Zweiter Auftritt

[249] Trude, Kunz ganz beschneit, einen Krückstock und eine fast ausgebrannte Laterne in der Hand.


TRUDE indem sie dem Kunz den Schnee abklopft.

Du böses Täteli, wie lange bleibst du dann! –

KUNZ.

Bin bis aufs Hemde naß! – Mach Feu'r! –

TRUDE.

Womit?! –

KUNZ.

Ja so,

Wir haben ja kein Holz! – Nun laß das, sei nur froh! –

TRUDE.

Froh? –

KUNZ.

Weil's entschieden nun mit uns ist! –


Ein Papier aus der Tasche ziehend.


Dies Mandat

Gab mir der Vogt zu Leuk, als ich ihn knieend bat,

Uns nur 'nen Monat lang noch Zahlungsfrist zu geben! –

TRUDE.

Er that's?

KUNZ ihr das Papier gebend.

Nun, lies nur! –

TRUDE.

Mensch, du machst mich beben!


Lesend.


»Dieweil der abgedankte eidgenössische Soldat, vormaliger Wirt und dermaliger Einlieger des Wirtshauses Schwarrbach[249] auf der Gemmialpe, Kunz Kuruth, die von dem Sennhirten, Johann Jugger, gegen ihn eingeklagte Wechselschuld von dreihundert Gulden Berner Währung, der mehrmaligen ihm bewilligten Prolongationen und Zahlungsfristen ohnerachtet nicht-zahlen kann, als wird beklagten Kunz Kuruth'schen Eheleuten angedeutet: daß dieselben morgen den 25sten Februar früh um acht Uhr, wenn sie bis dahin den Kläger nicht klaglos gestellt haben, mit ihren irrelevanten Einwendungen nicht weiter gehört, sondern vom Gerichtsdiener ausgepfändet, ihr Haus und Wiesenstück zu Schwarrbach, nach Abzug der darauf bereits haftenden Schulden, zur Befriedigung des Wechselgläubigers an den Meistbietenden verkauft, sie selbst, beklagte Eheleute aber, zur Abarbeitung der durch ihre Habseligkeiten nicht zu tilgenden Schuldenmasse, morgen in die Fronfeste gebracht werden sollen. Wie recht ist von Rechtswegen!«

Leuk, den 24. Februar 1804.

»Untervogt und Schöppen

hiesigen löblichen

Oberwallisischen Ortsgerichts.«


O Gott! – Warst du beim harten Jugger nicht,

Und bat'st ihn noch um eine Frist? –

KUNZ.

Der Wicht!

Was hab' ich nicht versucht, um ihn zu rühren:

Nur vierzehn Tage Frist uns noch zu leih'n.

Umsonst! – Kein Stein kann mehr gefühllos sein,

Als dieser reiche Klotz! – »Ich hab' nichts zu verlieren.«

So sprach er, »satt bin ich der Bettelei'n;

Hab' ich bis morgen früh mein Geld nicht, wohl, so führen

Die Schergen euch in Schuldturm ein!« –

TRUDE.

Warst bei den Nachbarn nicht, bei unsern Vettern, Basen?

KUNZ.

I – alle sperrten sie die Thür mir vor der Nasen!

TRUDE.

Und das sind Blutsverwandte! –[250]

KUNZ.

Ein Blutsverwandter heißt,

Der dir am letzten hilft und dich am ersten beißt!

TRUDE.

Sie haben, als wir reich, sich oft hier satt gegessen!

KUNZ.

Nach der Verdauung ist so was vergessen!

TRUDE.

So bringst du nichts mit?

KUNZ indem er ein halbes Brot aus der Tasche zieht und es auf den Tisch wirft.

Nichts, als dieses halbe Brot!

Mir gab's der arme Heini; er kennt des Hungers Not,

Drum brach er's mit mir! – Heute schützt es uns noch vorm Tod! –

TRUDE.

Und morgen?!

KUNZ.

Wenn die Schergen kommen – dann –

Ein Schelm erträgt mehr, als er kann –

Dann – wie ich lebte, sterb' ich – ein freier Schweizermann! –

TRUDE.

Du bist entsetzlich! – Hast du denn alles schon versucht? –

KUNZ.

Alles umsonst! – Wer einmal ist verflucht,

Der bleibt's! –

TRUDE.

Was meinst du? – Sieh mich nicht so gräßlich an! –

Drei Stunden nur von hier – gleich vorn im Kanderthal –

Wohnt doch der reiche Stöffli, der Kühe sonder Zahl

Und Käse hat, genug die Alp damit zu pflastern,

Und Geld, wie Heu! – Er lebt in Schand' und Lastern,

Ist immer abends schon betrunken – wohnt allein –

Wie wär's – du schlichst dich heute nacht noch bei ihm ein,

Und –? – Starr mich nicht so an! – Kannst ihm's ja wiedergeben,

Wenn Gott uns segnet. –[251]

KUNZ.

Uns Verfluchte?! –

TRUDE.

