38.
Cassandra und ihr tochter gond zů Lucien, werden gar schon und freundtlich empfangen, treiben ob dem nachtmal gar fründtlich gespräch mit einander.

[220] Frölich und wol zůmůt was Amelia, als sie von ir můter so gůten bescheidt empfangen het. Sie versorgt eylens alles, das die můter befolhen het zů beschehen. Demnach gingend sie beyde miteinander. Lucia ward irer zůkunfft hertzlichen unnd hoch erfrewet. Bald warden die drey zůsamen sitzen an ein besunderen tisch, demnach die speis mit dancksagung genossen; das gesind zůsamen in ein sunder gemach gesetzt, damit sie drey ir gespräch mit einander haben möchten.

Als sie nůn im besten imbis waren, sagte Cassandra mit[220] lachendem mund: ›Sag mir, liebste Lucia, was ist doch die ursach, das du mich also spat zů disem nachtimbis berüffet hast? Nůn sind wir auff dissmal beidsamen witfrawen; dann du noch in dreyen tagen deins Lasarus nit warten darffst. Darumb uns beyden vil bas gezimen thet, das ein yede in irem haus belib, sorg und angst für iren gemahel trüg gleich der edlen Römerin Lucretia, damit wir nit geachtet und gleichgeschätzt würden des Sextus und andren schlamgirigen weibern.‹ – ›Du sagst mir ein ding‹, sprach Lucia, ›so mir, mein liebste Cassandra, gantz rhaw und onbewißt ist. Möcht aber, wo dirs nit vertrüßlich were, gern semliche histori von gedachten weibern vernemen.‹

