne Verlurst einiger Zeit auf gegebenes Zeichen, einem aus diesen beyden, der Fortun (dem Glück) oder dem Tod nachzulauffen, zu welchem sie mehr Lust und Lieb hätten. So bald nur der Stoß in die Trompeten geschehen (dann das war das Zeichen) laufte die Fortun (das Glück) dem Aufgang; der Tod dem Untergang zu. Wie er aber umsahe, wurde er gewahr, daß ihm fast niemand nachlieffe, ausser etliche Krippel, und alte Spitaler-Mütterlein, die schon längst des Lebens verdrüßig waren; aber auch bald müd wurden, und zuruck blieben, mit vermelden, ihr Vorlauffer eile ihnen zu geschwind, etc. Dessen dann alle erdichtete falsche Götter lachen müßten. Hingegen der Fortun (dem Glück) laufte fast die gantze Welt nach, mit solchem Eilen, und Gedräng, daß, weil ein jeder bey ihr der nächste seyn wolte, viel gar verdruckt wurden. Worauf der Jupiter allen Streitt, seinem Amt gemäß, aufgehebt, und (wie billich, der Fortun (dem Glück) den Vorzug zuerkennt hat. Dessen ware aber der Tod über zufrieden; beklagte sich gegen dem Jupiter, daß er ihm ein so abscheuliche Gestalt geben hätte, worüber sich die Menschen so sehr entsetzten, und ihm deshalben nicht nachlauffen wolten, etc. ergriffe alsdann in Grimmen sein Sensen, und mähete einen grossen Hauffen der Leut nieder, die sich auf der Fortunä Seiten begeben hatten. Aber der Jupiter befahle ihm einzuhalten, und liesse ihn wegen dieses Greuls, weil weil man ihn an dem Leben nicht straffen konte (dann er hat keines) in ein tieffe Grub unter der Erden werffen, und mit nichts anders, als Luder aus dem Schindloch, Krotten und Schlangen abspeisen: die Frau Fortuna aber zoge wohl vergnügt mit fröhlichem Sieg nach Haus. Rauscher S.J. in Dominicali 3. Conc. 2. post Pascha.


Also seynd nemlich alle Menschen beschaffen. Sie lauffen lieber dem Glück, als dem Tod nach. Und ob man schon bisweilen in einer Betrübnuß dergleichen Wunsch höret: O wann ich nur sturbe! O wann doch der Tod käme, und holete [766] mich! so ist man doch gantz anderst gesinnet, wann es zum Sterben kommt, und mithin Ernst werden will; jedermann findet eine Ausred, der Tod eile ihm zu fast; er sehe gar zu wüst aus. Und doch muß es seyn. Wider den Tod ist kein Kräutlein gewachsen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 765-767.
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