Aus Nacht und Morgen ward der erste Tag,
Das Volk der Dunkelheit freut sich im Lichte.
In Eichwaldkronen und im Buchenhag
Verbreitet sich's, hat seltsame Gesichte,
Die dumpfer Sinn zu deuten nicht vermag.
Die ersten Stunden seiner Weltgeschichte
Sind ausgefüllt mit wonnigem Erfassen
Des neuen Rechts, im Maiengrün zu prassen.
Als seiner Höhlenstadt es froh entstieg,
War westwärts tief der stille Mond geschwommen.
Noch schlief die Welt und alles Leben schwieg.
Dann aber war das Frührot zart entglommen,[41]
Und endlich blitzten goldne Strahlen: Sieg!
Der Augenblick, der hehre, war gekommen,
Wo Purpur färbt das Angesicht, das bleiche,
Der schlaferstarrten schönen Erdenleiche.
Als Braut, als glühende, erwacht die Tote.
Das Blut des Tages wallt in ihren Wangen.
Denn jenes Feuer, das im Osten lohte,
Hat plötzlich rings den Himmelsrand umfangen.
Ein Alpengipfel war der erste Bote
Des Flammenmeers. Bald alle Höhen prangen
Und Wald und Flur und Strom im ros'gen Schein,
Der prunkvoll will des Lebens Festsaal weihn.
Stolz auf des Schreckhorns eisgekronter Spitze
Ein goldner Ritter steht, die Ferne blendend
Mit diamantnem Schild, und Strahlenblitze
Des blanken Riesenschwertes weit versendend.
Doch zum Triumph nur, nicht in Kampfeshitze
Schwingt er die Waffen, lichte Freude spendend.
Der Lebensquell der Wärme strömt ins All
Und segnend höher schwebt der Sonnenball.
Dies alles schaut die grabentstiegne Schar.
Und mit dem Tag wächst Leben, Schall, Bewegung:
Ein Jubilieren in den Lüften klar,
Im Blättermeer des Morgenwindes Regung.[42]
Jetzt summend Glockenläuten wunderbar
Vom nächsten Dorf, und hinter der Umhegung
Des Waldes eines Bahnzugs Donnerrollen,
Und Wolken, die dem Ungetüm entquollen.
Die Aecker dampfen auch, wo vor dem Pflug
Die schwarzen schweren Rosse paarweis schreiten.
Die Egge schleppt langsamer Rinder Zug.
So weit die Wiesen sich, die grünen, breiten,
Beginnt des Menschen Arbeit, früh genug.
Und dieses Bild – in ungemeßnen Weiten
Zeigt's als dasselbe sich, doch mannigfach. –
Die Welt, die wunderbare Welt ist wach!
Sie, die zum erstenmal dies alles schauen,
Wie werden sie, die kleinen, es verstehn?
Hervorgelockt von gläubigem Vertrauen,
Umspielt von sanfter Maienlüfte Wehn,
Zu Füßen die beblümten grünen Auen,
Die sie vorahnend, wie im Traum gesehn,
Jetzt wirklich schaun, – wie werden sie's ertragen?
Folgt mir. So werden sie es selbst euch sagen.
[43]
Buchempfehlung
Die Geschwister Amrei und Dami, Kinder eines armen Holzfällers, wachsen nach dem Tode der Eltern in getrennten Häusern eines Schwarzwalddorfes auf. Amrei wächst zu einem lebensfrohen und tüchtigen Mädchen heran, während Dami in Selbstmitleid vergeht und schließlich nach Amerika auswandert. Auf einer Hochzeit lernt Amrei einen reichen Bauernsohn kennen, dessen Frau sie schließlich wird und so ihren Bruder aus Amerika zurück auf den Hof holen kann. Die idyllische Dorfgeschichte ist sofort mit Erscheinen 1857 ein großer Erfolg. Der Roman erlebt über 40 Auflagen und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro