8. Auf das gemeine Gerüchte

[414] Der Ruff ist selten ohne Grund,

Vergrössert er gleich alle Sachen;

Die Wahrheit öffnet ihm den Mund,

Und lehrt die Lügen ihn zu machen:

Er setzt, um mehr uns zu betrügen,

Zur Finsternüss ein wenig Klarheit;

Spricht keine Wahrheit ohne Lügen,1

Und keine Lügen ohne Wahrheit.


Fußnoten

1 Spricht keine Wahrheit ohne Lügen etc. Pariter facta atque infecta cannebat, sagt Virgilius von dem Gerüchte, und ein wenig zuvor: Mobilitate viget, viresque acquerit eundo. Aen. 1. 4. Gleich wie es nun aber zu der Wahrheit allezeit etwas zusetzet; so lehret es hergegen die Erfahrenheit, dass es auch selten eine Lügen ausbreite, dazu nicht ein wenig Wahrheit solte Anlass gegeben haben. Das schlimmste ist, dass es gemeiniglich ein Ding anders vorstellet, als es in der That nicht ist: Indem es bald einen Irrthum zu einem sträfflichen Vorsatz; bald ein unvermeidliches Unglück zur Würckung entweder einer unbesonnenen Thorheit, oder einer unmänliehen Verzagheit macht. So dass es scheinet, man habe in der vorigen Ausgabe so gar ungereimt nicht gesaget:


Sey sorghafft, dass man nie was schlimmes von dir dichte:

Man fodert das Gerücht so leicht nicht vor Gerichte.


Man hat aber im Nachsehen befunden, dass wie man in dem ersten Vers eine Sache gerathen die unmüglich zu bewerkstelligen; also in dem andern, den guten Verstand durch das eitle Wörterspiel verdächtig gemacht habe, und also diese Uberschrifft durch eine andere ersetzen wollen.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 414.
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