29. Gemähld der Corilis

[262] An Chlorinde


Wahr ist's dass Corilis nach Hamburg öffters reiset,

Und im geborgten Schmuck sich in dem Singspiel weiset;

Dass sie im Kartenspiel bey manchem stillen Fluch

In der Gesellschaft offt mehr als sie hat verlieret,

Und nachmahls mehr aus Noht als Lieb' im Regentuch1

Den Glaubner in geheim zur leichten Zahlung führet;

Dass in der Kirche sie zweydeutig singt ihr Lied,2

Und bethend übers Buch nach jungen Leckern sieht;

Dass sie offt vor der Welt als Jecken den verlachet,

Mit dem sie ihren Mann zum sichren Hahnrey machet:

Wahr ist's! doch soltest du darum auff sie nicht schmähn,

Chlorind, und deinen Ruhm auff ihre Fehler bauen;[263]

Denn möchtest Du nur eins in ihren Spiegel sehn,

So würdest Du gewiss darin dein Antlitz schauen.3


Fußnoten

1 Im Regentuch. Dieses ist eine Deutsche Masque in Folio, welche nicht nur wie der Pariser oder der Engeländer ihre dem Frauenzimmer das Gesicht, sondern so gar den gantzen Leib bedecket, und noch über dem diese Tugend mit jenen gemein hat, dass sie verschwiegen ist.

....... Circundata palla

Plurima, quse invideat pure apparere tibi rem.


Horat. Satyr. I. lib. I.


2 Zweydeutig singt ihr Lied. Mancher bildet sich ein, dass sie singe um Gott zu loben, da sie es doch um nichts anders thut, als ihre schöne Stimme hören zu lassen.


3 Darin dein Antlitz finden. Man wil sagen, dass wenn sie ihr eigen Leben so genau, wie der Andern ihres durchsuchen würde; so würde sie derselben nichts vorzuwerffen haben. Der Verstand ist so deutlich, dass er nur bey wenigen dieser Erklärung wird vonnöthen haben.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 262-264.
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