Wie ein Leih'n

Ist solch ein Nehmen! – Diebstahl, Gott soll behüten! – Nein! –

Doch sich im Notfall Ehr' und Leben

Durch solch ein – Nehmen retten, was man durch Fleiß und Streben

Zu seiner Zeit ersetzt! Kann das wohl Sünde sein?

KUNZ.

Weib! – Wagst du's, schändlich Weib, die Augen aufzuheben? –

Ich, ein gewes'ner eidgenössischer Soldat,

Der auf der Tagesatzung mitgestanden hat,

Und, was er satzen half, mit Gut und Blut vertrat!

Der lesen, schreiben kann, die Chronik hat gelesen,

Und weiß, wer Tell und Winkelried gewesen,

Und was, in alter Zeit, fürs allgemeine Wesen,

Mit eig'nem Nachteil oft, ein jeder Schweizer that!

Ich, den vor dreißig Jahren die Herrn vom Berner Rat

Beim Abschied gaben das Certifikat:

Daß ich dem Feind allein 'ne Fahne abgenommen! –

Ich – stehlen? – Wag's mir nicht noch einmal so zu kommen! –

TRUDE.

Um Gotteswillen, sei nur wieder gut!

KUNZ.

Dein Vater war ein Pfarrherr, und du 'ne solche Brut,

Die – stehlen will! – Pfui, schäm dich! –

TRUDE.

Dein wilder Jammer thut

Mir's Herz zerreißen! – Ach, könnt' ich mit meinem Blut

Dich retten! –

KUNZ.

Sei du nur auf deiner eig'nen Hut!

Ich weiß, was mir gebührt! – Noch keiner hieß Kuruth,

Und saß im Turm! – Ich sollt' der erste, sollt' allein

Der sein, der seiner Väter Namen schändet? – Nein! –

Mein Entschluß ist schon fest genommen;

Ich kann nicht anders! – Wenn sie mich morgen holen kommen[252]

Zum Schuldturm – geh' ich mit, bis wo sich beuget ein

Der Weg vom Lämmerngletscher über das Gestein

Zum Daubensee – dann – mag Gott mir Sünder gnädig sein! –

Dann – anders geht's nicht! – stürz' ich mich in den See hinein! –

TRUDE.

Gerechter Gott! –

KUNZ.

's ist besser doch zu sterben

Wenn gleich ein solcher Tod ist hart! –

Als auszuschlagen aus der Väter Art,

Und stehlen, oder Schande sich erwerben!

TRUDE.

O lebe, und wir wollen betteln geh'n

In allen fern entlegenen Kantonen,

Ich will die Heimat nimmer wiederseh'n,

Wo solche eis'ge Menschengletscher wohnen;

Auch da, wo nicht die Alpenlüfte weh'n,

Wird man Erbarmen kennen und Verschonen!

Komm, laß uns flieh'n! Laß dieses Haus des Fluchs allein,

's ist so verschuldet ja – kein Nagel drin ist dein;

Laß uns bei Fremden betteln – sie werden menschlich sein! –

KUNZ.

Jetzt – betteln geh'n! – Bist du von Sinnen?

Soll ich dein Mörder werden, Weib? –

Das würd' ich, führt' ich jetzt im Winter dich von hinnen,

Dich schwächlich Wesen! Meinst du, es sei ein Zeitvertreib,

Wenn überall die Schneelawinen rinnen,

In jedem Alpenpaß der Waldbach losgelassen saust,

Und wie des Vaters Fluch – dir Tod entgegenbraust? –

Des Vaters Fluch! – Du halfst ihn mir gewinnen,

Ich teilt' ihn mit dir, und du trugst ihn treu,

Durch achtundzwanzig Jahr – jetzt laß mich ihn entsühnen! –

Bist du von mir, dem Fluchbeladnen, frei,

Kannst besser du allein dein Brot verdienen;

Verdienen, sag' ich – nicht durch Bettelei

Erjammern! – Nein, das Weib des braven Kuruth sei

Verachtet nicht! –[253]

TRUDE.

Und du?! –

KUNZ.

Ich will es mich erkühnen,

Vor Gott zu treten – fluchentsühnt! –

TRUDE.

Und um

Den Fluch, den nichts entsühnt, dir zu erringen,

Zu schänden deiner Väter Ruhm,

Und mich, dein teu'r erkauftes Eigentum,

Verzweifelnd in die Gruft zu bringen!

KUNZ.

Du meinst, es sei ein Schimpf, sich töten? –

TRUDE.

Flieh die Schlingen,

Die dir der Böse legen thut!

Des Mittlers Blut, es floß auch dir zu gut! –

O nimm die Bibel; laß uns beten, singen,

Und waschen unsre Schuld in bittrer Thränenflut!

Wenn jetzo Dunkel auch auf unsern Augen ruht,

Kann uns zu retten doch – vielleicht uns noch gelingen!

KUNZ.

So meinst du? – Freilich, 's ist ein schwerer Schritt!

Ich dachte nicht noch so was zu erfahren!

TRUDE.

Drum bet! –

KUNZ.

Das kann ich nicht seit achtundzwanzig Jahren,

Seitdem der Alte starb! – Bet du nur für mich mit! –

TRUDE.

So hol die Bibel! – Gott, wie ist mein Herz voll Bangen! –

KUNZ.

