Fünfzehente Begebenheit.

Einem Ordens-Mann begegnet eine wunderliche, und zugleich lächerliche Begebenheit.

[517] Zu Rom im Welschland hat es ein gewisses Haus, in welches man hinein thut diejenige, denen es ein paar Finger ob der Nasen fehlt, und welche von den Welschen Pazzarelli benamset werden. Diese pflegt man an gewissen Tägen in der Wochen aneinander gekupplet in einer langen Reyhe nach der Kirchen zu führen, damit sie von denen andächtigen und mitleidigen Burgeren der Stadt ein Allmosen bekommen. Viel Leut werden aus Fürwitz gezogen, diese Aberwitzige zu sehen, und zu hören, was sie für närrische Grillen im Kopf führen. Einige erzählen Sachen, die niemahlen geschehen seynd, noch jemahlen geschehen werden; und aber mit so närrischen Umständen, daß einer eben meint, er müsse ihm einen Buckel lachen. Einige hingegen bringen bisweilen so ernsthafte Ding vor, daß einer grad meinen sollte, sie wären die klugeste Raths-Herren von Venedig. Nun truge es sich auf eine Zeit zu, daß ein Pater aus der Gesellschaft JEsu, mit Namen Gabriel Vasquez, ein vornehmer Gottsgelehrter (der sich damahls zu Rom aufhielte, und die Krancke in denen Spitählern heimzusuchen ausgangen war) ohngefähr in gedachtes Haus der Aberwitzigen hinein gerathen. Kaum hatte er den Fuß hinein gesetzt, da kame ihm entgegen ein alter Mann, mit einer Brillen auf der Nasen; deme aber sein Schnee-weisser Bart ein Ehrwürdiges Ansehen machte. Dieser bewillkommete den Pater auf das freundlichste, und erbotte sich von sich selbst, ihm alles [517] zu zeigen, was in dem Haus seltsames zu sehen, und zu hören wäre. Der Pater bedanckte sich gar höflich, und sagte, er wolle dieses freundliche Anerbieten eben mit Erkanntlichkeit annehmen. Da führte ihn dann dieser Alte zu allerhand Zimmer. Ein jedes hatte ein Fensterlein vor dem Eingang, durch welches man sehen konte, was ein jeder aus den Aberwitzigen machte; welche aber wegen ihrer Tobsinnigkeit an Ketten gelegt waren. Nachgehends zeigte er ihm an unterschiedlichen Orten einige andere, die da frey und ungebunden waren. Aus diesen mußten einige Holtz, andere Wasser tragen: andere aber sonst arbeiten, was sie gelernet hatten, da sie noch bey gesunder Vernunft waren. Da sagte dann der Alte: Sehet Pater! das ist das Haus der Narren. Da seynd einige, die hat die schwartze Gall; andere die übermäßige Traurigkeit; andere der Korb, den sie von ihren Liebsten bekommen, zu Narren gemacht. Und da ist unter ihnen ein grosser Unterschied. Einige seynd in allen anderen Sachen verständig, ausser in einer gewissen Materi. Fangt man von dieser an zu reden, da kommen sie gleich aus dem Häuslein, und verliehren sich gäntzlich. So bald man aber davon zu reden aufhört, und auf ein anderen Discurs kommt, da finden sie den verlohrnen Faden wiederum. (Aber da gedachte der gute Alte nicht, daß er von sich selbst ein Fabel erzählte; wie auf die letzte solle gehört werden.) So fuhre er dann fort, und sagte weiters: Hier sitzt seiner Einbildung nach ein Grundgelehrter Weltweise. Indem er nun allzeit über sich schauend den Auf- und Niedergang des Gestirns am Himmel ergründen wollte, mithin nicht Achtung hatte auf das, was ihm vor der Nasen lage, fiele er einstens in ein Grub hinein, und verletzte den Kopf dergestalten, daß ihm ein Rädlein darinn zerbrochen, und er also zu einem Narren worden. Dorteu ist einer, der durch das beständige Reimen-Dichten