Vierter Auftritt.

[35] Die Vorigen, der Markgraf, die Markgräfin, der Pater Mareskotti, Laura.

Im Hereingehen sagt die Markgräfin Lauren etwas ins Ohr, die sich sofort wegbegiebt.


DER MARKGRAF. Ich bin sehr von Ihrer Gütigkeit gerührt, Herr Grandison! Diese letzte und stärkste Probe derselben, Ihre Wiederkunft in mein Haus, hat mich Ihnen ganz eigen gemacht. Ich danke dem Himmel, dass in meiner ganzen Familie keine undankbare Seele ist![35]

GRANDISON. Sie beschämen mich, gnädiger Herr! Es ist eine Folge Ihrer grossmüthigen Art zu denken, dass Sie –

DER MARKGRAF. Nein, Herr Grandison! Wir haben weder nach unserm Herzen, noch nach Ihren Verdiensten gehandelt. Aber Sie sind edelmüthig; Sie empfinden die Schwierigkeiten unserer Lage, und können uns entschuldigen.

GRANDISON. Sie benennen mit einem verdienstlichen Nahmen, was auf meiner Seite blosse Gerechtigkeit ist. Ich würde mich selbst hassen, wenn ich eines eigennützigen Wunsches fähig wäre, der das mindeste Opfer von Ihnen forderte.

DER MARKGRAF. Nein, Grandison! So gering müssen Sie nicht von uns denken, dass wir Sie bey so grossen Verbindlichkeiten, die wir Ihnen haben, unbelohnt lassen sollten. Sie müssen belohnt werden, und auf eine Art, wodurch alle Welt überzeugt werde, dass wir Ihre Verdienste und Ihre Freundschaft zu schätzen wissen.

DIE MARKGRÄFIN. Ich besorge nur, mein Theuerster, die einzige Belohnung, die dem Herzen des Chevalier angenehm hätte seyn können, sey seiner nicht mehr würdig. – Die arme Klementina! ehemahls war sie eines Fürsten würdig! Jederman liebte sie, man pries uns ihrentwegen glücklich, man beneidete uns – Jetzt – Ach Grandison! ihr Anblick wird Ihnen durch[36] die Seele gehen! – Sie haben ein zärtliches Herz. Sie sind – ich hoffe, Sie sind nicht gleichgültig gegen meine Klementina!


Grandison antwortet der Markgräfin bloss durch einen stummen und mit Mühe zurück gehaltenen Ausdruck der tiefsten Rührung.


JERONYMO. Der Chevalier fühlt mehr als er sagen kann. Er leidet mit uns, und vielleicht mehr als wir selbst. Lassen Sie uns hoffen, beste Mutter! Alles kann noch gut werden. Klementina –

DIE MARKGRÄFIN. Ich weiss nicht, warum sie so lange verzieht. Ich habe Lauren befohlen, sie zu fragen, ob sie ihren Jeronymo besuchen wolle. Sie haben ihr gesagt, dass Sie hier seyen, Chevalier, aber sie glaubt es nicht. Man hat sie aus unbesonnener Zärtlichkeit zu oft hintergangen, als dass sie trauen sollte. Das arme Kind! sie wird kaum ihren eigenen Augen glauben!

JERONYMO. Sie sind traurig, liebster Grandison! – Wie gütig sind Sie!

GRANDISON. Wenn Sie wüssten, oder wenn ich Worte finden könnte, das zu beschreiben, was in meiner Seele vorgeht, Sie würden Mitleiden mit Ihrem Grandison haben.

DIE MARKGRÄFIN. Ich kann nicht länger warten. Ich fürchte – O, wie furchtsam ist ein mütterliches Herz! – Ich will selbst nach Klementinens Zimmer gehen.


[37] Indem sie bey Grandison vorbey geht, sagt sie leise zu ihm.


Sie müssen mein Sohn seyn, wenn ich wieder eine Tochter haben soll.


Grandison antwortet mit einer tiefen Verbeugung. Seine Miene und Stellung ist traurig und tiefsinnig. Die Markgräfin geht ab.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 35-38.
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C. M. Wielands sämtliche Werke: Supplement, Band V. Klementina von Porretta; Pandora; Die Bunkliade; Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt