1. Falsche Sinnligkeit in den Uberschrifften

[246] Wo Finsternüs nicht Licht im letzten Abschnitt heisst,

Wenn man den hellen Strahl zwey schwartzer Augen preiss't;

Wo man nicht sprechen hört von Augen in der Hand,

Wenn ein bestochner Schöpff' ein falsches Urtheil fället;

Wird das was böss ist nicht, weil's böss' ist, gut genannt,

Wenn sich ein Ketten-Hund und Lands-Knecht1 vor uns stellet;

Wo man kein reissend Lamm beym blöden Wolff antrifft,

So hält Corvinus nichts von einer Uberschrifft.

Er denckt, die Warheit sey2 der Sinnligkeit Verbrechen,

Und dieses Witz allein, was die Vernunfft verkehrt;[247]

Schätzt eine Missgeburth allein verwunderns wehrt,

Und findt kein Schauspiel schön, als wo die Poppen sprechen.3


Fußnoten

1 Wenn sich ein Ketten-Hund und Lands-Knecht. Diese Worte zielen auff folgendes Epigramma:


Miles es, et malus es, bonus es tamen, Attale, miles;

Miles enim ut canis est, qui malus, ille bonus.


Nun ist es klar, dass das artliche Spiel der Wörter die meisten Leser verhindert, dass sie den falschen und eitlen Verstand desselben nicht erkennen. Denn wie ein Soldat, der vor seinen Fürsten und sein Vaterland sein Leben in die Schantze setzet, übel mit einem Hunde, und was noch mehr ist, mit einem Hauss-Hund oder Hauss-Reckel verglichen wird, weil von diesen Letztern allein kan gesaget werden, dass die Bösen gut sind; also kann man in keinem Verstande sagen, dass ein böser Soldat gut sey, gesetzt auch, dass man allein durch dieses Wort dessen Zorn und Bossheit verstehe, es sey denn, dass ein neuer Attilla in einem Werbhauss die Trommel schlagen liesse. Man könte vielleicht in der That kein Exempel angeführet haben, in welchem man so klar die Falschheit solcher weithergesuchten wiederwertigen Gedancken hätte zu verstehen geben können: sintemahl es so wenig war ist, dass böse Soldaten gut; als es falsch ist, dass alle gute Hunde böss sein müssen, und folgends dieses Epigramma so falsch in dem Gleichnüs, als es in der Zueignung ist.


2 Er denckt die Wahrheit sey. Dergleichen Leute, wie sie in diesen folgenden vier Versen beschrieben werden, sind ohne Zweiffel garnicht von Cicerons Meinung, welcher einen gewissen grossen Redner, andern zum Exempel, und zwar aus dieser Ursach vorstellet, weil alle dessen Gedancken und Einfälle so vollkommen der Wahrheit so gemäss, und so neue; als sie ohne alle frembde Schmincke, und von einer kindischen Gauckeley entfernet wären. Sententiæ Crassi tam integræ, tam veræ, tam novæ, tam sine pigmentis fucoque puerili. De Orat. l. 2.


3 Als wo die Poppen sprechen. Insgemein Marionetten genannt. Pigmenta, fucusque puerilis.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 246-248.
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