55. Auf die Schlesische Poeten

[314] Der sich durch falschen Wahn entehret,

Und Deutschlands Urtheil wiederstrebt:

Der dort wo Cicero gelebt

Von keinem Redner hat gehöret;

Demselben ist auch kein Poet,

Der jedes Dings Natur versteht,

Und sinnlich die vorstellt, bekant

In Hoffmanswaldaus Vaterland.1


Fußnoten

1 In Hoffmanswaldaus Vaterland. Der grosse Ruhm den man allhier den Schlesischen Poeten zuleget, stimmet mit einigen vorhergehenden Uberschrifften und deren Anmerckungen nicht allerdings überein; und dieser Unterscheid im Urtheilen rühret von dem grossen Unterscheid des Verfassers Jahre her. Man hatte, als man diese Uberschrifft schrieb, nicht allein keine Englische und Frantzösische Poeten; sondern so gar auch die besten Lateinische nicht anders als der Sprache halber gelesen. Wannenhero es kein Wunder, dass man sich damahls in seinem Urtheil in etwas verstiegen. Die Sache kurtz zu machen, so ist man annoch der Meinung, dass die Schlesische nicht allein unsre beste Poeten; sondern auch mit den besten ausländischen Poeten möchten zu vergleichen sein, wenn die zwey berühmte Männer Lohenstein und Hoffmanswaldau es bey der reinen und natürlichen Schreibahrt des Opitz und Griphs hätten bewenden lassen; und nichts anders als ihr eigne Scharfsinnigkeit derselben zugefüget hätten. Es scheinet aber, dass sie beyderseits unter allen frembden Poeten sich die Welschen zum Muster gesetzet. Nun ist es unstreitig dass dieselbe am wenigsten unter allen andern zu folgen, weil in ihren Schrifften mehr falscher, als wahrer Witz, und vor eine reine Redens-Art hundert rauhe Metaphoren anzutreffen sind. Es giebt nur einen Guarini, und folgends nur einen getreuen Schäfer unter denselben. Tasso selber hat in seinem Jerusalem mehr Sachen die den Leser verführen, als die demselben zur Unterrichtung dienen können. So dass Boileau desselben Witz nur mit dem Flitter-Gold, des Virgilius seinen aber mit dem wahren Golde vergleichet.


Tous les jours à la Cour, un sot de qualité

Peut juger de travers avec impunité:

A Malherbe, à Racan, preferer Theophile,

Et le chinquant du Tasse, à tout l'or de Virgile.


Nun siehet man unter andern auch aus diesen Versen, dass des Theophils allhier nicht allerdings zum besten gedacht wird; und dass Boileau von seinem eignen Landsmann eine gleiche Meinung mit dem Herrn von Hoffmanswaldau nicht hat. Sintemahl dieser in seiner Vorrede nicht allein denselben unter die beste Poeten gerechnet, sondern auch dessen sterbenden Socrates zu übersetzen der Mühe wehrt geachtet hat. Die Wahrheit ist, und die Wahrheit muss man auch einem so schätzbaren Mann zu Liebe nicht verschweigen; die Wahrheit ist, sage ich, dass der Herr von Hoffmanswaldau in seinem Urtheil über die ausländische Poeten, ausser was die Welschen angehet, sehr geirret: Indem er nicht allein die gute mit den schlechten über einen Kamm geschoren; sondern auch der schlimmen gedacht, und der guten vergessen hat. Unter den Frantzosen setzet er zu dem Malherbe und den beyden Corneilles, welche von allen hoch geschätzet werden; Theophile, Moine, Chapelain und Scuderi, welche von allen Kennern verachtet werden: und unter den Engelländern gedencket er rühmlich des Donns und Quarles, welche von keinem Engelländer gelesen; und nennet nicht einmahl Milton, Cowley, Denham und Waller, welche von ihnen mit recht vor ihre beste Poeten gehalten werden. Einiger neuer zu geschweigen, welche erst nach des Herrn von Hoffmanswaldaus Zeit in einen Ruff gekommen sind. Die Welsche Poeten ziehet er allen andern Ausländischen vor. Denn wenn er in seiner Vorrede saget, dass die Deutsche Poesie so reine worden, dass sie der Ausländischen nicht mehr nachgiebt; so gestehet er doch gerne, dass die Welsche wegen ihrer ungemein angebohrnen Verstandes und Scharffsinnigkeit an guter Erfindung den Deutschen manchesmahl zuvor gehe. So dass hieraus klar erhellet, dass er sich dieselbe unglücklicher Weise zum Beyspiel gesetzet hat. Seine Helden-Briefe sind sein Meisterstück. Man lese dieselbe aber mit Bedacht und ohne Vorurtheil über, und bestraffe mich hernach, wo man kan, einer Unbescheidenheit.

Man betrachte, zum Exempel, in dem ersten Briefe des Eginhards an die Emma, damit man nicht meine ich hätte den schlimmsten ausgesucht; man betrachte, sage ich, in diesem eintzigen Briefe, nicht einige falsche Reime als Ketten und treten, will und Spiel, denn in Sinnreichen Gedichten gehet man dergleichen Kleinigkeiten gerne vorüber, noch diese grosse Worte, als: Herrscherin, Mörderin und Göttin; obgleich dieselbe in diesem Briefe noch so vielmehr in die Augen scheinen, weil sie gantz nahe auf einander folgen, so dass nur ein einiger Vers, zwischen den zweyen erstern, und nur drey zwischen den zweyen letztern stehen; sondern man erwege diese drey wichtige Dinge:

Die uneigentliche Redens-Arten, die harte Metaphoren, und den falschen Witz. Zum ersten die uneigentliche Redens-Arten, als:


Die steiffe Zuversicht streicht allen Kummer hin.


Hinstreichen wird hier vor Ausstreichen gebraucht, da es doch eine gantz wiederwärtige Bedeutung hat. Denn wenn man zum Exempel sagte, der Schreiber hat eine Linie hingestrichen; so würde keiner daraus verstehen, dass er sie ausgestrichen, sondern vielmehr dass er sie erst gezogen habe.

Beliebt Dir einen Blick auf meinen Brief zu lencken.

Die Augen lencken sagt man zwar, aber einen Blick auf etwas lencken ist falsch Deutsch; denn man sagt einen Blick auf etwas werffen. Zu dem so ist es unmüglich und folgends wieder die gesunde Vernunfft, dass man ein Ding lencken könne, das in solcher Eil geschiehet, und von so kurtzer Daur ist. Sonst könte man es so wol von dem Blitz als einem Blick sagen. Ein Jäger kan zielen und seine Flinte lencken, so lang er will; wenn er aber einmahl abgedrückt, so ist es unmüglich, dass er den Schuss lencken könne.

Die Flamme, die mich treibt, das ist ein Zug von oben.

Diese Redens-Art ist gantz unförmlich. Denn ausser dass treiben und ziehen allhier einen verwirtten Verstand machet; so schicket sich das Vorwort das, zu der Flamme nicht.


Es will der Balsam sein vor unser junges Leben.


Man sagt nicht die Liebe will ein Balsam sein, sondern die Liebe ist ein Balsam. Und diese falsche Redens-Art ist nicht ungleich derjenigen, derer sich die Meyntzer gebrauchen, wenn sie thun schreiben oder thun lesen, an stat schreiben, oder lesen setzen. Zu geschweigen, dass die süsse Gifft vor das süsse Gift in einem dieser Verse zu finden; weil vielleicht dieses Wort bey den Schlesiern weibliches Geschlechtes ist. Die oberwehnte aber, welche der Eigenschafft der Sprache gantz zuwider, und bloss allein dem Vers und dem Reim zu gut eingeführet sind, sind ohne alle Entschuldigung. Sintemahl die Reinligkeit der Sprache in der Poesie vor allen Dingen muss beobachtet werden. Zum andern betrachte man die harte Metaphoren, als:


Ich weiss, dass meine Gluht sich denckt zu hoch zu heben,

Und dass mein Kieselstein zu Diamanten will.


Das ist zu sagen: Der Schreiber will der Printzessin zu Leibe. Was aber des geheim-Schreibers Kieselstein sey, ist nicht wol zu begreifen, und macht folgends wunderliche Gedancken. Gleich darauf sagt er von der Liebe:


Sie bindet Gold an Stahl, und Garn zu weisser Seide,

Macht, dass ein Nesselstrauch die edle Rose sucht,

Zu Perlen legt sie Grass, zu Kohlen legt sie Kreyde.


Die Metaphora von dem Nesselstrauch und der Rose ist zierlich genug, und drücket des Poeten Meinung gnugsam aus. Die übrigen aber scheinen nicht allein nur lauter Flick-Wörter zu seyn, die Verse damit zu füllen; sondern zeigen auch gar nicht an was sie hier sonst bedeuten solten. Denn dass die Liebe Gold mit Stahl, dass ist zu sagen Reichthum mit Tapferkeit verbünde, ist gar nichts ungemeines; aus Garn kan man fast so zarte und kostbare Tücher, als aus Seide machen; und ich finde keinen andern Unterscheid zwischen den Kohlen und der Kreyde, als das die eine weiss, die andern schwartz, und im übrigen beyde ungefehr einerley Wehrtes sind. Ich geschweige der Perlen und des Grasses, welche mit einander gar keine Vergleichung haben. Denn ich schreibe es dem Drucker zu, welcher vielleicht Grass vor Glass mag gesetzet haben.


Wenn deiner Demuht Glantz auch in die Thäler fährt.


Der Glantz wird der Demuht übel beygeleget, indem er derselben zu wider ist, und der Hoffahrt zugehöret. Es sticht diese Redens-Art zwar in die Augen, aber es ist nicht alles Gold, das gläntzet.


Und führt uns in das Feld der rechten Frühlings-Zeit.


In das Feld des Frühlings führen gehet hin. Aber wie man einen in das Feld der Zeit führen könne, begreiffe ich nicht. Endlich so gehören auch hierher die Hoff nungs-Seulen in folgendem Verse:


Bricht deine zarte Hand die Hoffnungs-Seulen ein.


Zum dritten und letzten betrachte man den falschen Witz in folgenden Zeilen:


Dein hoher Purpur lässt mich nicht vom Tode dencken.


Dieses ist der Vernunfft zu wider; denn es ist eben dieser hohe Purpur, welcher ihn des Todes schuldig macht.


Der Käyser wird ihr Knecht, der Jäger wird erjaget.


Dass der Jäger hier allein und vor allen andern, dem Käyser zugesetzet wird, siehet man wol, das es allein geschehen; damit man diese kleine Spitzrede an den Mann bringen möchte. Nun wäre dieselbe zwar was artiges in dem Munde eines Schülers, aber einem Käyserlichen Geheimschreiber stehet dieselbe gar nicht an. Zu dem, so dencket ein Verliebter gar wenig an dergleichen Schulwitz, wenn er der geliebten Person die kräfftige Regungen seines Gemühts vor Augen zu stellen beschäfftiget ist.


Die Hände bebeten, es irrten alie Sinnen,

Ich war ein rechtes Nichts an Farb und an Gestalt.


Sage mir nur einer, was Nichts vor Farbe und Gestalt hat, Et Phillida solus habeto.


Du weisst, wie offtmahls ich der Zeilen Reih' verlohren,

Wenn ich dem grossen Carl geheime Schreiben lahs;

Es fehlten manchesmahl mir Augen, Hertz und Ohren,

Wenn meine Herscherin mir gegenüber saas.


Dieser Einfall wäre sehr schön, wenn er nur die geringste Wahrscheinligkeit hätte. Denn welcher Käyser, König, oder Fürst hat jemahls seine Tochter zur geheimen Rähtin gemachet; so dass man sagen könne, sie sey zugegen gewesen, wenn er sich geheime Schreiben habe vorlesen lassen.


Es wird die Nachwelt noch den heissen Fürsatz loben,

Der mich itzund verblendt zu deinen Knien reisst.


Entschuldigen ginge an, aber Loben ist der Wahrheit gantz zu wider, oder man müsste von der Nachwelt eine wunderliche Meinung haben.


Ruffst du, so hält mich auch der Himmel selbst nicht auf.


Solch einen kühnen Vers, glaube ich nicht, dass jemahls ein Heydnischer Poet, den Lucretius ausgenommen, geschrieben habe. Weshalben ich den auch denselben nicht auf die Wagschal legen will. Sintemahl ich keinen Vorsatz habe, dem um die Deutsche Poesie und noch mehr um seine Vaterstadt so wollverdienten tugendhafften Mann zu nahe zu treten; sondern nur aus Liebe des allgemeinen Vatterlands, den Deutschen die Augen zu öffnen, damit sie in fleissiger Lesung dessen Schrifften sich vor dessen Fehler hüten, und hernach desselben Treffligkeiten sich desto besser zu Nutz machen können. Denn ich gestehe es mit Freuden, dass wenn dieser scharffsinnige Mann in die Welsche Poeten nicht so sehr verliebt gewesen wäre, sondern sich hergegen die Lateinische, die zu des Augustus Zeiten geschrieben, allein zur Folge gesetzet hätte: so würden wir vielleicht etwas mehr als einen Deutschen Ovidius an ihm gehabt haben. Welches, wie man es aus einigen schönen Oertern seiner Briefe; also auch insonderheit aus diesem, welcher in dem Briefe der Judith an Baldwin zu finden ist, ersehen kan; doch so, dass man auch hierinnen demselben einige harte Redens-Arten zu gut halten muss.


Darff ich die Warheit hier mit rechtem Nahmen nennen,

(Doch dieses stehet mir bey meinem Trauren frey,)

So muss ich nur für dir, und aller Welt bekennen,

Dass auf der Männer Wort nicht viel zu bauen sey.

Was liebt ihr? Euch nicht uns; ihr spielt mit Schwur und Eyde,

Und sucht durch Falscheit-Wind den Haven eurer Lust,

Ihr kleidet eure Wort in Schwanen-weisse Seide,

In dem der Bossheit-Kuss erfüllet eure Brust.

Ihr wünscht das Gottes Zorn euch schleunig sol verzehren,

Dafern ein Tropffen List vergället euren Sinn,

Und gebet da und dort vertiefft in solchen Schweren,

Vor einen halben Kuss den ganzen Himmel hin.

Ihr bauet mit Gefahr auf unsres Ruhmes Grunde,

Der offtmahls sehr beschwert in tausend Stücken bricht,

Ihr blaset falschen Dunst aus eurem geilen Munde,

Und schont in eurer Gluht der reinsten Seelen nicht.

Zuletzte stirbt die Lust, nicht aber ohne Schande,

Ihr schaut uns dann erstarrt als todte Bilder an,

Und rühmt euch offtermahls in einem frembden Lande,

Was, wo, wie, und bey wem ihr böses habt gethan.

Denn eure Laster dörfft ihr nicht, wie wir, verdecken,

Gewohnheit hat das Werck schon in den Schwang gebracht,

Dass dieses, was uns kan in Ewigkeit beflecken,

Euch offt bey Schertz und Wein zu grossen Helden macht.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 314.
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