Dritte Szene

[39] Der obere Teil der Haustüre öffnet sich leise, und der Kopf der Knusperhexe wird sichtbar. Die Kinder bemerken sie nicht und schmausen lustig weiter.


GRETEL.

Wart, du näschiges Mäuschen,

gleich kommt die Katz' aus dem Häuschen![39]

HÄNSEL.

Knuspre nur zu

und laß mich in Ruh!

GRETEL entreißt ihm ein Stück Kuchen.

Nicht so geschwind,

Herr Wind, Herr Wind!

HÄNSEL nimmt es ihr wieder ab.

Himmlisches Kind,

ich nehm, was ich find!


Sie lachen beide hell auf. Während des letzten Gespräches ist die Türe des Häuschens aufgegangen, und die Hexe tritt, von den Kindern nicht bemerkt, daraus hervor, behutsam auf diese zuschleichend. Rasch wirft sie dem ahnungslosen Hänsel einen Strick um den Hals, eben in dem Augenblick, als die Kinder lachen.


HEXE grell lachend.

Hihi, hihi, hihihi!


Die Kinder blicken sich erschrocken um.


HÄNSEL entsetzt.

Laß los! – Wer bist du? – Laß mich los!

HEXE die Kinder an sich ziehend.

Engelchen!

Und du, mein Bengelchen!

Ihr kommt mich besuchen? – Das ist nett!

Ihr lieben Kinder, so rund und fett!

HÄNSEL macht verzweifelte Anstrengungen, sich loszumachen.

Wer bist du, Garstige? – Laß mich los!

HEXE.

Na, Herzchen, zier dich nicht erst groß!

Wißt denn, daß euch vor mir nicht graul:

Ich bin Rosina Leckermaul,

höchst menschenfreundlich stets gesinnt,

unschuldig wie ein kleines Kind.

Drum hab ich die kleinen Kinder so lieb,

So lieb – ach, zum Aufessen lieb!


Sie streichelt die Kinder.


HÄNSEL barsch abwehrend.

Geh! – bleib mir doch aus dem Gesicht!

Hörst du! Ich mag dich nicht!


Stampft mit dem Fuß.


HEXE.

Hihihihi!

Was seid ihr für leckere Teufelsbrätchen,

besonders du, mein herziges Mädchen!

Kommt, kleine Mäuslein,

kommt in mein Häuslein!

Ihr sollt's gut bei mir haben,[40]

will drinnen köstlich euch laben.

Schokolade, Torten, Marzipan,

Kuchen, gefüllt mit süßer Sahn',

Johannisbrot und Jungfernleder

und Reisbrei–auf dem Ofen steht er –,

Rosinen und Mandeln und Datteln sich zeigen:

's ist alles im Häuschen euer eigen!

HÄNSEL.

Ich geh nicht mit dir, garstige Frau! –

Du bist gar zu freundlich!

HEXE.

Schau, schau, wie schlau!

Ihr Kinder, ich mein's ja so gut mit euch,

ihr seid ja bei mir wie im Himmelreich!

Kommt, kleine Mäuslein!

Kommt in mein Häuslein!

Ihr sollt's gut bei mir haben,

will drinnen köstlich euch laben!


Sie will Hänsel fortziehen.


GRETEL.

So sprich:

Was willst du meinem Bruder tun?

HEXE.

I nun, ich will ihn füttern und nudeln

mit allerhand vortrefflichen Sachen,

ihn zart und wohlschmeckend machen.

Und ist er dann recht zahm und brav,

geduldig und fügsam wie ein Schaf,

dann – Hänsel, ich sag dir's ins Ohr:

dir steht eine große Freude bevor!

HÄNSEL.

So sag's doch laut und nicht ins Ohr:

Welch große Freude steht mir bevor?

HEXE.

Ja, liebe Kinder, Hören und Seh'n,

wird euch bei diesem Vergnügen vergeh'n!

HÄNSEL.

Ei, meine Augen und Ohren sind gut,

haben wohl acht, was Schaden mir tut!

Gretel, trau nicht dem gleißenden Wort –

Komm, Schwesterchen, wir laufen fort!


Er hat sich allmählich von der Schlinge befreit und will mit Gretel fortlaufen; sie werden aber von der Hexe zurückgehalten, die gebieterisch ihren

Zauberstab gegen die beiden erhebt.


HEXE.

Halt! –


Macht mit dem Stabe die Gebärde des Hexenbannes.[41] Die Bühne verfinstert sich.


Hokuspokus, Hexenschuß!

Rühr dich, und dich trifft der Fluß!

Nicht mehr vorwärts, nicht zurück,

bann dich mit dem bösen Blick;

Kopf steh starr dir im Genick!


