56. Auff Phorbas

[242] Kein glücklich Bubenstück hat Phorbas je bereu't;

Er fragt nichts nach der That, wenn er den Schein vermeidt;

Es gehn ihn beyderley Gesetze1 gar nicht an,

Wenn er sie unvermerckt und nützlich brechen kan.

Er denckt: vor dumme Dieb' ist nur des Henckers Ruht,

Die nur die Einfalt strafft, und nicht die Missethat;

Und kennt den Vortheil woll, den über diese hat

Die nichts thun als was recht, der was er thun mag thut.2


Fußnoten

1 Beyderley Gesetze. Das Recht der Natur und der Völcker, die geistliche und weltliche Rechte.


2 Die nichts thun als was Recht, der was er thun mag thut. Ob gleich dieser Vers meiner Meinung nach voll flissend und Zahlreich, auch über dem so abgefasset ist, dass der gantze Verstand desselben in einer andern Sprache schwerlich in einen Vers wird können gebracht werden; so glaube ich doch, dass weil er aus lauter einsylbigen Wörtern bestehet, er von denen wird getadelt werden, die nichts von der Deutschen Poesie wissen, als was sie aus einem Poetischen Trichter, oder andern dergleichen einfältigen Anweisungen gelernet haben. Denn hierinnen ist es eine der vor nehmsten Regeln, dass man keinen Abschnit, geschweige einen gantzen Vers, von einsylbigen Wörtern machen müsse. Diese gute Leute bilden sich ohne Zweiffel ein, dass man nur der Worte und der Reime, und nicht des Verstandes halber, Verse schmiede; dass Polyphemus mit seinen Riesen angenehmer anzuschauen sey, als eine Reihe kleiner Liebes Götter: oder dass ich der Sache näher komme, dass das ungestüme Gebümmel grosser Glocken angenehmer, als die artige Eintracht kleiner Chormässigen Flöten in den Ohren klinge. Denn sonsten weiss ich nicht, woher sie diese Regel genommen; nicht von der Natur der Sprache, weil dieselbe voller einsylbigen Wörter ist: vielweniger von dem Beyspiel frembder Poeten, sintemahl derer Gedichte in unzehlich viel Versen das Gegentheil anzeigen. Boileau wird ohnstreitig von den Frantzosen vor einen ihrer besten Poeten gehalten. Nun will ich nichts von seinen einsylbigen Abschnitten melden. Dieselbe sind unzehlich. Man betrachte aber folgenden Vers in seiner 4. Satyr.


Et tel y fait l'habile, et nous traite de Fous,

Qui sous le nom de sage, est le plus fou de tous.


Oder das Ende seiner 6. Satyr.


Mais moy, grace au Destin, qui n'ay ni feu ni lieu

Je me loge où je puis, et comme il plait à Dieu.


Hier sind so gar von dem letzten Abschnitt des ersten Verses an, biss ans Ende des andern nichts als lauter einsylbige Wörter. Solte aber jemand einwenden dass in diesem letztern Vers die Worte loge und comme, wie in dem obenangeführten das Wort sage zu finden, welche Zweysylbig wären, ob sie gleich als Einsylbige wegen der Elision ausgesprochen würden, so frage ich ihn, was er denn zu diesem Vers sagen werde, der in Boileaus 8. Satyr anzutreffen:


Son cœur toujours flotant, entre mille embarras,

Ne scait ni ce qu'il veut, ni ce qu'il ne veut pas.


Das Artlichste an diesem letzten Verse ist, dass er nicht allein von lauter einsylbigen Wörtern bestehet, sondern so gar mehr Worte als Füsse hatt. Guarini hat nicht weniger Ruhm unter den Welschen, als Boileau unter den Frantzosen. Nun lese man seinen Pastor fido, und verwundre sich, wo man will über die vielen einsylbigen Verse, in einem Gedichte das fast durchgehends ohne Reime, und in einer Sprache, die der Lateinischen am nechsten kommt, geschrieben ist. Zum Beweiss:


Non sò qu'el che si sià, tu vuoy chi t'ami.

Atto 2. Scena 2.

Che vuoi tu pià da lei? che ti può dar.

Atto 4. Scena 9.


Von den Engländern sage ich nichts: Theils weil diese Sprache uns durchgehends nicht, so wie die Welsche und Frantzösische bekant ist, und wenig dieselbe so weit verstehen, dass sie von ihrer Ticht-Kunst ein Urtheil fällen können; theils weil fast keine Seite in ihren Gedichten zu finden, die nicht von der gleichen Exempeln voll sey. Solte man nun diesen Poeten diese ihre Verse aus oberwehnter Ursache tadeln, so würden sie uns ohne allen Zweiffel vor ungeschickte Leute halten, die das in einem Gedichte vor einen Fehler hielten, was unterweilen ein Theil desselben Zierraths sey; und nicht wüsten, was die Poetische Zahl oder Numerus Poeticus sey, als welcher darinn grossen theils bestehet, dass die Wendung und der Fall der Verse unterschiedlich sey; und dass die Verse zwar fliessen, aber einer dem andern nicht allezeit gleich fliessen müsse.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 242.
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