5. Auff das Glück bey grossen Herren

[171] Der grossen Herren Sinn zu Hof ist so verwirret,

Dass durch Behutsahmkeit man offt am meisten irret;

Denn wenn ein Freund uns hier bereitet hat die Bahn,

Und man kein Wort gesagt als was sich woll gebühret,

So findt man offt, dass man zu woll sich aufgeführet,1

Und einen Fehltritt nicht,2 der nöthig war, gethan.


Fußnoten

1 Zu woll sich aufgeführet. Nichts ist gemeiner, als dass man bey manchem grossen Herrn in Verdacht geräht, wenn man dessen Meinung nach zu sehr auff seiner Hut stehet, und in Verachtung, wenn man zu sittsahm ist. Uber dem, wie mancher ist sich selbst im Licht gestanden, dass er demjenigen, der ihm in seinem Glück beforderlich seyn können, gar zu viel Geschickligkeit gleich Anfangs entdecket hat.


2 Und einen Fehltrit nicht. Colbert wurde einst von M. le Tellier, als er noch nichts als ein Schreiber in dessen Kantzeley war, an den Cardinal Mazarin mit einem Briefe von der regierenden Königin geschicket, mit Befehl, dass wann ihn der Cardinal gelesen, er den Brieff seinem Herrn wieder zurückbringen solte. Als ihn nun nachgehends der Cardinal wiederum abfertigte, und ihm ein Packet überreichte, worinn er sagte, dass der Königin Brieff eingeschlossen wäre, so brach Colbert in Gegenwart des Cardinals das Siegel auff, um zu sehen, ob es sich also in der That verhielte. Ohne Zweiffel war der Brieff darinnen vergessen, weshalben der Cardinal, welcher solch eine kühne That in einem so geringen Menschen nicht vermuthet, ihm sogleich das Packet zornig aus den Händen riss, und unter Vorwand einiger Geschäffte seine Abfertigung biss auff eine andere Zeit verschob. Nach vieler Uberlauffung wird ihm endlich von dem Cardinal der offene Brief wiederum zugestellet, nichts destoweniger, so kehrte denselben Colbert so offtmahls um, und besahe ihn so auff allen Ecken, dass ihn der Cardinal zuletzt im Zorn fragte, ob er ihn für einen Betrieger hielte? Solte man sich nun nicht eingebildet haben, dass Colbert durch eine so grobe Vermessenheit und zwey so ungeheure Fehltritte sich des Cardinals unversöhnlichen Hass auffgeladen hätte? Es fehlte aber so weit, dass ihn der Cardinal kurtz hernach in seine eigene Dienste nam, mit dem Ermahnen, dass er ihm hinfüro ebenso treu sein solte, als er seinem vorigen Herrn gewesen wäre. Und hiedurch hatte er nachgehends Gelegenheit, sich fast zu einem so grossen Mann zu machen, als der Cardinal selbst war.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 171.
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