Grablied für zwei Veteranen

[12] Des Sabbats letzter Sonnenstrahl

Verglimmt hier auf dem Steinpflaster,

Und drüben fällt er nieder

Auf ein frisches Doppelgrab.


Der Mond geht auf

Herrlich im Osten über den Häusern,

Runder silberbleicher Geistermond,

Großer, stiller Mond.


Ich sehe einen Trauerzug,

Höre den vollen Schall der näherkommenden Hörner,

Durch alle Straßen der Stadt flutet es näher,

Wie von Stimmen und Tränen.


Ich höre die Schläge der großen Trommel

Und den beständigen Wirbel der kleinen Trommeln,

Und jeder Schlag der großen Trommel

Durchbebt und erschüttert mich.


Denn man bringt den Sohn mit dem Vater,

Beide zugleich beim stürmischen Angriff gefallen,

Vater und Sohn in den vordersten Reihn.

Ein Grab harret nun beider.


Näher blasen die Hörner,

Und die Trommeln schlagen erschütternder;

Verglommen ist das Tageslicht auf dem Pflaster,

Und der starke Trauermarsch umfängt mich.
[13]

Höher steigt im Osten

Das große, traurig leuchtende Phantom,

Gleich einer Mutter durchschimmerndes Antlitz,

Das heller im Himmel erglüht.


O starker Trauermarsch! Du tröstest mich.

Großer Mond mit deinem Silbergesicht, Du beruhigst mich.

O meine Soldaten, meine Veteranen,

Was ich habe, gebe ich euch!


Der Mond gibt euch Licht,

Hörner und Trommeln die Trauermusik,

Und mein Herz, o meine Veteranen,

Mein Herz gibt euch Liebe.

Quelle:
Whitman, Walt: Grashalme. Leipzig 1904, S. 12-14.
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