1. Furor Poeticus

[326] Wie glücklich ist der Mann, der sich vom Wind' ernährt,

Und Wolle von dem Schnee, gleich wie von Schafen, schert;

Der zu Dukaten-Gold der Sonnen Strahlen schlägt,

Und in ein Spinngeweb' ein Bild der Tichtkunst pregt;1

Der Marmor und Albast aus Brüst- und Händen haut,

Und ein Escurial dem Ruhm zur Wohnung baut;

Der Edelstein' und Stern' aus seiner Feder spritzt,

Und dessen Muse nichts als Musck und Amber schwitzt;2

Der in dem Aug' Achat, in Thränen Perlen findt,

Und aus den Disteln Zeug der Lust zum Schlaffrock spinnt;

Der dem Betrug aus Rauch, Helm, Schild, und Pantzer schmiedt,[327]

Und wie ein Sonntags Kind, Nichts in Person, offt sieht:

Wie glücklich ist der Mann, der seine Noht vergisst,

Nicht Durst noch Hunger fühlt, weil er von Sinnen ist.


Fußnoten

1 Und in ein Spinngeweb' ein Bild der Tichtkunst pregt. Man siehet aus diesen Worten, so wol als aus der gantzen Uberschrifft, dass ob man gleich nochmalen allhier die bey unsern Poeten im Schwang gehende, nichts bedeutende Worte, diese inornata et dominantia nomina solum, tadelt; man dennoch eben in der Bestraffung denselben eine ins Auge scheinende Sinnligkeit zulege. Es bekleiden dieselbe in der That so artig ihren Platz, und sind von so geschickten Leuten eingeführet worden, dass sie fast durchgehends von ihren Nachfolgern angenommen worden sind.

Nam

Decipit Exemplar vitiis imitabile ...


Wannenhero es kein wunder, dass wenn man diese bunte Spechte, entweder aus dem Keficht werffen, oder denselben zum wenigsten zu sprechen lehren will; man so gleich von den meisten angesehen werde, als wolte man alle Nachtigalen aus dem Gepüsche vertreiben:

Clamant periisse pudorem

Cuncti penè Patres: ea cum reprendere coner,

Quae gravis Aesopus, quae doctus Roscius egit.

Vel quia nil rectum, nisi quod placuit sibi, ducunt;

Vel quia turpe putant parere minoribus: Et quae

Imberbes didicere, senes perdenda fateri.


Horat. Ep. I lib. 2.


2 Und dessen Muse nichts als Musck und Amber schwitzt. So dass man ihm artig diese Worte des Cardinals Palavizini zueignen kan: Profuma i suoi concetti con un ambra e con un zibetto, che a lungo andare danno in testa; nel principio dilettano, nel processo stancano. Considerationi sopra l'arte della stile.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 326-328.
Lizenz:
Kategorien: