Sieben und dreyßigstes Exempel.

Ein Sohn ermordet aus Rachgierd seinen leiblichen Vatter.

[127] In Hispanien war ein Student, welcher dem Studieren nicht unfleißig oblage. Nachdem er die untere Schulen zu End gebracht, und mithin die Eitelkeit und Gefahr des weltlichen Lebens zu Gemüth geführet fassete er den Schluß, in einen geistlichen Ordens-Stand einzutretten; um darinn GOtt zu dienen, und dem Heil seiner Seel mit grösserer Sicherheit obzuligen. Er haltet demnach, ohne Wissen seiner Elteren, die sehr vermöglich waren, in einem gewissen Closter an; wird von dasigem Convent aufgenommen, und mit ihm das Probier-Jahr angefangen. So bald die Elteren dessen verständiget worden, da ist nicht zu sagen, was sie für einen Lermen angefangen. Dann weil dieser Sohn ihr eintziges Kind war, lieffen sie dem Closter zu, und wollten ihn mit Gewalt heraus haben. Weilen sie aber von dem Obern des Closters wegen ihrer ungestümmen Manier bestraft worden, verlangten sie wenigst, mit dem Sohn sprechen zu können: Welches ihnen endlich erlaubt worden. Kaum hatten sie den Sohn ersehen, da fiele ihm einer Seits die Mutter um den Hals; weinete, und bathe ihn, er wollte sie doch nicht verlassen; sondern mit ihr in die Welt zuruck kehren: Der Vatter aber redete ihm folgender massen zu: »Was ist das? Mein Sohn! was hast du angestellt? Wie hast du dich, ohne unser Wissen, mögen in ein Closter begeben? Gedenckst du nicht, daß du unser eintziges Kind seyest? Wolltest du uns, da wir nunmehr alt seynd, verlassen? In Kummer und Betrübnuß setzen? Und uns denjenigen Stab, auf welchen sich unser Alter zu lehnen die Hofnung gemacht, entziehen? Gedencke doch, was du thust, mit was Lieb und Sorg wir dich erzogen; was Mittel wir erhauset; was für schöne Güter vorhanden seyen. Wem werden wir dieses alles hinterlassen, wann du im Closter bleiben solltest? Wer wird unseren Stammen und Geschlecht fortsetzen? Wer in der letzten Kranckheit uns Hilf leisten? Wer im Tod-Beth die Augen zuschliessen? Zu dem Was willst du dich inner die Mauren eines Closters verschliessen? Warum mit Betten, Fasten und Wachen dich abmerglen? Warum dir selbst das Leben abkürtzen? Da du hingegen in der Welt den freyen Luft hättest, und dir allerhand Kommlichkeiten verschaffen köntest? Absonderlich, weilen Mittel genug vorhanden seynd? Wahrhaftig: Wer dieses alles nicht achtet; wer es in Wind schlagt, der ist nicht recht bey Sinnen. Hoffe [128] also, du werdest deinen Verstand brauchen, und mit mir nach Haus kehren.«

Ach! was für eine schädliche Würckung hatte nicht diese Red bey dem Sohn! dann siehe! er liesse sich alsobald erweichen; zoge das Ordens-Kleid aus; vertauschte es mit dem vorigen; und kehrte also in seiner Elteren Haus zuruck. Da stunde es aber nicht lang an, so verheyrathete er sich, ohne die Elteren um Rath zu fragen, mit einer jungen Tochter; die ihm aber ausser der schönen Gestalt, mit welcher sie begabt war, nichts zugebracht; beynebens auch von geringem Herkommen geweßt. Das verdrosse nun die Elteren (besonders den Vatter) nicht wenig. Allein, was wolte er machen? die Ehe war schon vollzogen. Er unterliesse aber nicht, seinen Verdruß so wohl gegen dem Sohn, als der Sohns-Frau an Tag zu geben; indem er gegen ihnen immer zu saure Gesichter machte, und weder dem einen, noch anderen jemahl ein gutes Wort gabe. Das brachte nun den Sohn dergestalten in den Harnisch, daß er auf Mittel und Weeg gedachte, wie er sich des alten Gruntzers möchte loß machen. Was? (sagte er) Ist das der Danck, daß ich dem Alten zu Gefallen aus dem Closter in die Welt zuruck gekehrt bin? Soll ich mich von ihm so weit scheren lassen, daß ich nicht einmahl ein gutes Gesicht, will geschweigen ein gutes Wort von ihm bekomme? Ist das ein Manier von einem Vatter gegen seinem eintzigen Sohn? Hatte ich das vorgesehn, wär ich im Closter geblieben. O wie übel hab ich gethan, daß ich mehr ihm, als GOtt gefallen wol len! Allein es ist schon geschehen. Was soll ich aber anfangen? Soll ich es also gelten lassen? Soll ich und meine Liebste noch länger von ihm also geplagt werden? Sollen wir ihm ein Freud machen, wann er siehet, daß er uns das Leben verbitteren könne? Nein, gewißlich nicht. Seye er versichert: ich will schon Mittel und Weeg finden, wordurch uns beyden Ruhe geschaft werde. Unterdessen liesse er sich nichts mercken, sondern wartete nur, bis sich eine Gelegenheit herfür thäte, seine Rach wider den Vatter auszuführen: Welche auch bald erfolget; und das auf ein Weis, wie jetzt soll erzählt werden.


Es hatte der Vatter ausser der Stadt, in welcher er zu wohnen pflegte, einen Meyerhof. Auf diesen ritte er nun einstens hinaus; entweders, frischen Luft zu schöpfen; oder zu sehen, wie sein Lehen-Mann, den er allda hatte, haushalte, und dem Meyerhof vorstehe. Da bediente sich der Sohn dieser Gelegenheit; eilte dem Vatter heimlich nach; und nachdem er ihn mitten auf dem Feld angetroffen, rufte er mit lauter und trotziger Stimm: Halt still, du alter Gruntzer! und steige bälder als bald vom Pferd herunter. Der Vatter erschracke heftig; wendete sich um; und als er gesehen, daß sein eigner [129] Sohn mit blossem Degen in der Hand auf ihn zulauffe, konte er Anfangs vor Schröcken und Erstaunung kein Wort reden. Dann er merckte wohl, daß sein Sohn nichts Gutes im Sinn hätte. Als er sich aber aus dem Schröcken erholet, sagte er zu ihm: Was ist das? Mein Sohn! (wann du doch verdienest, daß ich dich meinen Sohn nenne?) Was fangst du an? oder was hast du im Sinn? wie? solle ein Sohn mit blossem Degen auf seinen leiblichen Vatter zu lauffen? ihn so trotzig anschreien? ja so gar heissen vom Pferd absteigen? was ist das für eine unerhörte Gottlosigkeit? Der Sohn antwortete: Du hast es schon gehört: Alsobald steige ab; oder ich will dich schon lehren. Wie? sagte der Vatter: Du mich lehren vom Pferd absteigen? du Gottloser! soll ein Sohn also zu seinem Vatter reden? O Himmel! was für eine Straf verdient nicht diese Frevel-Red: Allein der Sohn kehrte sich nichts an diesen Verweis: sondern risse den Vatter mit Gewalt vom Pferd, und warfe ihn zu Boden. Wie der Vatter dieses Tractament (über welches Himmel und Erden sich entsetzen solle) von seinem Sohn erfahren müssen, bathe er ihn, er wolte doch nichts weiters vornehmen. Allein der Sohn antwortete: Was ich mir vorgenommen, das muß nun vollzogen werden. Es seynd allbereits etliche Jahr verstrichen, als du minch aus dem Closter gezogen. Das war freylich eine Sach, über welche du dir hättest sollen ein Gewissen machen. Allein, da war dir wenig daran gelegen, was GOtt dazu sagen, und wie es mir der Seel nach gehen wurde. Weilen nun darzu kommt, daß ich bishero kein gutes Gesicht, will geschweigen ein gutes Wort von dir bekommen können; und du mich also um Seel und Leib hast bringen wollen, wie solte ich dir anjetzo verschonen? wie solte ich Mitleiden mit dir haben können? Nein: jetzt sollest du den Rest haben; damit ich deiner einmahl abkomme. Dieses geredt, stiesse er (O Papier! werde schamroth über diese greuliche That) dem Vatter den Degen gantz unbarmhertzig in den Leib, und liesse ihn in seinem eigenen Blut verzapplen. Weil er nun glaubte, es hätte die Mordthat Niemand gesehen, liesse er den Leichnam gleichwohl an der offenen Straß liegen; er aber machte sich davon, und nahme seinen Weeg wiederum nach Haus.


Allein, wie gienge es weiters? Den anderen Tag, als dieser greuliche Vatter-Mord geschehen, kame das Gerücht in der Stadt aus, es wäre in dem Feld draussen ein Burger umgebracht worden, dessen Leichnam annoch in seinem Blut liege: wer aber der Thäter wäre, könne man nicht wissen. Da solte man gesehen haben, wie der Sohn in Anhörung dieser Zeitung die Händ in einander geschlagen; wie er geweint; wie er lamentirt. Ach! sagte er: Mein liebster Vatter! wel cher [130] grausame Mörder hat dir das Leben genommen? welcher hat seine Händ mit deinem Blut gefärbet? Ach! könnte ich dir das Leben wiederum geben, wie gern wolte ich das meinige darfür aufsetzen! aufs wenigst werd ich nicht nachlassen, bis man den Möder wird erfragt, und dein Blut mit seinem Tod gerochen haben. Dieses geredt, nahme er den geraden Weeg zu der hohen Obrigkeit, und bathe, man wolte doch scharf nachfragen lassen, durch wen diese Mordthat wäre begangen worden? was die Unkösten darüber belange, wolle er selbige alle aushalten. Nun liesse die hohe Obrigkeit ihr die Sach angelegen seyn, etwelche Tag scharf nachfragen; konte aber mehr nicht innen werden, als, daß ein Schaaf-Hirt vorhanden seye, welcher sich vernehmen lassen, was gestalten er vor etlich Tagen auf dem Feld von weitem ihrer zwey gesehen, welche einen scharfen Zanck-Handel mit einander gehabt; doch habe er nicht verstehen können, was es antreffe. Als diser aber eine Zeitlang gewähret, habe er gesehen, daß einer davon geloffen, der einen blauen Mantel, und rothen Rock angehabt: und wann ihn die Augen nich betrogen, von mittelmässiger Statur geweßt seye: mehr könne er nicht sagen. Wie die Obrigkeit das gehört, schöpfte sie einen starcken Argwohn, der Sohn selbsten müsse den Vatter-Mord begangen haben: Dann die Beschreibung seiner Person traffe just ein. Zudem ware bekannt, daß er eine Zeitlang vorher mit dem Vatter nicht wohl gestanden. Damit man aber behutsam in die Sach gienge, liesse die Obrigkeit die Haus-Genossen des Sohns vor sich kommen, und fragte sie aus, ob der Sohn um die Zeit, da die Mordthat begangen worden, zu Haus geweßt; oder nicht? Und als diese mit Nein geantwortet; und noch dazu gesetzt, daß er am Tag des begangenen Mords erst um sechs Uhr gegen Abends nach Haus kommen; und zwar im Angesicht gantz verwirrt, und mit vielem Schweis überrunnen; also, daß er selbige Nacht mit Niemand im Haus ein Wort geredt: Berufte die Obrigkeit auch den Sohn herbey, und sagte ihm; wie daß viel und heftige Anzeigen vorhanden wären, er selbsten, und kein anderer, müsse der Vatter-Mörder seyn. Wie der Sohn das gehört, erbleichte er im Angesicht; fienge an zu zitteren, und konte vor Schröcken kein Antwort darauf geben. Als er nun von sich selbsten überwiesen zu seyn schiene, liesse ihn die Obrigkeit in die Gefängnuß werfen: Da sie ihm dann den Proceß gemacht, und das Urtheil gefällt, daß er nach uralter Gewohnheit, als ein Vatter-Mörder, lebendig, samt einer Schlangen und Güggel solte in einen ledernen Sack eingenehet, und in das Wasser versenckt werden. Allein, weil eine ansehnliche Freundschaft darfür gebetten, ist das Urtheil in etwas gemildert, und er auf ein andere, wiewohl nach dem Verbrechen gemessene Weis hingericht worden. Wo aber nicht auszulassen, was [131] Gestalten er im Ausführen auf den Richt-Platz allen Kinderen beweglich zugesprochen, sie solten sich an ihm spieglen, und wohl hüten, daß, wann sie einen starcken, und stets anhaltenden innerlichen Antrib spürten, GOtt in einem Ordens-Stand zu dienen, sie sich von den Elteren davon nicht sollen lassen abwendig machen; und noch vil weniger den einmahl angetrettenen Ordens-Stand, den Elteren zu Lieb, verlassen: wann sie nicht wollen, daß so wohl die Elteren, als sie von GOtt empfindlich gestraft werden: Wie dann das traurige Spectacul davon vor Augen wäre.

Bidermann S.J. Acroamatum lib. 1. Acroamate. 4.


Was für ein erschröckliches Exempel ist dieses! und wie unverantwortlich ist es, wann die Eltern ihre Kinder, die sie doch von GOtt nur Pfand-weis bekommen, seinem Dienst entziehen; ungeachtet die Kinder genugsame Zeichen ihres Berufs in einen Ordens-Stand haben! sollen die Elteren nicht froh seyn, wann sie ein Kind in einem Closter haben? Erstlich; weil es anstatt ihrer GOtt den HErrn Tag und Nacht lobet, und ihm dienet: ja auch wohl des Nächsten Heyl befördert Andertens: weil es ja im Closter mit mehrer Sicherheit seiner selbst eigenen Seelen Heil würckt, als wann es in der Welt wäre. Drittens: weil es mehr für die Elteren bettet im geistlichen, als weltlichen Stand. Seynd das nicht solche Ursachen, durch welche die Elteren sollen bewegt werden, einem Kind, welches scheint in einen Ordens-Stand beruffen zu seyn, mit Händ und Füssen darein zu helffen? So, glaub ich, werden alle Verständige darfür halten. GOtt gebe! daß es ihnen die Elteren lassen eingehen. O wie vielem Unheyl können sie vorbiegen! herentgegen, zu wie vilem Guten helffen!

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 127-132.
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