[266] Guilford. Lady Johanna.
GUILFORD.
Du schweigst, Johanna! hörest meinen Klagen
Verstummend zu, und ernste Stille ruht
In deinem Blick; nicht Eine Thräne schleicht
Von deinen schönen Wangen. Fühlst du denn
Dein eignes Elend nicht? Du, deren Herz
So schnellt so zärtlich fremde Leiden fühlet!
Wie weintest du auf Edwards Leiche tun?
Und jetzt, da dich ein eisernes Geschick[266]
Vom kaum bestiegnen Thron in diesen Abgrund
Von Jammer stürzt; da dein betäubtes Ohr
Noch von dem Siegsgeschrey der Feinde widerhallt,
Da ihre Wuth nach deinem Leben schnaubt,
Und dieser Pöbel selbst, der kürzlich dich gesegnet,
Mit Flüchen jetzt dein Todesurtheil spricht
Da jedes nähernde Geräusch vielleicht
Der Fusstritt eines Todesboten ist,
Herrscht Seelenruh, und unbewölkte Stille
In deiner Brust, ergiesst sich sichtbarlich
Durch dein Gesicht, und bindet deine Zunge.
LADY JOHANNA.
O Guilford! glaube nicht, ich fühle minder
Als du, den ganzen Umfang unsers Jammers.
Wie könnt ich alles, was mir theuer ist,
Den besten Vater, und die zärtlichste
Der Mütter, wie dich selbst, mein Guilford, dich!
Unglücklich sehn und unempfindlich bleiben?
O! was ich fühle – Aber soll ich noch
Durch Bilder meiner Pein dein Elend häufen?
Mein Mund ist stumm, mein Auge leer an Thränen;
Doch hier, hier, Guilford, bebt von nahmenlosen Leiden
Die bange Seel' und ächzt zum Himmel auf![267]
GUILFORD.
Durch diese düstre schreckenvolle Nacht,
Die uns so schnell den schönsten Tag entzog,
Durch dieses Kerkers Todesschatten selbst,
Dringt noch ein Strahl von Hoffnung in mein Herz.
Du wirst nicht sterben, göttliche Johanna!
Nein, nein, der Himmel, der so liebenswürdig,
So würdig der Unsterblichkeit dich schuf,
Erschuf dich nicht, um in der ersten Blüthe
Zerstört zu werden! Nein! Er sandte nicht
So viel Vortrefflichkeit in dir herab,
Der Welt so schnell sich wieder zu entziehen –
Du wirst noch leben, und den Menschen lange
Der schönsten Tugend schönstes Urbild seyn!
Und ich? In deinem Arm ist mir das Leben
Ein Paradies, und selbst der Tod willkommen!
LADY JOHANNA.
Wie gerne wünscht' ich deinen Hoffnungen
Des Himmels Beyfall. Aber – ach! Geliebter,
Du schmeichelst dir zu viel. Die Zeit der süssen Träume,
Der unschuldsvollen reitzenden Bezaubrung
Der jugendlichen Liebe ist vorbey![268]
Die Hoffnung, die dir lächelt, ist ein Traum,
Ein eitler Traum, womit dein liebend Herz
Sich selber täuscht. Die Erde lädt uns nichts
Zu hoffen übrig. Komm, mein theurer Guilford,
Die Zeit erfordert ernstere Gedanken;
Nichts bleibt uns übrig, als uns zu gewöhnen,
Den Untergang der reizendsten Entwürfe
Von Glück und Liebe, jede süsse Hoffnung
Im Keim erstickt, des Lebens beste Freuden
Zerstört zu sehn! – Des Elends bangsten Scenen,
Und allem, was die menschliche Natur
Mit Angst erfüllt, was uns in jeder Ader
Das Blut erstarren, jede Nerve zucken macht,
Mit unbewegtem Auge ins Gesicht zu schauen,
Diess, Guilford, ists, was wir jetzt lernen müssen!
GUILFORD.
O sage mir, du Heldin, sage mir,
Welch eine Kraft erhöht dein sanftes Herz;
Zu dieser wundervollen Grösse?
LADY JOHANNA.
Der Glaube, Guilford, den die göttliche Religion
In unsrer Brust entzündt; das grosse Beyspiel,[269]
Das unser Meister gab; die frohe Zukunft,
Die er versprach; o diese helle Aussicht
In jene grenzenlosen Seligkeiten,
In Freuden, die kein Schmerz verbittert,
Kein Ende kürzt: Diess unterstützt den Muth
Der redlichen sich selbst bewussten Unschuld;
Diess macht den Märtyrer der Flammen lächeln,
Und hebt die Seele, (ob der Leib von Staube
Sie gleich noch fesselt,) über jede Schwachheit
Der irdischen Natur empor.
GUILFORD.
O! Du, vom Himmel mir zum Genius
Geschenkt, du sichtbars Ebenbild der Tugend,
Wie mächtig fühl' ich diesen Augenblick
Die Stärke deines Beyspiels! – Welch ein Muth
Ergiesst aus deinem seelenvollen Auge
Sich in mein Herz, und schwellet meine Triebe!
O Tugend, o Religion der Christen,
Wie schön seyd ihr! Zu welcher Engelsgrösse
Erhebet ihr den Sohn des Staubs, den Menschen!
Wie fühl ich eure Schönheit! Wie entflieht
Vor euerm Glanz der Kummer und die Klage –[270]
LADY JOHANNA.
Mein Guilford, hörst du nichts? Mir war, ich hörte
Von fern die Stimme meines Vaters! – ach!
Wie kann die kranke Fantasie sich täuschen! Ist er nicht
In Fesseln? – Himmel! welch ein Wunder!
Er ist es selbst!
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