Erste Scene.

[211] NORTHUMBERLAND allein.

Wenn nicht das Schicksal, oder eine Gottheit,

Die nur zu mächtig ist, mein Werk zerstört,

Die Arbeit vieler Jahre; vieler einsam

Durchwachten Nächte, wenn mich Alles nicht

Betriegt, verlässt – so trennt mich nur ein Schritt

Vom höchsten Gipfel, den der Stolz des Menschen

Erstreben kann! – Wie günstig fügt sich alles

Nach meinem Wunsch! – Durch seiner Tochter Band

Mit meinem Sohn, ist Suffolks Ansehn mein!

Das Volk ist mein durch Guilford. Wie bequem[211]

Erblasst der junge Fürst! Sein letzter Wille,

Beschworen von den Mächtigsten des Reichs,

Die, willig oder nicht, mein Ansehn zwang,

Schliesst Heinrichs ältste Tochter von der Krone

Auf ewig aus, und giebt Johannen Gray

Den Königstitel, mir des Scepters Macht!

Mariens Anhang darf, durch diesen Streich

Als wie von einem Donnerkeil getroffen,

Nicht wagen, sein bestürztes Haupt zu zeigen.

Das Volk, das Rom und seine Fesseln hasset,

Nach Freyheit seufzt und vor Marien bebt,

Wird mit Entzückung, wird mit offnen Armen

Die neue Königin von Edwards Hand empfangen,

Die ihm so ähnlich ist, – die er so zärtlich,

Wie seine Schwester liebte, deren Tugend

So viel verspricht! Ja alles, alles stimmt

In meine Absicht ein! – O! Welche Aussicht

Umglänzet mich – Zwar musst' ich sie erkaufen!

Und theu'r erkaufen! – Bedford musste fallen –

Der junge König – Doch, verschliesse dich

In meine Brust, verderbliches Geheimniss,

Und ruh auf ewig da! Ein undurchdringlich Dunkel

Umhüllt mein Werk! – Wer kommt? – Sie ist es selbst![212]

Wie schön, wie unschuldsvoll! Wie mahlt ihr Antlitz

Ein königliches Herz! Wie werth ist sie

Des Glücks, dass ihr mein Mund entdecken wird!


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 4, Leipzig 1798, S. 211-213.
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