Ich will sie gleich herunterlangen! –


Indem er eine auf dem Kamingesimse liegende Bibel herunternimmt und, sie Truden reichend, ein Blatt aus derselben fallen läßt.


Da!

TRUDE.

's fällt ein Blatt heraus! –[254]

KUNZ das Blatt aufhebend.

Es ist beschrieben gar,

Laß seh'n! –


Das Blatt lesend.


»Am vierundzwanzigsten Februar

Siebzehnhundert sechsundsiebenzig um zwölf Uhr nachts es war,

Als, seines Alters vierundsiebzig Jahr,

Herr Christoph Kuruth starb, mein Vater seliger,

Am« – – und ein großes Kreuz nun! – Sieh 'mal her!

Ist's groß genug, das Kreuz, den Fluch zu decken? –

TRUDE.

O mein Gebein durchfährt des Todes eis'ges Schrecken! –

KUNZ.

Was für ein Datum ist denn heute? –

TRUDE.

Laß die That

Gethan sein! –

KUNZ.

Zeig doch einmal das Mandat

Vom Amt! –

TRUDE indem sie das Mandat vom Tische nimmt und es dem Kunz giebt.

O bet zu dem, der alle Schuld vertrat! –

KUNZ.

Von heut ist's. –


Das Datum des Mandats lesend.


»Leuk, den vierundzwanzigsten Februar.«

Heut' ist sein Sterbenstag! – Nun ist mir alles klar! –

TRUDE.

Auch mir! –

KUNZ.

Horch auf! – Als ich heut' abends kam gegangen

Von Leuk, und nun den Alpenpaß gewann,

Der immer höher, steiler sich, wie Schlangen,

Im Zickzack dreht! – Du weißt: ich bin ein Mann,

Und fürchte nichts, als Schmach! – Auch hab' ich diesen Gang

Wohl tausendmal, bei Tag und Nacht, gethan;

Doch heute, wie es immer so entlang

Und wieder rückwärts ging, und stets die Felsenwand

Kein Ende nahm – da ward mir's, wie soll ich sagen, bang! –

Mein ganzes Leben drehte sich, wie ein Klippenband,[255]

Um mich herum, wie'n Alpenpaß der Qual,

Aus dem ich Ausweg, immer suchend, nimmer fand!

's war wie ein Traum mir, wo man Schritte sonder Zahl

Mit Angst thut und doch liegen bleibt! So kam

Ich durch die Kluft zur Höhe; ich sah hinab ins Thal;

Wie mein Gewissen düster war's! – Ich nahm

Den Fußpfad westwärts. – Als ich einmal aufsah,

Stand – in dem flockenschwangern Wolkenrahm –

Der Lämmerngletscher plötzlich vor mir – nah

Mit seinem eisbedeckten Haupt, er war

Wie Vater sel'ger, als er da saß, – da!


Auf den Lehnstuhl zeigend.


Im Todesschlafe, blau! – Mir fiel der Februar,

Der vierundzwanzigste, aufs Herz! – Im Nacken

Traf es mich, wie ein Henkersbeil! – Und klar

Glomm's auf – wie Gluten, die mich wollten packen! –

So war ich übern Daubensee gerannt,

Der, wie mein starrend Blut, zu Eis gebacken!

So wie mein Leben, war schier ausgebrannt

Das Licht in der Laterne! – Da, mit Krächzen,

Fliegt eine Dohle – wie an Sees Rand

Sie hausen – zur Latern'; als trieb ein Lechzen

Zur Flamme sie! – Mit beiden Klauen klammert

Sie dran sich – schnarrend, wie des Vaters Ächzen,

Als er den Todeskampf nun bald hat ausgejammert!

Und ihren Schnabel, gelb, wie dort die Schal'

Des Unglücksmessers


Auf das an der Wand hängende Messer zeigend.


wetzend, pickt und hammert

Sie am Laternenrande! – Frau, zum erstenmal

Hab' ich gezittert wie ein Kind! – Es klang

Wie Sensenschleifen! –

TRUDE.

Halt! – Es tötet mich die Qual! –

KUNZ.

Da – tief durch meines Herzens Kammern – drang

Der Fluchgedanke: Mörder! und das Huhn,

Das unsern Sohn zum Mörder machte, schwang

Vor meines Geistes Aug' sich auf! –[256]

TRUDE.

Laß ruh'n

Die Hölle! – Bete! –

KUNZ.

Nein! – das Frevelthun

Schleußt mir den Himmel! Mit Geschrei, mit Graus

Erfüllt des Vaters Fluch dies unheilschwangre Haus! –


Man hört an die Thür klopfen.


TRUDE.

Es klopft!

KUNZ.

Sein Geist ist's! –

TRUDE.

Nein! Es scheint ein Wandersmann!

Lass' ich ihn ein? –

KUNZ.

Und wär's der Teufel selbst – was kann

Er noch uns thun? – Mach auf! –


Trude öffnet die Thür.


Quelle:
Das Schicksalsdrama. Herausgegeben von Jakob Minor, Berlin und Stuttgart [o.J.], S. 249-257.
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