Fünfte Fabel.

Eine Lerch kundschaftet alles wohl aus, damit ihre Junge wohl versorgt seyen.

[717] Die Lerch hatte ihr Nestlein in einem Acker, wo das Korn etwas frühers zeitig wurde. Die Junge waren noch übel gefiedert; und doch die Zeit der Ernde allbereit vorhanden. Weßwegen die Mutter etwas sorgfältigers, als sie um die Nahrung wollte ausfliegen, ihre Junge gewarnet: Sie sollten sich fein still zusammen halten, und fleißig aufmercken, was die Leut im Fürübergehen mit einander redeten; ihr auch nach ihrer Wiederkunst alles treulich erzählen, die Junge sagten zu; die Alte floge fort: Kaum ware sie hinweg, da kame der Herr des Ackers samt seinem Sohn: Und wie er die schöne volle Aeheren sahe, sprach er: GOtt Lob! das Korn steht wohl, und ist zeitig zum Schnitt. Gehe also hin, mein Sohn, zu denen Nachbaren, und guten Bekannten, und spriche sie in meinem Namen an, daß sie Morgen kommen, uns den Dienst thun, und [717] das Korn abschneiden wollen. Hierüber erschracken die Junge gar heftig; und so bald die Mutter nur heim kam, floderten und zwitzerten sie herum, und erzählten mit kläglicher Stimm, was sie in ihre Ohren hinein gehört hätten. Die Mutter hingegen tröstete sie, und sagte: Meine Kinder! es ist kein eintzige Gefahr, dann die Benachbarte pflegen sich nicht zu übereilen, wann sie umsonst einen Dienst thun sollen. Des anderen Tags floge die Mutter wiederum aus, und hinterliesse denen Jungen die vorige Warnung: Sie sollten nemlich auf das Gespräch deren, so fürbey giengen, wohl acht geben. Der Haus-Vatter samt seinem Sohn war auch bald wiederum vorhanden, und wie er vermerckt, daß nichts geschehen, sagte er: Jetzt siehe ich, wie wenig man sich auf die Bekannte und Benachbarte zu verlassen habe. Gehe aber hin zu unseren nächsten Bluts-Freunden diesen und diesen, und ersuche sie, daß sie doch Morgen gewiß allhier sich einfinden, und das Korn abschneiden wollen; solchen Dienst werde ich in einem anderen erwidrigen. Dieses alles erzählten die junge Lerchlein gar fleißig, mit angehenckter ängstiger Bitt, daß sie doch an ein anders sicheres Ort möchten getragen werden. Allein die Mutter hiesse sie ohne Sorg seyn, sagend, es werde sicherlich nichts geschehen: Dann Freund in der Noth gehen 70. auf ein Loth. Blieben also diese Nacht, und nächst folgenden Tag die Junge samt der Mutter in dem alten Nestlein. Den dritten Tag, wie der Haus-Vatter sahe, daß das Korn noch stunde, und auch die nächste Befreundte nicht zu erbitten gewesen, sprache er: Nun wohlan, mein Sohn: Weil es je seyn muß, richte du zwey wohl geschliffene Sichlen: Eine für mich; die andere für dich. Morgen (wills GOTT) in aller Frühe wollen wir selbst zur Sach thun; und soll uns auf den Abend kein Aeher mehr stehen bleiben. Als dieses die alte Lerch mit ihren Jungen vernommen, truge sie selbige ohne eintzigen Verlust der Zeit an ein sicheres Ort: Und das gantze Feld-Korn lage des anderen Tags zu Boden. Aulus Gellius lib. Noctium Atticarum. c. 29.

Eine schöne Lehr für die Haus-Vätter, der Emsigkeit halber: Daß, wann sie ein Sach werckstellig zu machen verlangen, sie selbst Hand anlegen müssen; sonsten gleich alles ins Stecken gerathe. Und da wird wahr das Sprüch-Wort, welches sagt:


Wer sein Sach will haben recht,

Der muß selber seyn der Knecht.


Ein andere Lehr ist zu nehmen von der alten Lerche: Wie man nemlich alles fleißig auskundschaften solle, wo sich die Gefahr eines grossen Uebels zeiget; damit man ihme selbst, und denen Seinigen vor Schaden seye. Und da wird man der Sach nicht bald zu viel thun, wann man schon allen Fleiß vorkehrt: Dann:


Fleiß fallt nicht auf dem Eis.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 717-718.
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