20.

Von einem münch, der einer tochter ein dorn auß dem fůß zog.

[26] Ein barfüssermünch gienge auff der termeney, umb käß unnd eyer zů samlen; der hat in einem dorff sunderlichs vertrauwen bey einer alten reichen beürin; sy gab im allweg mer dann einem andern münch. Auff ein zeit kam er aber, käß zů bättlen; und als sy im ein käß und die ostereyer geben hett, fragt er: ›Můter, wo ist euwer tochter Gredt, daß ich sy nit sihe?‹ Die můter antwortet: ›Ach, sy ligt daoben im bett unnd ist gar schwach; sie hat inn ein torn getretten, darvon ir der fůß seer groß gschwollen ist.‹ Der münch sprach: ›Ich můß sy gon besehen, ob ich ir helffen künte.‹ Die můter sagt: ›Ja, lieber herr Thilman, so will ich eüch dieweil ein suppen machen.‹[26]

Der münch kam zů der tochter und begriff ir den fůß mit dem dorn, darvon sich die tochter ein wenig übel gehůbe; aber die můter meint, der münch arbeyt sich also an dem dorn unnd schreye der dochter zů: ›Leid dich, mein liebs kind! So wirt dir, geholffen.‹ Alß aber der münch fertig war, zohe er die stiegen wider herab, nam sein sack unnd macht sich zům hauß auß. Die můter sprach: ›Essend vor die supp!‹ Der münch sprach: ›Nein, es ist heüt mein fasttag.‹ Dann er dacht wol, es wär nit lang mist da zů machen.

Und alß die můter zů der tochter kam, befand sie, daß er anders mit ir gehandlet hett, dann den dorn betraff, und nam ein gůten bengel unnd wartet, wann der münch auff der andern seyten deß dorffs wider herauffkem. Und alß sy in sahe kummen, nam sie den bengel, hůb in an iren rucken unnd in die ander hand ein käß und růfft dem münch: ›Herr Thillman, kumbt här, nembt noch ein käß!‹ Aber der münch marckt den bossen und sprach: ›Nein, můter, es wär zů vil. Es ist nit der brauch, man gibt nicht zweymal vor einer thür.‹ Also treüwet im die beürin mit dem bengel unnd sprach: ›Münch, das loß dir gůt sein, das du nit für mein thür bist kommen! Ich wolt dir sunst deß dorns han geben.‹

Also drolt sich, der münch darvon und kam nit mer in das dorff, käß zů samlen; dann er gedacht wol, die můter wurd es im nit vergessen.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 3, Tübingen 1903, S. 26-27.
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