Siebente Scene.

[290] Gardiner. Die Vorigen.


GARDINER.

Dein Vater, Guilford, dieser einst so stolze

Gefürchtete Tyrann, Northumberland,

Ist nicht mehr! –

GUILFORD.

Himmel! Jeder Augenblick

In dieser schwarzen Stunde ist

Ein neuer Ruf zum Tode!

GARDINER.

Die Gesetze,

Das Vaterland, Maria, und Ihr selbst,

Sind nun gerochen! Er verrieth sie alle!

Ja, Euch verrteth er! Er bekannte selbst

Vor seinem Ende, dass ein unbezähmter

Verruchter Stolz ihn zum Verräther

An Edward und Johanna Gray gemacht:

Dass, nicht der Eifer für den neuen Gottesdienst,

Nur die Begier mit deiner Hand, Johanna,

Den Königstab zu führen, ihn getrieben,[291]

Dem jungen Edward, als er mit dem Tode

Schon rang, den letzten ungerechten Willen

Doch abzuzwingen, der die Königin

Des Rechts, das ihr der Himmel gab, beraubte.

Voll Seelenangst verflucht' er seine Ränke,

Und sein Verbrechen, dessen Schlangenbisse

Ihm nicht erlaubten, wie ein Held zu sterben.

Und dennoch hinterliess er euch ein Beyspiel,

Das würdig ist, von euch befolgt zu werden.

Vor allem Volk entsagt' er mit Verwünschung

Dem neuen Glauben, und gestand voll Reue,

Dass nur der Eigennutz ihn wider sein Gewissen

Zu Edwards Zeit in Heucheley verlarvt!

Er starb versöhnt mit unsrer heil'gen Mutter,

Der Kirche –

GUILFORD.

Ha! Was hör ich? Zu verwegner Bischoff!

Kannst du so grausam seyn, und unser Elend

Noch durch Entehrung meines Vaters häufen?

Des Himmels Zorn vergelte dir –

GARDINER.

Halt ein

Zu rascher Jüngling! Was ich sage, hat[292]

Das ganze Volk gehört, von dessen Flüchen

Verfolgt, die Seele des Verbrechers angstvoll

Dem Leib entflog.

GUILFORD.

Lass ab! Lass ab, o Schicksal!

Mein blutend Herz steckt voll von deinen Pfeilen!

Komm, meine Freundin, siehe mich bereit

Mit dir zu sterben! O mir graut, mir ekelt

Vor diesem Leben! Meine Seele lechzt

Mit Ungeduld der Todesstund' entgegen:

Wie einer, den des Mittags strengste Glut

Auf dürrem Sand gesengt, nach einer Quelle lechzet.

Mein Vater! – Ach mein Vater! Muss ich noch

Im Tod erröthen, dass ich – Meine Seele schauert,

Den schrecklichen Gedanken auszudenken!

GARDINER.

Und ist nun, Lady, dein Entschluss gefasst?

Du hast dich zu bedenken nur

Noch wenig Augenblicke! – Soll ich dich

Von neuem Hehn, dein Leben nicht zu hassen?

Der Zorn der Königin ist durch die Strafe

Northumberlands versöhnt, und fordert weiter[293]

Kein Opfer mehr! Sey weise! Wirf dich eilig

In ihrer Grossmuth Arme –

LADY JOHANNA.

O! Wenn ihr anders meiner Noth nicht spottet,

So lasst mich kniend, Mylord, euer Mitleid

Für eine Unglückselige erbitten,

Die stets in Unschuld lebt', und keinen Menschen

Vor diesem schwarzen Tag beleidigt hat!

Lasst euch erweichen! Fleht die Königin,

Für Guilford und für meinen Vater, mich

Allein zum Opfer anzunehmen!

O Mylord! Auch ihr hattet einen Vater!

Erbarmt euch meiner! Lasst mich nicht die Schuld

An seinem Tod' mit in die Grube nehmen!

GARDINER.

Hartnäckiges, selbst unerbittlichs Weib,

Du flehst umsonst! – Sie sterben unvermeidlich

Wofern du nicht –

LADY JOHANNA.

O! So vergebet mir,

Mein Vater, mein Gemahl! Vergieb mir, theure Mutter,[294]

Und fluche nicht dem Tag, der mich gebar!

Ihr wisst, mit welcher heissen Zärtlichkeit

Ich euch geliebt – Doch unbegrenzte Liebe

Bin ich nur Gott, nur meinem Schöpfer schuldig! –

Lasst uns wie Christen sterben!

GARDINER.

Kerkermeister,

Soldaten! Auf! Herbey! Führt die Gefangnen

Hinweg! Sorgt, dass sie abgesondert

Verschlossen werden, und sich ohne meine

Bewilligung nicht sehn! – Und ihr, bereitet euch

Zum nahen Tode! –


Er geht ab.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 4, Leipzig 1798, S. 290-295.
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