1.
Wie ein ritter, genant Gernier, an des künigs holf zů Franckreich umb seiner frumbkeyt willen von dem künig vertryben ward.

Zů der zeit, als künig Ludolffus zů Franckreich mit gewalt regiert, auch in grosser tyranny gegen allem seinem volck robet, sich begab, das ein arm man für den künig fälschlich dargeben ward, also das in der künig on all sein entschuldigen und verantwortung wolt lassen tödten. Des ein frummer ritter an seinem hoff vernummen hat, welcher genant was Gernier vom Hag, der sich schnell zů dem künig fůget, anfieng den künig mit züchtigen worten zů straffen, in vermeynt von solchem übel zů wenden. Von wegen solicher straff der künig in grossen zorn gegen dem ritter fallen thet, wiewol der ritter zůvor nit der kleinest an des künigs hoff gewesen was; noch dannocht sich der künig also hart wider in entrüstet, das er dem ritter Gernier gebodt, sein land mit leib und gůt inn monats frist zů raumen. Davon der ritter erstmals etwas unmůts empfieng, jedoch zůletst im fürnam, des künigs gebott entlich nachzůkummen.

Der ritter Gernier hat einen son, der was genant Gabriotto, ein jüngling von zechzehen jaren, ein fast schöner, geradner, züchtiger jüngling. Zů dem sein vatter Gernier kam, mit trawriger stymm anhůb und sprach: ›O du mein allerliebster son, nit lang ist, du deiner můter beraubt wardest, welche[191] gott dem herren gefallen hat zů im in sein reich zů kummen; unnd nun in kürtze auch deines vatterlandts beraubt werden můst, wo du dich anderst mit deinem vatter das ellendt zůbawen nit widern wilt. Dann ich dir warlichen sag, so ich die statt Pariß nit in monats frist rammen thet, ich warlich ein ungenedigen herren und künig haben würt. Darumb, mein allerliebster son, dieweil du sichst mich umb mein trewen dienst kein ander belonung empfangen haben, dann mich meines vatterlandes zů verweisen, wöllest dich auch willig darein ergeben und mit mir, deinen vatter, an ander fürsten höffsziehen, umb dienst zů werben. Wer weißt, wo uns gott unser glück vorbehalten hat!‹

Als Gabriotto, der jung, seinen vatter also reden hort, nit wol wissen mocht, ob Gernier, seinem vatter, solcher red ernst wer, mit lachendem mund zů seinem vatter sprach: ›Ach mein allerliebster vatter, ich kan nit gedencken, das dise wovt im ernst von dir geredt werden. Jedoch sey im, wie es wöll, wo dich gott und das gelück hinleyten, mir nit müglich ist von dir zů kummen, alldieweil mein seel und leib bey einander wonen. Doch bitt ich dich, lieber vatter, mir den grundt deiner redt offenbaren wöllest.‹ Der ritter sei nem son alle ding nach der leng zů wissen thet, demnach anfieng und sprach: ›Mein liebster son, dieweil du sichst, das dein můter gott ergeben ist und wir bed nun zůmal kein sundern freünd inn allem Franckreich haben, darumb, mein allerliebster Gabriotto, solt du wissen, das mein will und gemůt nit ist, den künig umb einicherley genad zů bitten, dieweil ich doch mit schulden solchen undanck nit verwürcket noch verdienet hab. Ich aber hoff, der künig sein unbillichen zorn, so er zů mir tragen thůt, zůletst selb erkennen werd.‹

Als der edel Gabriotto seinen vatter gehört, auch alle ursach zůmal vernummen hat, einen schweren seüfftzen von seinem hertzen gon ließ und sagt: ›Die ungnad, hertzlieber vatter, so dir von dem künig widerfert, mich nit wenig befrembdt.

Dann so ich bedenck, inn was gnaden du allwegen an dem künigklichen hoff gewont hast, mich nit genůg verwundren kan des stimpfflingen umbwendens, das ich aber als gott dem allmechtigen heymsetzen will. Du solt auch wissen, hertzlieber[192] vatter, das ich dir alle zeit willig und gehorsam sein will, als ich es dann nach göttlichem gebott schuldig bin, wiewol mich in meinem hertzen die edel und schöne statt Pariß seer rewen thůt, in deren ich so wol und schön erzogen ward von dir, auch meiner allerliebsten můter, deren gott genad, bey deren grab ich gern mein leben enden wolt.‹

›O mein liebster son‹, sprach der ritter Gernier, ›du machest mich mit diesen worten ingedenck des edlen Römers Marei Coriolani, welcher auch umb seiner wolhandlung willen auß Rom in das ellend verjagt ward, sich zů der Römer feynden schlagen thet, bey welchen er sich der maßen halten kundt, das sye in zů einem obersten fürer unnd hauptmann machten. In solchem ampt er den Römern grossen abruch thet, sye der maßen engstiget, das sye sich verwegen můsten, dio statt auffzůgeben. Durch vil und mancherley weg an in versůchten, wie sye in mit gůten worten abweisen möchten; aber alles umbsunst was, wiewol er von Marco Minutio seines vatterlands zům dickern mal ermanet ward, wie er bedencken solt die gräber seiner altvättern, die in Rom weren, und das er noch sein můter, weib unnd kind in der statt Rom hette, auch das im vil in der statt Rom beschenen wer.‹ Zůletst im Marcus Coriolanus antwurt und sprach: ›O mein allerliebster Minuti, ich bekenn mich alles des, so du mir hie fürgehalten hast. Dann die gräber meiner altvättern in der statt Rom seind; wie möcht ich aber an einem ort mein wonung haben, da ich nit in eeren als meine altvättern leben möcht, und da der grecht von dem schalck, der weiß von dem thoren täglich undergetrucket würdt! Darumb ich mir ein ort für mein vatterland erwölen will, da man das gůt vor dem bösen erkennen thůt, unnd da der rhat dem pöfel nit underwürfflich sein darff.‹ Mit disen und andern worten sich Marcus Coriolanus von Minucio redet, sich auch keines wegs erweichen lassen wolt, das er mit seinem hör abzieg. Zůletst die Rhömer Marci můter, weib unnd kinder an in schickten, die ihn nach langem bitten darzů brachten, das er mit seinem hör abzog; aber in die statt Rom wolt er nit mer. Derselb Marcus Coriolanus mir nit wenig trost gibt, die statt meines vatterlands zů verlassen.[193] Darumb du, mein allerliebster son, betrachten wöllest den grossen unbill, so uns von dem künig yetz begegnet, welchs uns gnůgsam ursach gibt, uns ein ander vatterland zů erkiesen. Dann ich mich warlich gleich so wol alle die von Pariß nymmer erweichen lassen wolt hye zů bleiben, es käme dann mein müter, weib und kind, das doch nit müglich ist zů geschehen; dann sye vor langem mit todt abgangen seind.

Da nun der jüngling Gabriotto das ernstlich fürnemmen seines vatters vernam, wol verstund, sein vatter seinem versprechen nachkummen würd, gab er sich willig darein, seines vatters willen zů vollstrecken, wiewol im sein hertz nit wenig davon beschwert ward; dann er einen getrewen gsellen zů Pariß hat, der was genant Reinhart, umb denselben im am meysten zů klagen was. Als er sich nun seinem vatter gäntzlich ergeben hat, urlaub von im nam, Reinhart, seinen liebsten gsellen, sůchen gieng.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 1, Tübingen 1903, S. 191-194.
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