Daruff antwort Cassandra: ›Ich sag dir, mein liebste Lucia, dass ich dise histori nit einmal, sunder zům offternmal gelesen hab. Darzů mich dann nit wenig geursacht hat der nutz und schaden, so daraus erfolgt ist. Zům ersten gibt sie uns weibern ein sunderlich gůte underweisung und lehr, wes wir uns in abwesen unserer gemaheln halten sollen. Zům anderen strafft sie die künig und fürsten irer hoffart und tyranney; dann durch solche geschicht ist zů grundt gangen der küniglich gewalt und regiment, also das die Römer harnoch keinen künig mehr gehabt hand. Damit du aber, mein Lucia, einen rechten verstand daraus nemen magst, wil ich dir solche histori, so vil mir müglich zů behalten gewesen, zům kürtzisten erzalen. Nim war, als der hoffertig Tarquinius, welcher ist gewesen der sibend und letzt künig zů Rom, die mechtig statt Ardea genant belägert, begabe sich in solcher belägerung, das die fürnemsten jungen burger aus Rom, so bey im zů fäld lagen, ein schlam und malzeit bey einander zů halten angeschlagen hetten. Under denselbigen was auch des künigs Tarquini sůn, Sextus genant. Als sie nůn sich satt getruncken hetten, fingen sie an von einem und anderem zů reden, wie dann der truncknen leut gewonheit ist. Under andren reden aber, so sie triben, wurden sie irer weiber gedencken, und meinet ein yeder, seine wer die fürsichtigste und züchtigste. Zům letsten machten sie einen ausschutz und santen iren drey aus dem leger, die solten sich gehn Rom verfügen und aller irer weiber wesen erkundigen. Under disen[221] dreyen was einer des künigs sůn mit namen Sextus, wie oben anzeigt; der ander hies Colatinus, ein gemahel Lucretie; der drit was genant Tarquinius, ein sůn Egerii. Als sie nůn gehn Rom kumen sind, haben sie aller deren heuser, so das gewett bestanden, durchgangen, irer weiber thůn und lassen zů erkundigen. Als sie nůn kumen sind in das haus Sexti, funden sie vil der anderen weiber bey ir in grossen freuden, tantzen, singen und springen. Und in summa da ward nichts underlassen, so zů freuden dienen mocht; gedachten wenig irer männer, so vor der statt Ardea in grossen geferligkeiten lagen. Als sie aber in das haus Colatini kamen, funden sie sein weib, die keusch Lucretia, ein jung und schön weib, under iren mägten sitzen, wollen zausen und erlesen, in iren täglichen kleidern angethon als eine, so mitleiden und sorg für iren gemahel getragen. Darumb ir dann der breis billich vor anderen römischen weibern zůgemessen ward. Diss lob und ehr ward ir von allen Römern, so in der wettung gewesen waren, wol gegünnet. Aber der schandtlich verreter Sextus, welcher vormals kurtz vor diser handlung die stat Gabia, über das sie im so wol vertrawet, schentlich verraten und übergeben het, der vergunt ir der ehren, darumb das [das] lob seiner frawen nit gegeben, welche aber keines lobs wirdig was; dann sie sich nit einer erbaren frawen gemäß gehalten het. Also begab sich kurtz harnach, das der schalck Colatinum, den gemahel Lucrecie, außgespürt het, also das er sich sein gantz und gar sicher wußt. Da kam er spath gegen der nacht eintzig geritten in das haus Colatini, als wann es ihm zů spath in sein haus zů reitten were; er suchet an umb herberg. Lucretia in nit anderst achtet dann iren liebsten unnd besten fründt, empfieng in gar züchtiglich. Dann ir des schalcks bosheit gar verborgen was; sie wußte auch, das sie irem gemahel kein undienst daran thůn würd. Sie pflag sein mit essen und trincken auff das reihlichest, wie im dann wol gezimpt hette als eines künigs sůn, wann er auch ein küniglich gemüt unnd hertz gehabt. Als nůn zeit ward, das man zů beth gon solt, nam sie urlop von im, gieng in ir schlaffgemach, aller sorgen und argwons entlediget. Sextus aber, der bößwicht, hett ein magt mit grossen schencken und[222] gaben darzůbracht, das sie ihm den weg anzeiget, wie er haimlich in der frawen Lucretia schlaffkamer kumen möcht. Als sie im nůn solchs wilfaret, schlich er gantz haimlich in der Lucretie kamer. Er schlich haimlichen zů irem beth, fand sie hart schlaffen, erwecket sie und gabe sich zů erkennen und verstendigt sie kürtzlich, wes willens und gemüts er gegen ir were. Bald aber die keusch fraw semlich sein böss fürnemen verston ward, verachtet sie alle gaben und geschenck, so er ir bieten ward. Als er aber vil mit ir versůchet und nichts helffen wolt, hatt er sie lassen greiffen ein scharff schneident schwerdt, ir das leben damit zů nemen drawen ward. Sie aber gantz steiffer meinung belib, ir ehr zů bewaren, auch das schwerdt und den tod verachten war. Da aber der schalck sich vergeblich arbeiten vermercket, erdacht er einen andren schalckhafftigen bösen list und sagt: »Wolan, dieweil du dann mir ye nit zů willen werden wilt, so wiss, das ich dich mit disem meinem schwert ertötten will, deßgleichen deinen haußknecht und euch beidsamen also blůtig in ein beth zůsamenlegen und dann fürgeben, wie ich euch so schamlos bei einander funden hab. Alsdann hastu dannocht das schandtlich gerücht auff dir ligen.« Mit semlichen trawworten erschrackt er die keusch fraw, das sie im seines willens wilfaren thet. Als nůn der morgen kam, sass der schalck auff und rit wider in das leger. Lucretia gantz bekümert irer ehren halben uffstund, sich in klägliche und trawrig gewand bekleiden ward, nach irem gemahel Colatino und nach irem vatter, der hiess Lucretius, schicket. Die kamen schnel mit zwayen gůten fründen. Da funden sie Lucretiam in semlichem jamer und klagen, das sie gar bey mit ir verzagt weren. Als sie aber in die schandtlich that Sexti erzalen ward, da erkanten sie ir unschuldig hertz, begunden sie früntlich zů trösten. Sie aber sagt: »O Colatine, mein allerfrüntlichster gemahel, und du, mein hertzliebster vatter, wann ir gleichwol mein unschuld erkennen und glaubet, so binn ich dannocht nit entschuldigt bey andren Römern und Römerin, desgleichen andren völckeren. Damit sich aber niemants an mir ergere oder sich mit mir beschönen mög, will ich mir selb darumb bůss geben.« Damit zog sie ein scharpffs messer, so sie heimlich[223] under irem gewand verborgen gehabt, und stiess das in angesicht irs gemahels, vatters und gůten fründen in ir keusches hertz. Davon sie dann, als billich, übel erschracken und hertzlich bekümert warden. Also wurden sie zů rhat, trůgen iren toten leib auff den blatz für die gantzen gemein. Da ward von menigklich ein gross zůlauffen. Aber alle, so diser erbärmklichen und mörderischen geschicht ansichtig, wurden alle über den künig Tarquinium und seinen sůn Sextum in zorn bewegt. Damalen was einer under der gmein, Junius Brutus genant, denselbigen vormals alle menigklich für einen thoren gehalten. Derselbig stůnd in mitten under die gantz gemein, fůrt ein schwere und grosse klag wider Sextum, des künigs sůn, auch wider den künig. Semlichs lange weil zů erzalen neme; in summa, seiner klag und erzelung, so er wider den künig und seinen boßhafftigen sůn gethon, ward yederman zůfallen. Schlussen alle porten an der statt zů, und ward gebotten, das man den künig noch seinen anhang inn die statt nit mer lassen solte. Also zergieng das regiment der künig zů Rom allein von diser ursach und schandtlichen thadt wegen, so der bößwicht Sextus an der keuschen frawen Lucretia begangen het. Des billich alle frawen ein exempel nemen sollen und sich hüten, das sie in abwesen irer ehlichen männer nit einen yeden gast auffnemen und herbergen sollen, damit sie an ehren nit befleckt noch bemaßget werden.‹

Lucia mit fleissigen ohren den worten Cassandra zůgehört, hatt auch nit wenig erbermd mit der lang verstorbnen Lucretia. ›O‹, sagt sie, ›mein liebe Cassandra, du hast mir diss mein hertz mit erzalter hystorien hart verwundet. Doch hab ich zů allervorderst an dir verstanden, das du vermeinst, wir vergreiffen uns an dem, das wir in abwesen unser männer zůsammen gangend. Hat wol ein mainung, ja wann wir solchermassen haushielten, wie die obgemelten Römerin gethon haben, so andre gespielschafften und, als zů vermůten ist, junge gesellen zů in berüfft, so mitgetantzt und gesungen haben. So aber schon zů diser stund unsere beide mann zů haus kummen solten, würden sie dannocht sunst kein geselschafft bey uns finden, dann eben wie wir sunst täglich pflegen zamenzůgon. So habend wir auch kein sunderlichen kosten angewendet,[224] dann eben wie wir sunst ein yede mit dem gesind dahaimen zůfriden gewesen were.‹

Darauff sagt Cassandra: ›Ich hab dannocht, mein Lucia, noch nit von dir verstanden, was doch für ein ursach hab, das du mich und mein tochter zů disem nachtimbis berůfft hast.‹ – ›Du solt auch nit alle ding wissen‹, sprach Lucia, ›aber dir ist zů rhaten unverbotten.‹

›Wolan so will ich rhaten, du aber můst nit leugnen, so ichs triff. Du hast gewisslichen ein bottschaft von deinem sůn Lasaro an mein tochter Amelia zů werben gehabt, ir dieselbig geantwurt, und dieweil es eben umb den nachtimbis gewesen ist, hast du dannocht dein ehrwort müssen thůn. Da ist mein tochter willig gewesen; das hab ich gar wol an ir gemerckt. Dann sie mich in allen iren tagen so hoch umb kein ding ermanen thet.‹

Lucia mit lachendem mund die sach versprach; dann sie der junckfrawen angesicht gantz schamrot vermerckt hatt. Damit sie ir aber stewret, sagt sie: ›O Cassandra, mit deiner räterschen unnd raten wirstu wenig gewinnen. Du hast naher Brabant schiessen wöllen, und ist dein pfeil in Engeland gefaren. Damit du aber wissest, was unser geschefft gewesen sind, will ich dich des grüntlich underrichten. Wir sind [von] unsers nachbauren tochter, so newlich aus dem closter kumen ist, zů red worden, wie sich die newlich in die ehe verpflicht; dann sie noch nit profes gethon, derhalben sie des wol macht gehabt. Nů aber meinet dein tochter Amelia, wann dirs und irem vatter so anmütig wer als ir, so möcht sie wol in ein closter gon. Auff das hab ich ir ein büchlin fürgelegt, welches Erasmus von Rotterdam, ein hochgelerter man, hatt lassen außgon, und ist desselbigen tittel »Virgo misogamos«, ist sovil als ein junckfraw, so ein verdruss hatt im ehestand. Nach disem büchlin oder gespräch volget ein anders »Virgo, poenitens«, in welchem das closterleben uff das gründtlichest anzeigt wirt. Sobald sie dasselb gelesen, hatt sie dem closterleben gantz abgesagt. Als sie aber wider von mir hatt schaiden wöllen, bat ich sie, dich zů berůffen und diss schlecht nachtmälin mit mir zů essen, dieweil ich waiss, das du, mein[225] liebe Cassandra, nit uff grosse schleck noch kostliche speis achtest, sunder dich an hausmanskost gern lassest benügen.‹

Daruff sagt Cassandra: ›Lucia, wie du sagst, also ist im entlichen. Du solt mir auch glauben, das ich nimmer bas tractiert würd, dann wann unsere männer anhaimisch sind und wir also unser geköcht und häfelin zůsamentragen. Dann ich von jungem auff darzů gewähnt binn worden, als ich noch an meines vatters tisch gessen hab, das ich mich an der ersten und andren tracht hab sättigen lassen, auff pasteten und ander ding nie fast achtung gehabt. Das ist auch die recht meinung, wann gůte nachbaurschafft zůsamen gehn wöllen, das keiner den andren zů kosten bring.‹

Diser und dergleichen gespräch hetten beide weiber mit einander, biss das sie yetz zeit beduncket zů schaiden. Da nam Cassandra und Amelia urlop von Lucien, giengen zů haus und legten sich zů beth nider, schlieffen die nacht mit rhůen.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 2, Tübingen 1903, S. 220-226.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon