47. Erfahrenheit und Klugheit zusammen

[358] Wer niemand was, noch wie es sey zu thun, darff fragen,

Und nach dem rechten Zweck auf rechtem Wege zieht;1

Von dem kan man allein nur sagen,

Dass er mit zweyen Augen sieht.


Fußnoten

1 Und nach dem rechten Zweck auf rechtem Wege zieht. Es wird viel Klugheit erfodert, dass man in allen Sachen sich einen rechten Zweck erkiese; wie man aber am besten dazu gelangen könne, das lehret uns am besten die Erfahrenheit. Wie manches mächtiges Land, ist gleichsam ausser aller Menschen Achte, und bleibt allezeit in einem ungewissen Stande; weil diejenige, die an dem Helm und Ruder sitzen, sich, nach reifflicher Erwegung des allgemeinen Nutzens, kein gewisses und unbewegliches Ziel setzen, wohin sie nachmahls alle ihre Rahtschläge richten solten; sondern ohne was gewisses in Augen zu haben, täglich hin und her sehen, und aus den unterschiedenen Zufällen anderer Reiche einen kleinen Vortheil zu erzwingen suchen; so dass sie alle ihre Rahtschläge nach den auswertigen Unternehmungen, die auswertige Reiche und Lande aber dieselbe niemahls nach ihren Rahtschlägen richten. Hergegen giebt es andere, welche den von ihren klugen Vorfahren gesetzten Zweck zwar erkennen, aber mit gleichen Schritten nach demselben nicht zu eilen wissen; sondern aus Mangel der Erfahrenheit offtmahls in irrige Abwege verfallen, und sich folgends desto weiter von dem gesetzten Zweck entfernen, je mehr sie sich demselben zu nähern beschäfftigt sind. Weiter: Ein gechickter Höfling, der sich an seines Herrn Hofe woll aufgeführet, weil er an demselben gleichsam von Kindesbeinen an auferzogen worden, und folgends denselben woll kennet; derselbe, sage ich, wird aus dieser Ursach unterweilen an einen frembden Hof verschicket, den er gantz nicht kennet. Siehet aber nicht ein jeder, dass man sich hierinnen sehr betrüge, sintemahl uns offtmahls dasjenige, was uns an unserem eignen Hofe angenehm, an einem andern nicht allein verdriesslich, sondern auch unterweilen gar lächerlich machet. Ja, wiedersetzet man: Aber ein geschickter Mann kan in kurtzer Zeit den Unterscheid der Leute und ihrer Gebräuche erkennen. Ich gestehe es; allein dieses ist auch unstreitig, dass er sich in solcher kurtzen Zeit offtmahls in solchen Hass und so grosse Verachtung setzen kan, dass ihm hernach alle seine Geschickligkeit wegen der späten Erfahrenheit keinen Nutzen schaffen kan. Man weiss gar wichtige Exempel, es ist aber nicht nöthig dass man dieselbe anführe. Zu dem so weiss nicht gleich ein jeder Höfling, wie man mit den Geschäfften, noch ein jeder der in den Geschäfften so zu sagen aufgebracht worden ist, wie man an frembden unbekannten Höfen mit den Geschäfften umgehen müsse. Mancher weiss zwar insgemein, dass nach des Ritter Wottons Bezeichnung, ein Abgesandter ein ehrlicher Mann sey, den man in die Frembde schickt, um dem gemeinen Besten zu Nutz daselbst wacker aufzuschneiden; er weiss über dem, dass man alle daselbst vorfallende Raht- und Anschläge zeitig auskundschaften, und zeitig davon einen klaren Bericht an seines Herrn Hof abstatten muss; er weiss, sage ich, gar woll was er zu verrichten habe, allein er weiss nicht wie es am besten zu bewerkstelligen. Er kennet die grosse Landstrasse, aber nicht die kleine vortheilhaffte Abwege. Zum Exempel, will er einen oder andern Schreiber bestechen, so richtet er sein Geschenck nach der Wichtigkeit der Sache ein, und weiss die Einfältige von den Ungetreuen nicht zu unterscheiden; da doch jene aus der Grösse des Geschencks die Grösse des Verrahts erkennen, und von Entdeckung der Sache abgeschrecket werden: so dass mancher vor zwey Dukaten das erhalten, was ihm ohne allen Zweifel wäre abgeschlagen worden, wenn er zweyhundert davor angebohten hätte. Oder will er etwas wissen, ist des Fragens kein Ende. Nun ist dieses die gröste Thorheit von der Welt, wenn er es mit solchen Leuten zu thun hat, die ihm den besten Bericht ertheilen können: denn diese werden hiedurch misstrauisch gemacht, stehen auf ihrer Hutt, und geben entweder keinen oder was noch schlimmer ist, einen falschen Bericht. Da hergegen ein andrer der die Schliche kennet, sich ob gleich im täglichen Umgang mit denselben, um ihre Händel nicht im geringsten zu bekümmern scheinet, sondern dieselbe allezeit mit etwas neues das sich an frembden Orten zugetragen, so an sich zu ziehen weiss: dass sie insgemein, entweder aus Danckbarkeit eine Vertrauligkeit mit der andern zu belohnen; oder aus Eitelkeit so viel Wissenschafft ihrer einheimischen Geschäffte, als der erzehlende von frembden Händeln spüren zu lassen; dass sie, sage ich, von sich selbst und ohne allen Argwohn ihm die wichtigsten Geheimnüsse offenbaren. Nullum numen abest, cui sit prudentia, sagt zwar der Poet: man siehet aber auch leichtlich, dass als er diesen Vers geschrieben, er an die Erfahrenheit nicht gedacht habe.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 358.
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