1. An den Leser

[444] Wer gegen diese jetzt die vorig' Aufflag' hält,

Der findet, wo ihm nur die Mühe nicht missfällt,

Dass fast kein Verse nicht, den ich zuvor geschrieben,

Ist was er vormals war, und ohne Strich, geblieben.

O hätt' ich,1 nun ich hier vermehre derer Zahl,

So mercklich den Verstand und Geist von Martial:

Dass wie die alte man mit recht kan neue nennen;

Man auch die Neue so vor Alte möcht' erkennen.2


Fußnoten

1 O hätt' ich etc. Dass mir eben dieser Wunsch nicht gar zu weit ans Hertze gehet, werden sich diejenige leicht einbilden, die nur die geringste Kenntnüss von mir haben. Ich habe diese wenige Verse nochmals geschrieben, theils die Zeit zu vertreiben, theils denjenigen die davor halten, dass ich anderer Dinge fähig bin zu zeigen, dass ich biss die rechte Zeit kommet, auf keine andere Sachen gedencke. Nun habe ich längst von den Frantzosen gelernet, dass wenn man eine Thorheit begehet, man dieselbe niemahls nur halb begehen müsse.


2 Vor alte möcht' erkennen. Dass sie so sinnreich wären, dass man sich einbilden solte, sie kähmen von dem gelehrten Alterthum und des Augustus Zeiten her.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 444-445.
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