Acht und zwantzigste Fabel.

Zwey Mäuse suchen einander heim.

[772] Es truge sich auf eine Zeit zu, daß ein Stadt-Maus ins Feld hinaus spatzierte, und ein andere Maus, die sich auf einem Bauren-Hof aufhielte, heimsuchte. Von dieser ward jene zwar freundlich bewillkommet; bekame aber zum Tractament nichts anders, als ein Bröcklein schwartzes Brod. Da sagte die Stadt-Maus: Mein liebe Schwester! ich siehe wohl, daß du auf diesem Bauren-Hof mit schlechter Kost versehen bist. Komme du mit mir in mein Stadt-Losament, da will ich dich anderst tractieren. Dann da bin ich mit allerhand guten Bißlein versehen. Komme nur; du sollest dich darüber verwunderen. Die Feld-Maus dieses hörend, laßt sich überreden; dann sie ware begierig, auch einstens ein gutes Bißlein zu verkosten. Sie spatzieren also mit einander der Stadt zu, und als sie in das Losament kommen, befande sich alles, wahr zu seyn, was von den guten Bißlein erzählt worden. Da sagte dann die Feld-Maus: O Schwester! wie wohl ist dir in diesem Losament! wie stattlich lebest du! ich aber bin gegen dir ein arme Schluckerin, indem sie aber von einem und dem anderen herum geschleckt, und jetzt da, jetzt dort angebissen, siehe! da kommt unversehens die Haus-Katz, und hatte wenig gefehlt, daß wenigst eine aus ihnen wäre aufgefressen worden, wann sie sich nicht eilends davon gemacht, [772] und in ihre bekannte Löcher verschloffen hätten. Beyde waren so erschrocken, daß sie fast von Sinnen kommen. Nachdem sie sich aber wiederum erholet, nahme die Feld-Maus von der anderen mit wenig Worten Urlaub, sprechend: Gehabe dich wohl, mein Schwester! ich mag dir deine Schleckerbißlein wohl gönnen. Aber bey dir möchte ich nicht länger wohnen. Dann ich wäre keinen Augenblick meines Lebens versichert. Ich bin mit meiner schmalen Kost auf dem Bauren-Hof wohl zufrieden, und ist mir besser bey einem Bröcklein schwartzen Brods (da ich unterdessen ausser der Lebens Gefahr bin, weilen vor Armuthey bey uns nicht einmahl eine Katz ist) als wann ich die besten Bißlein zu geniessen hätte, müßte aber dabey in steter Gefahr und Sorgen seyn, der Katz in die Klauen zu kommen, und von ihr aufgefressen zu werden. Nein, das Leben ist mir lieber als alle deine Schlecker-Bißlein. Behüt mir GOtt meinen Bauren-Hof. Dieses geredt, nahme sie ihren Weeg wiederum ins Feld hinaus. Æsopus in fabulis.


Vielmahl ist ein wohlhäbiges Haus angefüllt mit vielen Sorgen, wo man beförchtet, es möchte nach und nach das Einkommen nicht erklecken, und also verlangt man immerdar mehr zu haben. Da hingegen arme Leut gantz vergnügt leben, indem sie mit dem wenigen, das sie haben, zufrieden seynd, und also sich weiter mit keinen Sorgen bekümmern, bey sich gedenckende, was man im Sprüchwort sagt: Mit vielem halt man Haus, mit wenigem kommt man auch aus.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 772-773.
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