das Hirn verruckt hat. Höret doch, Pater! was er für ungereimte Reimen daher singt. Aber laßt uns weiters gehen: Da sehet ihr, wie dort einer im Winckel sich förchtet, und zittert. Der Narr meint, er seye von lauter Glas. Darum ruft er voller Aengsten: O daß doch niemand an mich stosse! sonsten werd ich zu Trümmern gehen. Dorten geht einer auf einer Spatzier-Laube gantz gravitätisch, und wie ein Spanier, auf und ab, haltend in der Hand einen höltzenen Scepter. Dieser bildete sich ein, er seye ein König, und schickte jährlich über Meer gantze Kriegs-Flotten an welchen die Wohlfahrth von gantz Europa gelegen seye. In diese Narrheit hat ihn gebracht der Ehrgeitz. Er hofte in seinem Dorf Schultheiß zu werden; weilen ihm aber die Hofnung fehl geschlagen, hat er darüber den Verstand verlohren, und ist zu einem Stultus, will sagen zu einem Narren worwen. Aber da kan ich mit Stillschweigen nicht umgehen, euch, mein Pater! [518] einen lustigen Handel zu erzählen. In diesem Häuslein sitzt ein recht boshafter Narr; gehet nur nicht zu nahe hin, sonst därfte es eueren Ohren und Nasen übel ergehen. Es ist nicht gar lang, daß einer von seinen Anverwandten kommen, ihn heimzusuchen, nachdem er innen worden, daß man ihn in dieses Narren-Haus eingesperrt habe. Als man das Fensterlein des Häusleins eröfnet, streckte der Narr den Kopf heraus, und erzählte dem heimsuchenden Anverwandten mit vielem Weinen und Klagen sein Elend: Wie er nemlich wider alle Billichkeit, als ein Narr, in dieses Häusle wäre eingesperret worden, indem er doch mehr Verstand hätte, als diejenige, so ihn für einen Narren hielten. Da müsse er nun unzahlbar viel Elend ausstehen, und seye doch niemand, der ihm ein Wort zum besten rede. Demnach wollte er ihn, als seinen lieben Anverwandten gebetten haben, zu der Obrigkeit des Orts zu gehen, und inständig anzuhalten, daß er doch möchte wiederum auf freyen Fuß gestellt werden. Darfür wollte er ihm Lebenslänglich obligirt seyn. Der Heimsuchende versprache, alles zu thun, was ihm möglich wäre; gienge auch gleich, nachdem er sich beurlaubet, hinweg. Allein der Narr rufte ihm zuruck, und sagte, er hätte ihm noch etwas geheimes in ein Ohr zu sagen. Der Heimsuchende liesse sich bereden; und weil er nichts widriges argwohnete, hielte er den Kopf nochmahlen zu dem Fensterlein, aus welchem der Narr heraus sahe, um also besser zu vernehmen, was ihm dann geheimes ins Ohr wurde gesagt werden. Allein der Narr ergriffe ihn an beyden Ohren, und risse daran so starck, daß der Ergriffene mußte um Hilf ruffen. Worauf wir dann zusammen geloffen, und dem Narren gedrohet, nachzulassen, wann er nicht wollte von uns jämmerlich abgedroschen werden. Da sagte dann der Narr zu seinem Anverwandten: Lerne, lerne, wann du gescheid bist, hinführan mit deinen Ohren nicht mehr so nahe zu einem Narren hinzu gehen, wann du nicht willst, daß er sie dir abreisse. Solches geredt, liesse er ihn gehen, und sagte kein Wort mehr: Sein Anverwandter aber zottelte davon mit Ohren, die nunmehr um ein Spang länger als vorhin waren. Dergleichen Ding erzählte der Alte mit solcher Geschicklichkeit und Ordnung, daß der Pater gäntzlich darfür hielte, er wäre ein recht gescheider Mann, allein indem der Pater sich beurlaubte, und hinweg gienge, da kame ihm entgegen ein schöner holdseliger Jüngling, tragend in der Hand einen Krug, willens aus dem Bronnen, so mitten in dem Hof des