Sieben und zwantzigste Fabel.

Der Wolf verspricht kein Thier mehr aufzufressen; haltet aber sein Versprechen keinesweegs.

[771] Ein Hirt hatte einstens im Schaaf-Stall einen Wolf erwischt, den er jetzt gleich todt schlagen wolte. In dieser Gefahr bathe der Wolf um Verzeihung, und sprach: O mein lieber Hirt! schencke mir doch das Leben; dann ich verspriche, daß ich nimmer kommen, noch einen Schaden zufügen werde. Ja, ja (sagt der Hirt) du wirst freylich nimmer kommen, wann ich dich jetzt todt schlage. Wann ich dich aber solte ledig lassen, wer wolte dir trauen därfen? Nein, nein (erwiderte der Wolf) da sollest du an meinem Versprechen nicht zweiflen; dann es reuet mich von Hertzen, was ich gethan hab. Darum will ich mich auch ernstlich besseren. Solte aber der Hunger bey mir gar zu groß seyn, verspriche ich aufs wenigst, über sieben Heller keinen Schaden zu thun. Ist ja ein Bagatelle, und kan sich niemand darüber beschweren. Was thut der Hirt? weil der Wolf sich so reumüthig erzeigt, und wenigst keinen mercklichen Schaden mehr thun will, laßt ihn der Hirt eben lauffen. Kaum ware der Wolf in seiner Freyheit, begegnet ihm ein feister Hammel. Da gedachte er: Das wär ein gutes Bißlein für mich. Allein, was hab ich dem Hirten versprochen? solte ich wohl zu einem treulosen Schelmen werden? Was mache ich mir aber viel Scrupel darüber; indem ich allein versprochen, über sieben Heller keinen Schaden zu thun? nun schätze ich diesen Hammel mehr nicht, als drey Heller werth zu seyn. Also dann kan ich keiner Untreu beschuldiget werden. Dieses gesagt, zerrisse er den Hammel, und frasse ihn auf. Des anderen Tags begegnete ihm ein fette Kuhe samt ihrem Kalb. Da war dann die Anfechtung wiederum groß. Wie? (sagte der Wolf) solte ich mich da überwinden lassen, wie wurde ich bey dem Hirten bestehen, wann es ihm zu Ohren kommen wurde? ich muß halt bey meiner Manier, ein Sach zu [771] schätzen bleiben, so hat es kein Gefahr. Ich schätze also die Kuhe vier und das Kalb drey Heller werth zu seyn, und nicht mehr. Ist also noch nicht über sieben Heller. Ist ja nicht übel gerechnet? so frisse ich dann die Kuhe samt dem Kalb. Bellarminus in Postilla Conc. de Festo Paschatis.


Diesem Wolf können verglichen werden unzahlbar viel Sünder. Sie versprechen ihrem Pfarrer, als ihrem Seelen-Hirten, in dem Beichtstuhl, sie wollen nicht mehr thun, was sie Böses gethan haben, wann man sie nur ledig spreche: dann sie seyen jetzt recht bereuet. Was thut der Seelen-Hirt? er glaubt ihnen halt, weil sie sich so reumüthig stellen, hoffend, es seye ihnen ernst, und sie werden sich von keiner Gelegenheit zu sündigen mehr verführen lassen. Spricht sie also loß, und glaubt nicht, daß sie werden treuloß werden. Allein, was geschiehet? wann sich wiederum ein Gelegenheit zu sündigen neiget, in welcher man gemeiniglich gefallen ist da heißt es: O da ist kein Gefahr obhanden; in dem doch die Erfahrnuß das Widerspiel lehret. Mithin fallt man wiederum, bis man endlich gar in den Abgrund der Höllen fallt. O Blindheit, welche macht, daß man den Betrug nicht siehet!

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 771-772.
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