23. An Dieselbe

[184] Die ihr durch eure List und Stärck',

Der wahren Liebe Wunderwerck

Durch die den Käyser selbst betrogen,

Durch diese der Gefahr die Männer habt entzogen,

Und aller Welt gezeigt, dass Männer nicht allein

Der Helden-Tugend fähig sein;

Legt eure Bürd' itzt ab, vertauscht die Last mit Lust,

Legt sie vom Rücken ab, und nehmt sie auf die Brust;

Macht dass ein Wunderwerck das andre nach sich zieh',

Den solche Liebe stärckt die Schwachen:

Die Lebende vom Tod zu retten heischt mehr Müh',

Als Todte lebendig zu machen.1


Fußnoten

1 Als Todte lebendig zu machen. Dieser Schluss ist so dunckel, dass er so leicht nicht als nur von denen wird verstanden werden, welchen er so leicht keine Aergernüss geben wird. Wie ich denn nur halb von des Poeten Meinung bin, wenn er saget:


Castum decet esse bonum Poetam

Castos esse versus necesse non est.


Sonst ist die Geschicht wie folget: Käyser Conrad hatte die Stadt Weinsheim wegen Aufruhrs belagert, mit dem festen Vornehmen, dieselbe nach Eroberung mit Feuer und Schwerdt zu verhehren. Als nun die Stadt in den letzten Zügen lag, so kamen einige Weiber heraus, thaten dem Käyser einen Fussfall; und fleheten ihn um Gnade an. Wodurch sich derselbe so weit besänfftigen liess, dass er allen Weibern einen freyen Abzug, mit allem dem was sie auf ihren Schultern tragen könten, verstattete. Als aber hernachmahls die Weiber bey ihrem Abzug stat ihres Haussrahts, eine jede ihren Mann auf ihre Schultern gehoben, so ward der grosse Käyser durch dieses seltsame Zeuchnüss Ehlicher Liebe bewogen, nicht allein ihrer aller, sondern auch der Stadt selbst zu verschonen. Diese That ist würklich so preisswürdig, und giebt unsern Deutschen Weibern einen so grossen Vorzug vor allen andern, dass ich in der ersten Uberschrifft die Thorheit meiner Jugend erkant, und dieselbe durch die nachfolgende ersetzen wollen.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 184.
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