Siebenter Auftritt.

[99] Der Bischof, der General.


DER BISCHOF. Mässigen Sie Ihre Hitze, Bruder! Sie wissen, wer Grandison ist, Sie wissen, was wir ihm für Verbindlichkeiten haben, und Sie begegnen ihm so? In Wahrheit. Sie bedenken nicht, in was für neue Schwierigkeiten Sie uns verwickeln.

DER GENERAL. Sie werden die Heftigkeit meiner Gemütsbewegung besser begreifen, wenn ich Ihnen sage, dass ich eben itzt von dem Grafen von Belvedere komme. Er war im Begriff, sich selbst aus Bologna zu verbannen. Der Zustand, worin ich ihn fand, war mehr als es bedurfte, meinen lange gesammelten Groll gegen diesen Grandison bis zum Unsinn zu entflammen. Ich erkläre Ihnen, Bruder –

DER BISCHOF. Ich bitte Sie, erklären Sie Sich nicht, ehe Sie wissen, wie weit die Sachen gekommen sind, und was für Gründe unsern Entschluss gelenkt haben.

DER GENERAL. Ich hoffe, ich habe mich des Rechts nicht verlustig gemacht, meine Meinung zu Angelegenheiten zu sagen, welche die Ehre und die Ruhe einer Familie betreffen, in[100] der ich der Erstgeborne bin. Die Sachen mögen gekommen seyn, wohin sie wollen; ich habe dem Grafen von Belvedere mein Wort gegeben, und ich will es gehalten wissen! Er ist von der ganzen Familie aufgemuntert worden; alle Gründe sind für ihn. Der blosse Gedanke, dass ein Fremder, ein Mann von geringerm Stande, ein Engländer, ein Protestant, der Nebenbuhler des Grafen von Belvedere um Klementina von Poretta seyn soll, und – verfluchter Unsinn! ich schäme mich es zu sagen! – dass er ihm vorgezogen werden soll – Ich sage Ihnen, es ist unerträglich nur daran zu denken! – Aber beym Himmel! so lange noch Athem in mir ist, soll Belvedere nicht aufgeopfert werden!

DER BISCHOF. Und doch werden Sie Sich entschliessen müssen, entweder ihn oder Ihre Schwester aufzuopfern.

DER GENERAL. Meine Schwester? – Ich will keine Schwester haben, die den Nahmen beschimpft, den sie trägt.

DER BISCHOF. Reden Sie nicht so ungerecht von Klementinen. Sie ist ein unschuldiges, edles Geschöpf. Sie ist es mitten in der äussersten Verfinsterung ihrer Vernunft geblieben. Sie hat nichts gethan, das einen billigen Vorwurf verdiente. Und ich bitte Sie, Bruder, vergessen Sie nicht, dass wir noch einen Vater und eine Mutter haben. Der Markgraf ist entschlossen,[101] seine Tochter nicht aufzuopfern; und Sie werden Sich gefallen lassen, eine Schwester zu behalten.

DER GENERAL. Sie werden sehr hitzig, Bruder! – Ich begreife nicht, wie dieser Grandison alle Welt so sehr bezaubert hat. Wer wird sich nunmehr wundern, dass ein junges unerfahrnes Mädchen zu schwach gewesen ist, ihm zur widerstehen?

DER BISCHOF. Wenn Sie ihn ohne Vorurtheil ansehen werden, so werden Sie eben so von ihm denken wie wir. Die Religion ist alles, was man gegen ihn einwenden kann. Wäre er ein Katholik, so sollte sich ein König vergeblich neben ihm um Klementinen bewerben.

DER GENERAL. Was? Sie erzählen mir immer grössere Wunder! Er wird ein Protestant bleiben, und sie wollen ihm Klementinen geben? Sie, ein Prälat der Kirche, geben Ihren Beyfall dazu? Wahrhaftig! das ist ausserordentlich. Ohne Zweifel wird der P. Mareskotti auch Ihrer Meinung seyn?

DER BISCHOF. Er wird sie nach England begleiten. – Glauben Sie, Bruder, dass es uns genug gekostet hat, uns zu einem solchen Entschluss zu überwinden. Man hat alles vorher versucht. Aber was sollten wir mit einem Mann anfangen, den die glänzendsten Versprechungen nicht zu versuchen vermochten, der bey[102] den zärtlichsten Bitten, unbeweglich blieb? der Klementinen selbst, die er anbetet, seiner Religion aufzuopfern bereit war? – Es ist unser Unglück, dass wir ihn nicht so wohl entbehren können, als er uns.

DER GENERAL. Und so muss um dieses liebekranken schwindlichten Mädchens willen die Ehre des Hauses von Poretta auf ewig verdunkelt, und ein Mann, wie Belvedere, der Verzweiflung preis gegeben werden? – Überlassen Sie mich mir selbst, Bruder, ich habe Einsamkeit nöthig –

DER BISCHOF. Ich bin hieher gekommen, Sie zu dem Markgrafen zu führen. Sie können von niemand besser in den Gründen seines Entschlusses unterrichtet werden, als von ihm.

DER GENERAL. Gehen Sie nur voran. Ich werde Ihnen sogleich folgen.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 99-103.
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