65. Auf Lysanders aus dem Welschen übersetzte Verse

[160] Lysander der verdeutscht in einer gleichen Zahl

Ein Welsch Sonnet und Madrigal,

Wo sich ein jedes Wort vor seinem Nachbar scheut,

Und mit ihm voller Misstraun spielet;

Wo jedes Wort aufs Ende zielet,

Und dennoch der Verstand im Haven Schiffbruch leidt:

Auf was vor eitlen Grund ist dieser Wahn gebauet?

Denckt er ein träger Esel schein'

Ein muntrer Pegasus zu sein,

Wenn man ihn durch ein Fernglass schauet.1


Fußnoten

1 Durch ein Fernglass schauet. Der Verstand dieser Worte ist, dass es Thorheit sey sich einzubilden, dass ein Ding deswegen nohtwendig müsse schön seyn, weil es von ferne kommt, und aus einer andern Sprache übersetzet ist sintemahl es unter den Ausländischen, und insonderheit den Welschen Poeten, so wol als unter uns viel Leute giebt, derer Gedichte nichts anders sind als versus inopes rerum, nugaeque canorae, wie Horatius schon zu seiner Zeit angemercket hat. Unterdessen gestehe ich gerne, dass ein gewisses einfältiges Sonnet auf die Geburt unsers Heilandes, welches einer unserer vornehmsten Poeten aus dem Welschen übersetzet, mir zu dieser Überschrift Anlass gegeben. Denn ob ich gleich sonst den Ubersetzer wegen vieler seiner eignen Gedichte mit gantz Deutschland in hohem Wehrt halte, so hindert mich dieses dennoch nicht, dass ich nicht sein Kupffer von seinem Golde unterscheiden solte, als der ich von Jugend auf gewohnet bin nullius in verba jurare Magistri.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 160.
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