42. An die Ruhm-begierge Chloe

[356] Willst du, dass ich dich rühmen soll,

So deute meine Meinung woll;

Tiefsinnig bin ich nicht; meist schreib' ich ungefehr,

Und denck' in dem ich rühm', auf keine Heucheley:

From bist du, wie ein stilles Meer,1

Und wie ein guter Wind, getreu.


Fußnoten

1 From bist du, wie ein stilles Meer. Dieses scheinet ein feiner Ruhm, so lange man sich an den blossen Buchstab hält; so bald man aber der Sache ein wenig nachdenckt, so verändert sich der Wind, und ein Sturm folgt der Stille. Intelligitur enim quod non dicitur. Quint. 1. 6. c. 3. Man wird in gewissen Gelegenheiten verstanden, ob man gleich nicht allemahl so Deutsch, und so frey von dem Mund spricht, als jener Poete; welcher weil ihm von einer gewissen schönen Frauens-Person kein Friede gelassen ward, biss er sie der Sonnen verglichen; endlich aus Ungeduld in die Verse herausbrach:


Weil du der Sonnen wilst mit Macht verglichen sein,

So mach' ichs kurtz und gut: Du bist, wie sie, gemein.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 356.
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