Schauen und Schweigen

[159] Ich schaue schweigend hinaus auf die Schmerzen der Welt, auf alle Unterdrückung und Schmach;

Ich höre das heimliche Schluchzen junger Leute, die, mit sich selbst zerfallen, Begangenes bereuen;

Ich sehe die abgehärmte, verlassene, im Elend sterbende Mutter;

Ich sehe das vom Manne mißhandelte Weib, den verräterischen Verführer der Jungfrau;

Ich kenne die Eifersucht und die unverstandene Liebe, die man so gern verbergen möchte –

Und all das Erdenleid:

Kriege, Seuchen, Gewaltherrschaft, Märtyrer, Gefangene, Hungersnot – Matrosen, die auslosen, wer getötet werden soll, damit die andern leben können,

Die Verachtung und Schmähung der Hochmütigen gegen Arbeiter, Arme und Neger,

Gemeinheit und Qual ohne Ende,

Sehe ich, höre – und schweige.

Quelle:
Whitman, Walt: Grashalme. Leipzig 1904, S. 159-160.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Grashalme (Auswahl)
Grashalme
Grashalme
Grashalme
Grashalme: Auswahl
Grashalme