Neue Gebärde; die Spitze des Stabes fängt an zu leuchten.


Hokuspokus, nun kommt Jokus!

Kinder, schaut den Zauberknopf!

Äuglein, stehet still im Kopf! –

Nun zum Stall hinein, du Tropf!

Hokuspokus, bonus, jokus,

Malus lokus, hokuspokus!


Leitet den starr auf den Knopf blickenden Hänsel zum Stalle und schließt hinter ihm die Gittertüre, während Gretel regungslos dasteht. Die Bühne erhellt sich wieder.


HEXE vergnügt zu Gretel.

Nun, Gretel, sei vernünftig und nett! –

Der Hänsel wird nun balde fett.

Wir wollen ihn, so ist's am besten,

mit süßen Mandeln und Rosinen mästen.

Ich geh ins Haus und hole sie schnell –

Du, rühre dich nicht von der Stell'!


Sie droht grinsend mit dem Finger und hinkt ins Hans.


GRETEL starr und unbeweglich.

Hu – wie mir vor der Hexe graut!

HÄNSEL.

Gretel! Pst! Sprich nicht so laut!

Sei hübsch gescheit und gib fein acht

auf jedes, was die Hexe macht.

Zum Schein tu alles, was sie will –

da kommt sie schon zurück – Pst! still!

HEXE kommt hervor, überzeugt sich, ob Gretel noch stille steht, worauf sie dem Hänsel aus einem Korb Mandeln und Rosinen hinhält.

Nun, Jüngelchen,

ergötze dein Züngelchen!


Steckt Hänsel eine Rosine in den Mund.


Friß, Vogel, oder stirb –[42]

Kuchen-Heil dir erwirb!


Wendet sich zu Gretel und entzaubert sie mit einem Wacholderbusch.


Hokuspokus, Holderbusch!

Schwinde, Gliederstarre, husch!


Gretel rührt sich wieder.


Nun, wieder kregel, süßes Kleinchen,

rühr mir geschwind die runden Beinchen!

Geh, mein Püppchen, flink und frisch,

decke drinnen hübsch den Tisch!

Schüsselchen, Tellerchen, Messerchen, Gäbelchen,

Serviettchen für mein Schnäbelchen;

und mach alles recht hurtig und fein,

sonst sperr ich dich auch in den Stall hinein!


Sie droht kichernd; Gretel eilends ab ins Haus.


HEXE zu dem sich schlafend stellenden Hänsel.

Der Lümmel schläft ja, nun sieh mal an,

wie doch die Jugend schlafen kann!

Na, schlaf nur brav, du gutes Schaf,

bald schläfst du deinen ewigen Schlaf.

Doch erst die Gretel muß mir dran;

mit dir, mein Liebchen, fang ich an,

bist so niedlich, zart und rund,

wie gemacht für Hexen-Mund!


Sie öffnet die Backofentür und riecht hinein.


Der Teig ist gar, wir können voran machen.

Hei, wie im Ofen die Scheite krachen!


Schiebt noch ein paar Holzscheite unter und reibt sich dann schmunzelnd die Hände.


Ja, Gretelchen,

wirst bald ein Brätelchen!

Schau, schau!

Schau, wie schlau!

Sollst gleich in Backofen hucken

und nach den Lebkuchen gucken.

Und bist du dann drin–schwaps,

geht die Tür – klaps!

Dann ist fein Gretelchen

mein Brätelchen!

Das Brätlein, das soll sich verwandeln[43]

in Kuchen mit Zucker und Mandeln;

im Zauberofen mein

wirst du ein Lebkuchen fein!


In wilder Freude ergreift sie einen Besen und reitet ausgelassen auf ihm ums Haus. Gretel steht lauschend am kleinen Fenster. – Blitz und Donner.


Hurr hopp hopp hopp,

Galopp, Galopp,

mein Besengaul,

hurr hopp, nit faul!

Sowie ich's mag

am lichten Tag,

spring kreuz und quer

ums Häuschen her!

Bei dunkler Nacht,

wenn niemand wacht,

zum Hexenschmaus

am Schornstein raus!

Aus fünf und sechs,

so sagt die Hex',

mach sieb' und acht,

so ist's vollbracht;

und neun ist eins,

und zehn ist keins,

und viel ist nichts,

die Hexe spricht's.

So reitet sie

bis morgens früh –

Brr! Besen! hüh!


Vom Besen steigend hinkt die Hexe zu Hänsel und kitzelt ihn mit einem Besenreis wach.


Auf! wach auf, mein Jüngelchen,

zeig mir dein Züngelchen!


Hänsel streckt die Zunge heraus.

Schnalzend.


Schlicker, schlecker,

lecker, lecker!

Kleines leckeres Schlingerchen,

zeig mir dein Fingerchen!


Hänsel steckt ein Stöckchen heraus.


Jemine! O je![44]

Wie ein Stöckchen, o weh!

Bübchen, deine Fingerchen

sind elende Dingerchen!


Ruft.


Mädel! Gretel!


Gretel zeigt sich an der Tür.


Bring Rosinen und Mandeln her;

Hänsel meint, es schmeckt nach »mehr«!


Gretel springt ins Haus und kehrt mit einem Körbchen zurück.


GRETEL.

Da sind die Mandeln!


Sie stellt sich, während die Hexe den Hänsel füttert, hinter sie und macht gegen Hänsel die Entzauberungsgebärde mit dem Wacholderbusch.


GRETEL leise.

Hokuspokus, Holderbusch!

Schwinde, Gliederstarre – husch!


Hänsel wird wieder beweglich.


HEXE sich rasch umwendend.

Was sagtest du, mein Gänselchen?

GRETEL etwas verlegen.

Meint' nur: wohl bekomm's, mein Hänselchen.

HEXE schwerhörig.

He?

GRETEL lauter.

Wohl bekomm's, mein Hänselchen!

HEXE hat von der Entzauberung Hänsels nichts bemerkt.

Hihihi! Mein gutes Tröpfchen,

da – steck dir was ins Kröpfchen!


Steckt Gretel eine Rosine in den Mund.


Friß, Vogel, oder stirb –

Kuchen-Heil dir erwirb!


Sie öffnet die Backofentür; Hänsel gibt Gretel lebhafte Zeichen.


HÄNSEL leise die Stalltür öffnend.

Schwesterlein,

hüt dich fein!

HEXE Gretel gierig betrachtend.

Wie wässert mir das Mündchen

nach diesem süßen Kindchen!

Komm, Gretelchen,

Zuckermädelchen!

Sollst in den Backofen hucken

und nach den Lebkuchen gucken,

sorgfältig schaun – ja,[45]

ob sie schon braun da,

oder ob's zu früh –

's ist kleine Müh!


Gretel zaudert.


HÄNSEL aus dem Stall schleichend.

Schwesterlein,

hüt dich fein!

GRETEL sich ungeschickt stellend.

Ei, wie fang ich's an,

daß ich komme dran?

HEXE.

Mußt dich nur eben

ein bißchen heben.

Kopf vorgebeugt –

's ist kinderleicht!

HÄNSEL Gretel am Kleide zurückhaltend, hinter ihr verborgen.

Schwesterlein,

hüt dich fein!

GRETEL schüchtern.

Bin gar so dumm,

nimm mir's nicht krumm;

drum zeige mir eben:

wie soll ich mich denn heben?

HEXE macht eine ungeduldige Bewegung.

Kopf vorgebeugt!

's ist kinderleicht!


Sie will es ihr zeigen; indem sie sich vorbeugt und mit halbem Leibe hineinkriecht, geben ihr Hänsel und Gretel von hinten einen derben Stoß, so daß sie vollends hineinfliegt, und schlagen dann rasch die Tür zu.


HÄNSEL UND GRETEL ihr nachspottend.

Und bist du dann drin – schwaps!

Geht die Tür – klaps!

Du bist dann statt Gretelchen

ein Brätelchen!


Hänsel und Gretel fallen sich jubelnd in die Arme, fassen sich bei der Hand und tanzen.


Juchhei! Nun ist die Hexe tot,

mausetot, und aus die Not!

Juchhei, nun ist die Hexe still, mäuschenstill!

Kuchen gibt's die Füll!

Nun ist zu End der Graus, Hexengraus!

Und der Spuk ist aus!

Ja, laßt uns fröhlich sein,[46]

tanzen im Feuerschein,

halten im Knusperhaus

herrlichsten Freudenschmaus!

Hei! Juchhei, juchhei!


Sie umfassen sich und walzen miteinander zum Knusperhaus, wo sie alle Herrlichkeiten in Besitz nehmen. Im Hexenofen knistert es gewaltig, die Flamme schlägt hoch empor; dann erfolgt ein starker Krach, und der Ofen stürzt donnernd zusammen. Hänsel und Gretel fallen vor Schreck zu Boden; dann blicken sie erstaunt um sich. Ihre Verwunderung steigt aufs höchste, als sie die Kinder gewahr werden, deren Kuchenhülle inzwischen abgefallen ist.


Quelle:
Engelbert Humperdinck: Hänsel und Gretel, von Adelheid Wette, Stuttgart 1981, S. 39-47.
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