Hauses ware, Wasser zu schöpfen. Als der Alte diesen erblickt, rufte er dem Pater nach und sagte: Pater! haltet doch ein wenig still, ich hab euch noch etwas zu sagen. Gedencket doch was dieser Jüngling für ein Narr ist; er bildet sich gäntzlich ein, er seye der Ertz-Engel Gabriel, welcher vor Zeiten Mariä der [519] Jungfrauen die fröliche Bottschaft gebracht, daß sie solle Mutter GOttes werden. Aber das ist bey ihm nichts, als ein leere Einbildung, und Aberwitz, dergleichen niemahl gehört worden; dann ich schwöre euch bey dem hohen Himmel, daß ich der himmlische Vatter seye, und auch dazumahl gewesen seye. Also weiß ich zum besten, ob ich diesen Jüngling zu Maria der Jungfrauen als ein Bottschafter abgeschickt habe, oder nicht. Das ist einmahl gewiß, daß er im Himmel unter denen Englen niemahlen ist gesehen worden; wie darf er sich dann für den Engel Gabriel ausgeben? O wann ich mit seiner Jugend nicht Mitleiden truge! wie wollte ich ihn diesen Augenblick in die Höll hinunter stürtzen! allein genug von diesem. Unterdessen lebet wohl, mein Pater! der Pater gienge davon, und könte sich nicht genug verwundern, wie doch dieser Alte, der vorher so gescheid geredt hatte, sich auf einmahl so weit habe verliehren können, daß er nur gar zu klar an Tag geben, er müsse der gröste aus allen Narren seyn. Cazæus S.J. in piis Hilar. ex P. Carassi la Doctrine curieuse l. 1.


Also giebt es viel Menschen, welche in zeitlichen Sachen Verstand genug haben: Sie wissen zu hausen, sie wissen ihren Vortheil zu machen, sie wissen den Schaden zu wenden. Aber wann sie an ihrer Seelen Heil gedencken, wann sie ihr Gewissen untersuchen, wann sie Reu und Leid über ihre Sünden erwecken sollen, da seynd sie wie die Narren; da haben sie kein Verstand, kein Wissenschaft, kein Ubung. Ihre Gedancken seynd nur gerichtet auf das Zeitliche, nicht auf das Ewige, nur auf die eitle, nicht auf die wahre Güter, nur auf solche Sachen, die zum ewigen Verderben, nicht aber zur ewigen Seligkeit führen. Und O wie groß ist die Zahl solcher Narren! unter solche gehört jener Reiche von Adel, von welchem der Hochgelehrte, und gottselige Cardinal Bellarmin, aus der Gesellschaft JEsu, erzählt, daß, als er diesen auf dem Tod-Beth liegenden Herrn heimgesucht, und ihn ermahnt, Reu und Leid über seine Sünden zu erwecken; dann diese seye in solchen Umständen das eintzige Mittel, die Seligkeit zu erlangen: Es werde auch GOtt ein zerknirschtes demüthiges Hertz nicht verachten: Da fragte jener: Was ist die Reu und Leid? ich weiß nicht was ihr von mir verlangt. Und als der Cardinal sagte: Das verlange ich, daß ihr ein hertzliches Mißfallen erwecket, weil ihr wider GOtt den HErrn gefündiget; und daß ihr einen steiffen Vorsatz machet, wann ihr wiederum solltet aufkommen, ihne nicht mehr zu beleidigen: Daß auch dieses Mißfallen erweckt werde aus Liebe gegen GOTT, der euch so viel gutes erwiesen, welches ihr ihm doch nur mit bösem habt vergolten. Da antwortete der Tod-Krancke; Ich verstehe euch nicht, ich kan diese Sachen nicht fassen; auf welche Antwort hin er bald darauf seinen unglückseligen Geist aufgegeben. [520] Lasse mir das einen der grösten aus allen Narren gewesen seyn, wann er schon im übrigen in weltlichen Sachen eine grosse Klugheit von sich hat spühren lassen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 517-521.
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