36. Coriolanus an die Veturia

[352] Es soll geschehn! Ob gleich das Unrecht ich verspüre,

Das dieser Endschluss thut den Waffen, die ich führe:

Du foderst deine Schuld, und diese fodern Treu';

Die brech' ich, wo ich will das jener recht geschehe;

Die eine wiedersteht der andern, und ich sehe

Dass Tugend, Laster, Schand', und Ehr' ein Ding itzt sey.1


Fußnoten

1 Dass Tugend, Laster, Schand' und Ehr' ein Ding itzt sey. In Ansehung seiner eignen Person. Sonst hat dieser Vers einen so vollen Verstand, dass die gegengesetzte Wörter, welche sonst an sich selbst eine Uberschrifft zieren, auch hier der Ernsthafftigkeit der Sache keinen Abbruch thun. Coriolanus war in der That in den Stand gesetzt, dass in Ansehn ihm ein feindliches Kriegsheer gegen sein eigen Vaterland anvertrauet war, er keinen Endschluss fassen könte, der nicht auf einer Seite wieder die natürliche Liebe, auf der andern wieder seine Pflicht und Schuldigkeit stritte; und sahe folgend gar woll, dass es unmüglich wäre, dass ihm nicht eine That bey den einen zum unsterblichen Ruhm, bey den andern zur unverleschlichen Schande gereichen solte.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 352.
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