Erster Auftritt

[247] Bauernstube und Kammer, durch eine Seitenwand getrennt, an der eine kleine Wanduhr, eine Sense und ein großes Messer hangen. Im Hintergrunde ein Strohlager und ein alter Lehnstuhl. Die Stube ist durch eine auf dem Tische brennende Lampe erleuchtet.

Es ist Nacht. Die Wanduhr schlägt eilfe.


TRUDE allein, am Spinnrocken sitzend.

Schon eilf, und Kunz noch immer nicht zu Haus:

Er ging nach Leuk doch heute früh schon aus. –

Wenn er nur nicht verunglückt! – Welch Getöse

Der Föhn heut wieder treibt! Als ob der Böse

Vom Gellihorne pfeift, es zu zerreißen,

Und es dem Gemmi nach dem Kopf zu schmeißen,

Wie Kunz das Messer schmiß! – Was fällt mir ein! –

Ja, um die Zeit just wird's gewesen sein;

Es war ja, glaub' ich, auch im Februar,

Als Vater, seliger, gestorben war. –

's ist lang schon her, und dennoch denk' ich dran,

Es überläuft mich kalt! – Wo bleibt mein Mann?

Vielleicht – ach Gott! – riß eine Schneelawine

Ihn mit sich fort! – Mich grauselt's! – Im Kamine

Ist auch kein Spänlein Holz – kein Bissen Brot

Im ganzen Haus – und Jammer nur und Not! –

Sie haben uns ja fast das letzte Hemd genommen,

Die harten Gläubiger! – Wie ist mir's heut beklommen!

Schwer ist der Fluch erfüllt; – es ist ein schwer Gebot

Das vierte! – Andre Mütter haben einen Sohn;

Doch unsrer, der als Kind schon in die weite Welt entfloh'n,

Verflucht vom fluchbeladnen Vater, rot

Vom Schwesterblut – längst hieß es: er sei tot! –

Wär' ich's nur auch erst, dann wär' ich der Qual entkommen! –[247]

Ich will eins singen – der Gesang soll frommen,

Wenn mit dem Schuldbuch und der böse Feind bedroht! –


Singt.


Wovon ist dir dein Schwert so rot?

Eduard, Eduard! –

Ich hab' geschlag'n 'nen Geier tot,

Davon ist mir mein Schwert so rot!

O weh, o weh! –


Ein garstig Lied! – Es hat 'nen dummen Schluß!

Brr! – Welch Geräusch? – Es klopft ans Fenster! – Muß

Doch zusehn; ganz gewiß ist es mein Mann!


Sie geht an das Fenster.


'ne Eule klammert sich ans Fenster an!

Auch sie sucht Schutz vorm Sturm! – Was das Ding glotzen kann! –

Sie starrt mich an! – Weg da! – Sie flieht und kreischt: komm mit! –

O meinst du mich, dann wär' ich sorgenquitt! –


Sie setzt sich wieder an den Rocken.


Die Eulen, sagt man, wittern nahe Leichen;

Auch mir ist's leichenhaft – die Angst will nimmer weichen! –

's ist auch so einsam auf dem Gemmi hier!

Dies Häuschen steht allein; drei Stunden in die Runde

Kein menschlich Wesen, als nur wir!

Wird's Winter, siedelt alles sich an im sichern Grunde,

Nur wir, wie von den Geistern der Alp gefesselt schier,

Sind hier – und heut' nur ich und meine Qual mit mir! –

Ein munter Liedel scheucht vielleicht die düstre Stunde!


Singt.


Und wenn der Bau'r ein Bauer ist,

So führt er seinen Pflug,

Und wenn er ein Hütli und Hemdli hat,

So hat er Kleider g'nug! –

Hütli auf,

Federli drauf;

Hirthemdli dran! –

Bunt Bänderli an!

Der Bauer ist kein Edelmann,

Der Bauer ist ein Bau'r;

Das Leben wird ihm sau'r! –
[248]

Herr Jesus! war's dies Lied nicht, das er pfiff,

Der Kunz, als er die Sense schliff?


Man hört an der Thüre klopfen.


Es klopft! – Mach' auf ich?! –


Zur Thür eilend und sie öffnend.


Ha, es ist mein Mann!


Quelle:
Das Schicksalsdrama. Herausgegeben von Jakob Minor, Berlin und Stuttgart [o.J.], S. 247-249.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der vierundzwanzigste Februar
Der Vierundzwanzigste Februar: Eine Tragedie in Einem Akt, Zweite Auflage (Paperback)(German) - Common
Der vierundzwanzigste Februar.
Der vierundzwanzigste Februar: Eine Tragödie in einem Akt

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon