Neunter Auftritt.

[70] Die Vorigen, Grandison, der Bischof, Pater Mareskotti.

Diese drey kommen mit einander herein, jeder mit einer Miene die, auf eine seinem Charakter gemässe Weise, Verwirrung und Betrübniss ausdrückt.


DER BISCHOF zu Jeronymo. Ach, Jeronymo!

JERONYMO. Ich lese alles in Ihrem Gesicht – Es ist genug![70]

DER MARKGRAF. Setzen Sie Sich, wenn es Ihnen gefällt, Chevalier! Ich muss mit Ihnen von einer Sache sprechen, von der die Ruhe meines übrigen Lebens abhängt. Sie sind unser Freund, ein edler, bewährter Freund. Ich sehe Sie nach allem, was seit zwey Jahren unter uns vorgegangen ist, für ein Mitglied unserer Familie an, gegen welches ich mich ohne Bedenklichkeit frey und offenherzig erklären darf.

GRANDISON. Sie erweisen mir viel Ehre, gnädiger Herr! Ich bin im Innersten der Seele bekümmert, dass ich –

DER MARKGRAF. Hören Sie mich zuerst, Herr Grandison, und fragen Sie alsdann Ihr Herz, was Sie thun können. – Sie haben meine Umstände gesehen, als Sie zuerst in mein Haus kamen. Ich war glücklich, das Haupt einer Familie, die sich einiges Ansehens rühmen kann, der Vater von Kindern, die mein Stolz und mein Vergnügen waren. Klementina war das Kleinod unter denselben. Sie haben sie in ihrer Blüthe gesehen, in vollem Glanze der Schönheit, der Jugend und der unbefleckten Ehre. Alle übrigen Vortheile, die wir dem Glück zu danken haben, zogen uns weniger Achtung und weniger Missgunst zu, als der Vorzug, (so nannte es die Welt) Klementinen in unserer Familie zu haben. Wir lebten in der süssesten Eintracht; wir liebten einander; wir waren eines in dem andern glücklich.[71] Wir kannten keinen Kummer, unsere Tage flossen in heitern Freuden dahin, und unsere Aussichten übertrafen unsere Wünsche. So fanden Sie uns, Chevalier, da Sie zum ersten Mahl zu uns kamen! – Und wie haben Sie uns gefunden, da Sie Sich erbitten lassen, uns zum dritten Mahl zu besuchen? – Es sey fern von mir, Ihnen Vorwürfe zu machen, Unsere Bekanntschaft fing sich mit Wohlthaten von Ihrer Seite an. Sie verpflichteten uns, ehe Sie uns kannten. Sie sind in gedoppeltem Verstande der Erretter meines Sohns gewesen. Sie retteten sein Leben und seine Sitten. Sie haben so unter uns gehandelt, wie nur Grandison handeln konnte. Nein, ich kann Ihnen keine Schuld geben! Ich kann weder ungerecht noch undankbar seyn! Ich will nur Ihr Mitleiden erwecken.

GRANDISON. Mein Mitleiden, gnädiger Herr! Ists möglich, dass Ihnen das Herz Ihres Grandison noch unbekannt seyn kann? Wer bedarf mehr Mitleiden, als derjenige, der sich, ohne dass ihm sein Herz Vorwürfe machen kann, als die fatale Ursache so vieler Trübsale ansehen muss, die er, wenns möglich wäre, gern mit Darbietung seines Lebens, von Ihnen abgewendet hätte?

DER MARKGRAF. O Grandison! Grandison! Sie wissen nicht, was für Qualen das Herz eines Vaters fähig ist! Aber ich will Ihrer Zärtlichkeit[72] schonen. Sie sehen eine Familie vor Sich, die erst seit Ihrer Ankunft wieder zu leben anfängt. Vollenden Sie Ihr Werk; es ist Ihrer würdig! Geben Sie uns eine Glückseligkeit wieder, die Sie allein uns geben können! Wir haben Verbindlichkeiten gegen Sie, die alle unsere Dankbarkeit übersteigen. Sie können Klementinen unter Ihren eigenen Bedingungen von uns fordern. Aber Sie sind zu grossmüthig, Chevalier, als dass Sie uns nichts aufopfern sollten, da wir geneigt sind, alles für Sie zu thun. Überwinden Sie Ihren Stolz, entsagen Sie den Vorurtheilen Ihrer Erziehung, werden Sie ein Katholik, und Sie sollen in Klementinen und mit Klementinen einen Schatz bekommen, der Ihrer würdig ist. Was ich ehemahls aus Nothwendigkeit gethan hätte, will ich jetzt aus Bewunderung für Ihre Tugend thun. Theurer Grandison, lassen Sie Sich erbitten! Ich will stolz darauf seyn, Sie meinen Sohn zu nennen! Sie sollen mir lieber seyn, als diejenigen, die das Leben von mir empfangen haben! Sie werden meine Klementina glücklich machen, Sie werden uns alle glücklich machen, und Sie werden es selbst seyn!

GRANDISON mit Wehmuth. Gnädiger Herr –

DER MARKGRAF. Ich getraue mir nicht, Ihre Antwort zu erwarten. Bedenken Sie Sich, Chevalier, bedenken Sie Sich!


Er geht ab.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 70-73.
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Klementina von Porretta
C. M. Wielands sämtliche Werke: Supplement, Band V. Klementina von Porretta; Pandora; Die Bunkliade; Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt