Neun und zwantzigste Begebenheit.

Christus weyhet selbst in höchster Person zur Ehr seiner Jungfräulichen Mutter die Capell, in welcher der H. Meinrad das H. Meß-Opfer täglich pflegte zu verrichten.

[572] Nachdem gedachte Capell, welche vorhin des H. Meinradi Einsidlerey ware, von dem H. Benno, so der andere Einwohner erst besagter Einsidlerey gewesen, Baufälligkeit halber verbessert; von dem H. Eberhard aber dem ersten Abt zu Einsidlen in dem Schweitzerland Anno 948. mit einer neu erbauten herrlichen Kirchen umschlossen worden, wollte er selbige nach Catholischem Brauch nunmehr lassen einweyhen. Zu diesem End liesse er den H. Conradum, Bischoffen zu Costantz, dessen Bistum Einsidlen zugehörig ware, gebührender massen ersuchen, er möchte geruhen sich nacher Einsidlen zu begeben, und die neu erbaute Kirchen samt der darinn stehenden Capell einzuweyhen. Und damit diese hochfeyrliche Einweyhung ein grösseres Ansehen hätte, wurde darzu auch eingeladen der Heil. Udalricus Bischof zu Augspurg, als welcher mit dem Heil. Conrado in gar vertraulicher Freundschaft stunde. Und seynd beyde Hochwürdigste, und ihrer Heiligkeit halber Welt-bekannte Bischöf von einer grossen Anzahl der vornehmsten Herrn aus Ober-Teutschland dahin begleitet worden. Ist auch sonst ein ungemein grosser Zulauf des alldort herum wohnenden Land-Volcks darbey gewesen dieser Einweyhung beyzuwohnen.


Conradus kame zu Einsidlen an den 13. Herbstmonath in gedachtem 948. Jahr, und nahme seinen Einkehr in dasigem gleichfals von dem H. Eberhardo neu erbauten Closter. Als er aber mitten in der darauf erfolgten Nacht, wie sein H. Brauch ware, von der Ruhe aufgestanden, und sich in die Capell, die er folgenden Morgen einzuweyhen gesinnt ware, begeben, um alldort sein Gebett und Andacht zu verrichten, siehe Wunder über Wunder, da vernahme er ein überaus liebliche Musik; und als er dieser eine Weil mit Verwunderung zugehört, und sich darauf behend aus der Capell hinaus begeben um zu erkundigen, wo selbige herkommete, da hat er mit leiblichen Augen gesehen, daß Christus der HErr in Beyseyn vieler Englen und Heiligen eben diejenige Gebräuch und Ceremonien in der Capell vollbrachte, welche die Bischöf in Einweyhung der Kirchen zu üben pflegen. Nicht aber Conradus allein, [572] sondern auch der meiste Theil der Religionen des GOttes-Hauses; wie auch noch mehr andere, welche selbiger Zeit dem Gebett und Betrachtung göttlicher Dingen obgelegen, haben gedachte liebliche, ja Englische Music mit Erstaunung angehört.


Von dieser unerhörten Erscheinung aber hat der Heil Conradus folgendes hoch betheuret, und schriftlich mit folgenden Worten hinterlassen: Christus der HErr ist in einem Viol-färbigen Meß-Gewand vom Himmel vor den Altar herunter gestiegen, das Amt der H. Meß zu vollbringen, deme die vier Evangelisten nach Gewohnheit der Kirchischen Ceremonien die Inful auf und abgesetzt haben. Die Englen trugen goldene Rauchfaß, und durchstrichen den Orth mit ihren Flüglen. Neben dem HErrn stunde der H. Kirchen-Lehrer Gregorius den Weyhwadel, St. Petrus aber den Bischof-Stab in der Hand haltende. Der H. Augustinus und Ambrosius befanden sich vor dem HErrn. Die Jungfrau Maria stunde auf dem Altar, und schimmerte wie ein Wetterleich. St. Michael ware der Vorsinger, der Heil. Stephanus hat die Epistel gelesen, St. Laurentius aber das Evangelium gesungen.


Das Sanctus ward also gesungen: Heiliger GOtt in dem Saal der glorwürdigen Jungfrau, erbarme dich unser. Gebenedeyt seye Mariä Sohn in Ewigkeit herrschend, der da kommt, etc.

Das Agnus Dei also: Du Lamm GOttes, erbarme dich der Lebendigen in dich glaubenden: Erbarme dich unser. Du Lamm GOttes, erbarme dich der Abgestorbenen in dir seeliglich ruhenden: Erbarme dich unser. Du Lamm GOttes, verleyhe Fried denen Lebendigen und Verstorbenen in dir seeliglich ruhenden.


Auf das Dominus vobiscum, der HErr seye mit euch, antworteten die Engel: Welcher da sitzt über den Cherubinen, und siehet in die Abgrund.


Auf erzählte Erscheinung hat es sich begeben, daß als nächst folgenden Morgen, nemlich den 14. Herbstmonath, nach allen zu der Weyhung gemachten Vorbereitungen das in grosser Anzahl versammlete Volck auf den Heil. Bischof Conradum wartete, er aber sich nirgends sehen lassen, noch aus der Capell, in welche er nach vollendeter göttlichen Einweyhung hinein gangen, heraus wollte; sondern in selbiger gantz unbeweglich, und ausser sich selbsten knyend verbliebe, mithin die Sach, um derentwillen er beruffen ware, mit männigliches Befremden und Verlangen bis gegen Mittag hin aufgezogen wurde, hat man ihn gemahnt, der vorhabenden Weyhung dermahl eins den Anfang zu machen, und das hierauf mit grosser Begierd warthende Volck nicht länger aufzuhalten. Allein Conradus wollte noch nicht daran, sondern antwortete, [573] es komme ihm diese Sach zu thun unmöglich vor: Ursach dessen, weilen die Capell allbereit vom Himmel herunter eingeweyhet wäre: und dessen seye er durch gehabte klare Erscheinung allerdings versichert, und vergewißt. Obwohlen nun die Heiligkeit Conradi denen, so ihn gemahnet, nicht verborgen ware, haben sie ihm doch solches nicht glauben wollen, sondern gäntzlich darfür gehalten, solche vorgegebene himmlische Weyhung müsse ihm aus einer vorhergegangener tieffen Betrachtung, und Traumweiß vorkommen seyn, und wäre demnach nicht darauf zu gehen. Setzten also mit ernsthaften Worten an ihn, und verlangten kurtzum der Weyhung den Anfang zu machen. Aber, O der wunderlichen Vorsichtigkeit GOttes, Conradus wollte die Einweyhung kaum anfangen, da erschallete von oben herab ein himmlische Stimm, welche mit höchster Entsetzung und Schröcken aller Anwesenden zu dreymahlen hell und überlaut geruffen: Höre auf, Bruder! höre auf! die Capell ist von GOtt gewyhen. Als solches jedermänniglich, so sich in der neuen Kirch, und um die Capell herum einfande, gehört, hat an einer so heitern, und nunmehro vom Himmel herab bestätigten Wahrheit kein Mensch mehr zweiflen dörffen, sondern festiglich darfür gehalten, es habe der Heil. Conradus keinesweegs eine getraumte, sondern wahrhafte Erscheinung hiervon gehabt, und seye die Capell, laut beständiger Aussag Conradi, wahrhaftig von Christo dem HErrn eingeweyhet, und geheiliget worden.


Als dieses alles, wie gedacht, vorbeygangen, liesse Conradus voll eines Heil. Schröckens von der vorgehabten Weyhung ab, und gienge mit seinen ihme aufwarthenden Geist- und Weltlichen Herren aus der geheiligten Capell heraus, die übrige neu-erbaute Kirch unter dem Titul und Namen des glorwürdigen Heil. Martyrers Mauritii, und seiner samtlichen Gesellschaft einzuweyhen, wie dann auch geschehen.


Es ist aber hier mit Stillschweigen nicht umzugehen, daß beym Eingang dieser H. Capell in dem obern steinenen Thür-Pfosten 5. nicht gar tieffe Löcher in einem Stein eingedruckt zu sehen seynd, in welche man durch ein eisenes Gitter die Finger der rechten Hand pflegt einzulegen. Von diesem Hand-Zeichen ist ein alt hergebrachte, und jederzeit fest-geglaubte Tradition, es habe Christus der HErr, nachdem er die Capell obgedachter massen eingeweyhet, zu einem ewigen Angedencken so grosser Gnad dero von ihme selbst verrichteten Weyhung seine göttliche Hand eingedruckt, und gnädigst hinterlassen. Welches um so viel mehr zu glauben, weilen aus Berührung der eingedruckten göttlichen Hand wohl auch Gesundmachungen erfolget seynd. Conradus Hunger in Chronica B.V. Einsidl.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 572-574.
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